Finanzwelt ringt um Vertrauen in der Krise:Trichet warnt vor "exzessivem Pessimismus"

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EZB-Präsident Trichet hat die Händler zu mehr Vertrauen in die Finanzmärkte aufgefordert. Der Dax erholt sich etwas von den starken Kursverlusten, doch die Vorgaben aus den USA bleiben negativ.

Der Dax hat sich am Donnerstag zur Eröffnung etwas von seinem Kursrutsch der Vortage erholt. Der deutsche Leitindex startete mit einem Plus von 1,6 Prozent auf 5092 Punkte in den Handel. Gefragt waren vor allem die zuletzt von den Anlegern verramschten Finanzwerte. Die Papiere des Immobilienfinanzierers Hypo Real Estate sprangen um zwölf Prozent nach oben. Der MDax gewann 1,80 Prozent auf 5807,40 Punkte. Der TecDax legte um 1,91 Prozent auf 544,51 Zähler zu.

EZB-Präsident Jean-Claude Trichet fordert die Händler zu mehr Vertrauen auf. (Foto: Foto:)

Deutsche Bank kletterten um 4,3 Prozent, Commerzbank um sieben Prozent und die im MDax notierten Aktien der Aareal-Bank um zehn Prozent. Die Aktien des Düngemittel- und Salzherstellers K+S wurden Händlern zufolge von einem Gewinnschub des US-Saatgutriesen Monsanto beflügelt und zogen rund sechs Prozent an. Schwächster Dax-Wert waren zunächst die Aktien des Chipherstellers Infineon mit einem Minus von drei Prozent.

Die Vorgaben sind unterdessen erneut leicht negativ. So hatten die US-Börsen zwischen Plus und Minus geschwankt und zuletzt mehrheitlich wieder deutlich an Boden verloren - der Future auf den Leitindex stand zuletzt 54 Punkte unter seinem Niveau zum Börsenschluss in Europa am Vortag. In Tokio schloss der Nikkei-225-Index nach zwischenzeitlichen Gewinnen doch leicht im Minus.

Nach den neuerlichen Kursverlusten hatte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, die Händler mit drastischen Worten zur Ordnung gerufen. Trichet forderte die Akteure auf den Finanzmärkten im französischen Fernsehen auf, "wieder zur Besinnung zu kommen".

Sie seien mit ihrem "exzessiven Pessimismus" schlecht beraten, schließlich hätten die Zentralbanken mit ihrer spektakulären Zinssenkung am Mittwoch ein "Signal der Vertrauens" gegeben.

Der Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominique Strauss-Kahn, lobte die gemeinsame Zinssenkung der führenden Zentralbanken am Mittwoch als "richtige Kurs". "Wir begrüßen die koordinierte Senkung der Zinsen", erklärte Strauss-Kahn am IWF-Sitz in Washington.

Asiatische Märkte leicht erholt

Die Europäische Zentralbank, die US-Notenbank Fed sowie die Zentralbanken von Großbritannien, Kanada, der Schweiz und Schweden hatten ihre Leitzinsen am Mittwoch um einen halben Prozentpunkt gesenkt. Es war die erste derartige Aktion seit den Terroranschlägen vom 11. September.

Die asiatischen Aktienmärkte legten am Donnerstagmorgen leicht zu. Die Börse in Tokio erholte sich nach dem historischen Absturz um fast zehn Prozent am Vortag leicht, der Aktienindex Nikkei stieg anfänglich um 1,25 Prozent. Die Börse in Hongkong öffnete mit einem Plus von 1,1 Prozent, der Handel in Shanghai legt um 1,59 Prozent zu.

Die japanische Zentralbank kündigte an, weitere vier Billionen Yen (knapp 30 Milliarden Euro) in die Finanzmärkte pumpen zu wollen. Dies ist die größte Finanzspritze, seit die Notenbank am 16. September den Märkten erstmals mit einer Nothilfe unter die Arme griff.

Zuvor hatten die Aktienkurse an den Börsen trotz der konzertierten Zinssenkung weiter nachgegeben. Nach einer nervösen Berg- und Talfahrt verpuffte am Ende die Wirkung der weltweit abgestimmten Aktion weitgehend. Der Dow-Jones-Index verlor 2,00 Prozent auf 9258,10 Punkte. Der S&P-500-Index gab um 1,13 Prozent auf 984,94 Punkte nach. Der NASDAQ-Index fiel um 0,83 Prozent auf 1740,33 Punkte. Auch der deutsche Aktienindex blieb tief in den roten Zahlen.

Die Notenbank von New York hat unterdessen beschlossen, dem angeschlagenen Versicherungskonzern AIG bis zu 37,8 Milliarden Dollar zur Verfügung, um seine laufenden Geschäfte abzuwickeln. Die Bank werde bis zu dieser Summe erstklassige festverzinsliche Wertpapiere des Konzerns beleihen und damit dessen Liquidität fördern, teilte die New Yorker Fed mit.

US-Regierung erwägt Einstieg bei Banken

Der Konzern war bereits vor drei Wochen von der US-Regierung mit einem Darlehen in Höhe von 85 Millionen Dollar vor der Pleite bewahrt worden. Der einst weltgrößte Versicherer war im Sog der Finanzkrise ins Straucheln geraten. Die AIG-Aktie schloss am Mittwoch mit einem Verlust von 9,1 Prozent bei 3,19 Dollar.

Angesichts der dramatischen Lage im Finanzsektor denkt die US-Regierung auch über eine teilweise Verstaatlichung von Banken nach. Das verlautete am Mittwoch aus Regierungskreisen in Washington. Die vom Kongress jetzt im Rahmen des 700 Milliarden Dollar umfassenden Rettungspakets gewährten Vollmachten zum Umgang mit der Finanzkrise eröffneten der Regierung eine Reihe von Möglichkeiten, hieß es.

Ein derartiger staatlicher Einstieg bei Banken wäre zu vergleichen mit dem Vorgehen der britischen Regierung. Die britische Regierung hatte am Mittwoch angekündigt, acht der größten Banken teilweise zu verstaatlichen, um die Stabilität auf dem Finanzmarkt wiederherzustellen. Premierminister Gordon Brown sprach von "radikalen" Eingriffen ins Bankensystem.

Auf den britischen Plan angesprochen, sagte US-Finanzminister Henry Paulson am Mittwoch, er weise diese Idee nicht zurück. Er wolle jedoch nicht darüber spekulieren, welches der neuen Rechte die Regierung nun anwende.

Das Ministerium will in Kürze Details zum 700-Milliarden-Dollar schweren Rettungspaket für die US-Finanzbranche bekanntgeben, auf das sich Regierung und Kongress nach langem Ringen geeinigt hatten. Es sei nur noch eine Frage von Tagen, bis das Programm mit allen Vorhaben und Zeitplänen ausführlich vorgestellt werden könne, sagte Staatssekretär David McCormick.

Schnelle Wirkung des US-Rettungsplans erwartet

"Ich gehe davon aus, dass mit der Umsetzung in Wochen - nicht Monaten - begonnen werden kann." Mit den 700 Milliarden Dollar will die Regierung der angeschlagenen Finanzbranche faule Kredite abkaufen und sie damit entlasten.

US-Präsident George W. Bush versicherte in einem Telefongespräch mit Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva, dass die Maßnahmen des US-Bankenrettungsplans in "zweieinhalb Wochen" erste Wirkungen zeigen werden. Die USA seien von der Bankenkrise in einer Zeit wirtschaftlichen Abschwungs getroffen worden, sagte Bush nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Agencia Brasil.

Bush sprach auch mit Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Finanzkrise. Er erörterte nach US-Angaben mit Merkel unterschiedliche amerikanischen Maßnahmen zur Stabilisierung der Märkte und betonte, die Wichtigkeit eines gemeinsamen Vorgehens aller Staaten bei der Eindämmung der Finanzkrise.

US-Finanzminister Henry Paulson Paulson sprach sich für eine enge Abstimmung der betroffenen Staaten aus. Er habe zu diesem Zweck eine Sonderkonferenz der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) am Samstag vorgeschlagen, sagte Paulson. Dabei sollen sich die Teilnehmer untereinander koordinieren, um die Folgen der Krise und die Abschwächung der Konjunktur in den jeweiligen Ländern zu verringern.

© sueddeutsche.de/AFP/AP/dpa/Reuters/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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