Fünf Jahre Euro:Das Währungstrauma

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Die ersten Pläne zur Euro-Umstellung erschütterten viele Deutsche. Sie waren überzeugt: "Die wollen uns doch bloß an unser gutes Geld".

Hermann Unterstöger

Es waren die kargen Jahre nach dem Krieg. Die Familie U. in dem Dorf K., vaterlos und kinderreich, hatte wenig, worauf sie in materieller Hinsicht stolz sein konnte, unter dem Wenigen freilich einen Nussbaum von außergewöhnlich schönem Wuchs.

Erst Reichsmark, später D-Mark, und dann auch noch der Euro! Viele Deutsche standen der Währungs- umstellung sehr skeptisch gegenüber. (Foto: Foto: dpa)

Der Nachbar M., der in seiner Freizeit Holzteller drechselte, hatte lange schon ein Auge auf diesen Baum geworfen, und im Juni 1948 war Frau U. endlich so weit, dass sie einem Verkauf zustimmte.

Der Baum wurde geschlagen und weggebracht, und M. zahlte dafür 600 Reichsmark. Tags drauf war Währungsreform, die Reichsmark wurde zur D-Mark, und das Geld für den Baum war mehr oder weniger "hin".

Für die Kinder bedeutete "Währungsreform" seither so viel wie Pest und Verdammnis, und als Herr M. später im Suff unter den Zug fiel und ein Bein verlor, sagte Frau U.: "Auf unsern Herrgott is halt a Verlass!"

Das Trauma von damals

Dass aus dem geraubten Nussbaum wirklich wunderbare Teller wurden, änderte nichts an dem Währungstrauma, wie es damals vielen widerfuhr. Die Urangst, dass auf gut Bairisch "'s Geld vareckt", zog sich zwar ins Unterbewusste zurück, blieb aber stets rufbereit, und so war sie denn auch sofort da, als die Umstellung auf den Euro ruchbar wurde.

Die wollen uns doch bloß an unser gutes Geld, hieß es allerorten, wobei offen blieb, wer "die" waren. Der Ton, in dem sie beschworen wurden, ließ jedoch vermuten, dass es sich um finstere Mächte handelte, um eine Achse des Bösen, die von der Bankfiliale an der Ecke bis tief nach Brüssel reichte.

Wer jetzt nur noch einen Funken Hirn hat, hieß es weiter, der legt seine D-Mark-Bestände verlässlich an, und wenn's eine sauere Wiese ist, die er sich kauft: Darauf kann man, sollte wieder alles futsch sein, wenigstens zelten und grillen.

Der Ruf der neuen Währung

Indessen blieben die meisten saueren Wiesen unverkauft. Das lag daran, dass erstens die Flucht in solch dubiose Werte längst nicht mehr als cool oder gar sexy galt und dass zweitens die Erfinder des Euro, wer immer sie genau waren, nichts unversucht ließen, um die neue Währung als etwas Tolles, Heiteres, ja fast Geiles erscheinen zu lassen.

Meldungen wurden lanciert, die nichts erkennbar Krummes brachten, innerlich aber genauso erkennbar dem Euro die Stange hielten. So etwa meldete eine Agentur ein halbes Jahr vor der Umstellung, dass die im Umlauf befindlichen 48 Milliarden Mark- und Pfennigmünzen fast 200.000 Tonnen wögen, wohingegen 17 Milliarden neue Euromünzen einen 26.000 Kilometer hohen Turm ergäben. Werft die Last der alten Währung ab, sollte das wohl heißen, und lasst euch von der neuen in lichteste Höhen führen!

Manche Großfamilie wurde in diesen leicht geisterhaften Vor-Euro-Tagen damit konfrontiert, dass die Uroma fragte, ob es wie im Jahr 1948 Kopfgeld gebe und wo man sich dafür anstellen müsse. Die Urenkel kriegten sich fast nicht mehr ein und wandten sich dann wieder der Rechnung zu, die ein Aachener Mathematiker angestoßen hatte: Seiner Spekulation zufolge konnte man eine Million Euro gewinnen, wenn man sich zwei Millionen Mark lieh und Pfennig für Pfennig in Euro umtauschen ließ.

Die Pfennig-Jagd

Je Pfennig bekomme man 0,51129 Cent, was nach den geltenden Regeln zu einem Cent aufgerundet werden müsse, sodass man am Ende das Doppelte habe, nach Rückzahlung des Kredits also eine Million Euro. "Wo ist eigentlich die Schuhschachtel mit den Pfennigen?", fragten die Kleinen.

Dann war der Euro da, wie ein neues Haustier, das man zunächst nur sehr vorsichtig streichelt, weil es ja einen schwierigen Charakter haben könnte. Man rieb die Scheine zwischen den Fingern, fand das Papier hart und die Farben kitschig: Sah das nicht aus wie Spielgeld, irgendwie popelig und operettenhaft?

Die Kritik an den Euromünzen lief darauf hinaus, dass sie generell zu dick seien und man nicht wissen könne, ob ihr goldener Rand bei stärkerer Beanspruchung nicht herunterbreche. Dass diese Ränder halten und sich stattdessen Jahre später ausgerechnet viele der brettharten Scheine in Brösel auflösen würden, konnte man damals ja nicht ahnen.

Fünf Jahre ist das her, das neue Haustier hat sich eingelebt. Es kommt vor, dass man es streichelt, und in guten Stunden würde man sogar in einen Nussbaum investieren. Aber wer hat heute schon noch einen Nussbaum zu verkaufen?

© SZ vom 23.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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