Finanzkrise:Das Undenkbare denken

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Die globale Finanzkrise hat eine neue Dimension erreicht: Der Internationale Währungsfonds schließt massive Ausgabenprogramme zwecks Verhinderung eines Absturzes der Weltwirtschaft nicht aus.

Nikolaus Piper

Über all dem wilden Auf und Ab an den Weltbörsen ist eine der wichtigsten Nachrichten dieser Woche fast untergegangen: Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat die Regierungen seiner Mitgliedsstaaten in einem dramatischen Appell aufgefordert, notfalls mit massiven Ausgabenprogrammen einen Absturz der Weltwirtschaft zu verhindern. Der IWF-Manager Joseph Lipsky sprach zwar nicht von "Absturz", sondern nur vornehm von "deceleration" (Verlangsamung) der Konjunktur. Wie ernst die Lage ist, wurde jedoch schnell klar: Die Politiker müssten das "Undenkbare denken" und sich darauf vorbereiten, sagte Lipsky. Für den auf Solidität erpichten IWF bedeutet dies einen Kurswandel, den man sich radikaler kaum vorstellen kann. Bis vor kurzem verlangte der Fonds Haushaltssanierung auch in Zeiten der Rezession.

Die globale Finanzkrise hat in diesen Tagen eine neue Dimension erreicht. Die Vereinigten Staaten dürften sich bereits jetzt in einer Rezession befinden, der Dollar schien zeitweise ins Bodenlose zu stürzen, Gold stieg erstmals über die Marke von 1000 Dollar. Die amerikanische Notenbank Federal Reserve flutete die Finanzmärkte mit Geld. Bemerkenswert war dabei nicht nur die schiere Summe von 200 Milliarden Dollar, sondern auch die Qualität ihrer Kredite; die Fed akzeptierte als Sicherheiten erstmals bestimmte Wertpapiere, die durch Hypotheken gedeckt sind, sie streckte die Frist der Kredite von einem auf 28 Tage. Ökonomen und Politiker in den Vereinigten Staaten diskutieren zunehmend radikalere Maßnahmen, um die Krise zu stoppen: Der Staat soll massiv notleidende Hauskredite aufkaufen und so Schuldnern und Banken gleichermaßen aus der Falle helfen.

"Tierische Instinkte"

Und immer schwingt das "Undenkbare" im Hintergrund mit, die Erinnerung an die Weltwirtschaftskrise des vergangenen Jahrhunderts. Die heutige Krise sei die schwerste seit sechzig Jahren, sagten Experten am Rande einer großen Bankenkonferenz vorige Woche in Rio. Zwar sagt niemand, auch keiner der ärgsten Pessimisten unter den Ökonomen, einen Zusammenbruch von Weltwirtschaft und Welthandel, eine Verelendung breiter Schichten und Massenarbeitslosigkeit in den damaligen Dimensionen voraus. Wirtschaft und Politik haben aus den Erfahrungen der dreißiger Jahre gelernt. Aber es gibt trotzdem klare Parallelen zwischen gestern und heute.

Diese Parallelen lassen sich vor allem an einem schönen, über die Jahre fast vergessenen Begriff zeigen: dem der "Liquiditätsfalle". Der Ökonom John Maynard Keynes kennzeichnete in den dreißiger Jahren damit eine Situation, in der die Investoren auf ihrem Geld sitzen, weil sie Angst vor der Zukunft haben. Eigentlich sollten, nach der klassischen Theorie, in einer Rezession die Zinsen so weit sinken, dass sich das Investieren bald wieder lohnt. Manchmal aber, so sagte Keynes, kann der Zins gar nicht genügend sinken, weil die Furcht zu groß ist. Investoren werden von "tierischen Instinkten" geleitet, in guten wie in schlechten Zeiten. Sind sie einmal in die Angstfalle geraten, kommen sie aus ihr nicht mehr von selbst heraus. In dieser Situation muss der Staat eingreifen und die Wirtschaft vor sich selbst retten.

Grenzen der Geldpolitik

Die extreme Risikoscheu, die derzeit an den Finanzmärkten herrscht, ähnelt verblüffend dieser Liquiditätsfalle: Weil niemand weiß, welche Risiken der andere noch in seinen Büchern hat, misstrauen die großen Banken einander, was dazu führt, dass der Preis selbst erstklassiger Wertpapiere abstürzt. In so einer Situation stößt die Geldpolitik an klare Grenzen. Die Federal Reserve hat die Zinsen so aggressiv gesenkt wie noch nie und konnte doch die Angst nicht aus den Märkten treiben. Gleichzeitig ist die Inflation mit einer Jahresrate von vier Prozent so hoch, dass sie unter normalen Umständen höhere Zinsen erfordern würde.

Niemand kennt derzeit das eine, richtige Rezept, mit dem die Krise beendet werden könnte. Klar ist aber, dass es jetzt ohne den Staat, genauer: den amerikanischen Staat, nicht mehr geht. Der Kern des Übels, der Berg fauler Kredite in der US-Wirtschaft muss beseitigt werden. Einen wichtigen ersten Schritt ist Finanzminister Hank Paulson diese Woche gegangen: Er hat eine Komplettrevision der Regeln im amerikanischen Finanzsektor angekündigt. Das schafft Vertrauen, wirkt aber vor allem in die Zukunft. Vermutlich wird die Regierung in Washington tatsächlich gezwungen sein, den bedrängten Hausbesitzern (und deren Kreditgebern) mit Steuermitteln direkt zu helfen, durch den Druck der Öffentlichkeit, aber auch durch die Angstattacken auf den Finanzmärkten.

So ein Schritt ist immer bedenklich, weil damit letztlich unverantwortliche Verleiher, Banker und Investoren belohnt werden. Auch bei den Hausbesitzern, denen die unseriösen Hypotheken zum Verhängnis wurden, handelt es sich ja nicht nur um arme Familien, sondern oft auch um Spekulanten, die auf steigende Immobilienpreise setzten.

Die Rettungsaktionen häufen sich. Am Freitag billigte die amerikanische Notenbank eine Finanzspritze für die Investmentbank Bear Stearns, zu der sich die Notenbank von New York und die Bank JPMorgan durchgerungen hatten. Die britische Regierung ist so weit gegangen, die gescheiterte Bank Northern Rock zu verstaatlichen. In Deutschland wurden die Steuerzahler herangezogen, um in einer zweifelhaften Aktion die Mittelstandsbank IKB zu retten. Doch in der Liquiditätsfalle müssen Regierungen manchmal Schlimmes tun, um Schlimmeres zu verhindern.

© SZ vom 15.03.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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