Finanzaufsicht zieht Notbremse:Bafin verbietet Leerverkäufe

Lesezeit: 2 min

Nach den USA und Großbritannien zieht auch die deutsche Finanzaufsicht die Notbremse: Ab heute sind Leerverkäufe verboten. Bei den umstrittenen Geschäften setzen Spekulanten auf sinkende Kurse.

Markus Balser

Mit einer beispiellosen Notverordnung wollen internationale Aufsichtsbehörden das Bankensystem stabilisieren. Am Freitagabend untersagte die deutsche Finanzaufsicht umstrittene Geschäfte, sogenannte Leerverkäufe, für elf Finanzaktien. In den Vereinigten Staaten gilt das Verbot für 799 Aktien der angeschlagenen Branche.

Bei Leerverkäufen verkaufen Investoren Aktien, die sie gar nicht besitzen, sondern sich gegen Gebühr von Dritten ausleihen. Sie hoffen auf fallende Kurse, um die Titel billiger zurückkaufen und sie dem Verleiher wiedergeben zu können. Die Differenz streichen sie als Gewinn ein.

Die deutsche Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) untersagte am späten Freitagabend Leerverkäufe der Aktien von elf Unternehmen der Finanzbranche vorübergehend. Das Verbot gelte von diesem Samstag bis zum Jahresende, teilte die Bafin in Bonn mit. Es werde laufend überprüft. Betroffen von dem Verbot sind Papiere von Aareal Bank, Allianz, AMB Generali Holding, Commerzbank, Deutsche Bank, Deutsche Börse, Deutsche Postbank, Hannover Rückversicherung, Hypo Real Estate, MLP und Münchener Rück.

Leerverkäufe können in den Untergang treiben

Die Bafin begründete diesen Schritt mit den jüngsten Entwicklungen an den weltweiten Kapitalmärkten. "In der derzeitigen Marktsituation könnten Leerverkäufe Finanzunternehmen in den Untergang treiben, erläuterte Bafin-Präsident Jochen Sanio. Dieser Gefahr müsse man konsequent entgegentreten, darin seien sich die Wertpapieraufseher der wichtigsten Märkte einig.

Rechtsgrundlage der Entscheidung sei das Wertpapierhandelsgesetz. Danach habe die Aufsicht Missständen entgegenzuwirken, die erhebliche Nachteile für den Finanzmarkt bewirken könnten. Die Bafin könne "Anordnungen treffen, die geeignet und erforderlich sind, diese Missstände zu beseitigen oder zu verhindern", hieß es.

Bereits am Donnerstagabend hatten sich in Washington Vertreter von US-Regierung, Senat und Aufsichtsbehörden bei einer Krisensitzung zu dem tiefgreifenden Eingriff entschlossen. Noch in der Nacht hatten Mitarbeiter der Börsenaufsicht SEC hektisch an dem geplanten Verbot gefeilt. Noch bevor an der Wall Street wieder Aktien gehandelt wurden, gab SEC-Chef Christopher Cox am Freitagmorgen den Bann der Börsenwetten bekannt.

Verbot an der Wall Street

Das Verbot an der Wall Street soll zunächst bis einschließlich 2. Oktober gelten und kann dann um weitere zehn Tage ausgedehnt werden. Die britische Finanzaufsicht FSA hat sogar ein Verbot bis Januar verhängt. Auch die Finanzaufseher in Irland, der Schweiz und Australien verschärften die Regeln.

Der Ausschuss der Wertpapier-Regulierungsbehörden der EU-Staaten, CESR, erklärte, er koordiniere Maßnahmen gegen Leerverkäufe. Einige Behörden der 27 EU-Mitglieder hätten die Handelspraxis bereits eingeschränkt oder die Voraussetzungen für Leerverkäufe verschärft. Andere Mitgliedsstaaten dächten über zusätzliche Bedingungen nach, hieß es in der Mitteilung.

Das Verbot trifft besonders die aggressiv auftretenden Hedgefonds. Sie verdienten bisher mit den fallenden Kursen enorme Summen. Nach Ansicht vieler Börsenexperten waren die Kurswetten mit schuld an der jüngsten Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers, dem Untergang von Bear Stearns und an der lebensbedrohlichen Krise des vom Staat vorerst geretteten US-Versicherers AIG. Mit solchen Spekulationen sei man bewusst an den Rand des Ruins getrieben worden, beklagte auch die Investmentbank Morgan Stanley.

Kurswetten seien schuld am zuletzt heftigen Absturz der Morgan-Stanley-Aktien, schrieb Konzernchef John Mack laut US-Medien in einer internen E-Mail an Mitarbeiter. "Es gibt keine vernünftige Basis für diese Bewegungen", betonte Mack. "Wir stecken mitten in einem Markt, der von Angst und Gerüchten geprägt ist. Investoren, die mit ungedeckten Leerverkäufen auf Kursverluste setzen, treiben derzeit unsere Aktien herunter."

Kritik an Tatenlosigkeit

Das Verbot wäre in einem gut funktionierenden Markt nicht nötig gewesen, räumte SEC-Chef Cox ein. Die SEC denke darüber nach, auch Aktien anderer Branchen mit einem ähnlichen Verbot zu überziehen. Inzwischen haben sich auch US-Ermittler in die rätselhaften Aktiengeschäfte und den möglichen Missbrauch von Leerverkäufen durch Spekulanten eingeschaltet. "Sie sind wie Plünderer nach dem Hurrikan", kritisierte der New Yorker Generalstaatsanwalt Andrew M. Cuomo.

Die Behörde wolle nun prüfen, ob es vielleicht zu gezielten Falschinformationen gekommen sei. "Unter normalen Umständen schauen sich Investoren Nachrichten genau an. In diesem nervösen Umfeld aber sind Falschinformationen viel wirksamer."Mit dem harten Eingriff reagiert die amerikanische Börsenaufsicht SEC auch auf zuletzt harte Kritik an der eigenen Tatenlosigkeit.

© SZ vom 20./21.09.2008/dmo - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: