Finanzmarkt in der Krise:Freie Willkürwirtschaft

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Der Staat greift in der Finanzkrise jetzt hart durch. Auf den ersten Blick ist das verständlich - doch bald schon dürfte das Vorgehen mehr schaden als nützen.

Martin Hesse

Wer Spekulanten ausbremst, die auf fallende Kurse wetten, kann sich des Beifalls einer breiten Öffentlichkeit sicher sein. Ist es etwa nicht ein Skandal, dass Hedgefonds große Banken wie Lehman Brothers mit ihren Wetten in den Abgrund treiben können?

Die Aufsichtsbehörden in Amerika, Deutschland und anderswo handelten also richtig, solche Praktiken jetzt erst einmal zu verbieten, möchte man intuitiv sagen. Doch wenngleich Hedgefonds eine problematische Rolle in der Bankenkrise spielen: Das Verbot von Leerverkäufen ist ein weiterer von mehreren Staatseingriffen, die den Finanzmärkten schon bald mehr schaden als nützen dürften.

Leerverkäufer, im Englischen shortseller genannt, setzen auf fallende Kurse, indem sie sich Aktien leihen und verkaufen. Geht die Wette auf, können sie die Papiere später billiger zurückerwerben, an den Verleiher weiterreichen und die Differenz als Gewinn einstreichen.

Korrektiv für Übertreibungen

Solche Leerverkäufe gehören zum Repertoire auch jener Banken, die jetzt ein Verbot dieser Praxis beklatschen. Entgegen der populären Meinung tragen Leerverkäufe dazu bei, einen fairen Preis für Wertpapiere zu ermitteln. Warum sollte es an der Börse, wo doch die Zukunft gehandelt wird, nicht möglich sein, auf eine negative Zukunft zu spekulieren?

Übertreibungen an den Finanzmärkten entstehen gerade dadurch, dass die Masse der Investoren lediglich auf steigende Kurse setzt. Auch die aktuellen Probleme haben ja nicht Baisse-Spekulanten verursacht, sondern unter anderem die große Herde jener, die Immobilienpreise, Aktienkurse und Rohstoffnotierungen blind in die Höhe getrieben haben. Eine Binsenweisheit besagt, die Börse sei keine Einbahnstraße. Fatalerweise ist sie es für viele eben doch. Leerverkäufe können ein sinnvolles Korrektiv für Übertreibungen sein.

Shortseller machen den Markt zudem flüssiger. Schließlich müssen sie die Papiere, die sie verkauften, irgendwann zurückerwerben. Diese Stütze entziehen die Aufsichtsbehörden dem Markt mit dem jetzigen Verbot. Das Leerverkaufsverbot geht aber nicht nur an den Ursachen der Bankenkrise vorbei, es verkennt auch die Ursachen für den Kursabsturz von Banken wie Lehman Brothers und Morgan Stanley. Bank-Aktien fallen nicht um 40 Prozent an einem Tag, weil ein paar Hedgefonds auf fallende Kurse wetten, sondern weil eine panische Anlegerschaft ihnen und den Marktgerüchten folgt, die möglicherweise von Leerverkäufern gestreut wurden. Diese Kursmanipulation sowie die Ohnmacht der Aufsichtsbehörden zu stoppen, ist das Problem. Nicht die Leerverkäufe an sich.

Vielleicht war ein Kollaps weiterer Banken nur durch ein befristetes Verbot von Leerverkäufen zu verhindern. Jeder der Ad-hoc-Eingriffe der US-Regierung für sich mag so zu rechtfertigen sein: die Rettung von Bear Stearns, Freddie Mac, Fannie Mae und AIG sowie des 700-Milliarden-Dollar-Fonds, an den Banken künftig womöglich faule Kredite loswerden können. Doch die Interventionen werfen Fragen auf: Warum wurde AIG gerettet und Lehman nicht? Warum kann man künftig gegen gebeutelte Autokonzerne wetten, gegen Banken aber nicht? Welche faulen Kredite dürfen US-Banken abgeben und welche nicht? Wie sehr wird der Wettbewerb dadurch verzerrt, dass amerikanische Institute ihre Lasten abwerfen dürfen, die Banken vieler anderer Länder aber nicht?

Das Geschehen an den Börsen wird durch die Serie staatlicher Eingriffe dermaßen verzerrt, dass die Finanzmärkte diesen Namen kaum noch verdienen. An den Börsen regiert Willkür.

Die Tatsache, dass Banken in Amerika alle möglichen Arten von Wertpapieren, ja sogar Aktien bei der Notenbank hinterlegen können, um Geld zu bekommen, setzt die Börse dem Gutdünken der US-Regierung aus und die Steuerzahler dem Risiko weiterer Kursstürze.

Da muss man sich nicht wundern, wenn Anleger Geld horten. In der Summe bewirken die Maßnahmen das Gegenteil dessen, was sie bezwecken: Sie unterminieren das Vertrauen in die Märkte weiter, entziehen den Börsen Liquidität und könnten die Turbulenzen so noch verstärken.

© SZ vom 22.09.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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