Die typische Geschichte einer Sanierung:Vertreibung aus dem Paradies

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Viele Mieter wohnen hier seit Jahrzehnten günstig, doch seit Spekulanten die Immobilie umwandeln, sind ihre Tage in dem Anwesen am Münchner Roecklplatz gezählt.

Bernd Kastner

Jetzt kratzt sie im Hals, die neue Zeit. Gekommen ist sie, diese neue Zeit, schon ein paar Wochen zuvor in Gestalt von Handwerkern. Die haben ein Gerüst aufgestellt, eine mächtige, dunkelgrüne Plane davor gehängt, und später im Treppenhaus die Wände gestrichen.

Einge Bewohner des Anwesens Roecklplatz 3. "Ich werde nicht ausziehen" - das sagen nur die wenigsten Mieter des alten Hauses im Dreimühlenviertel. (Foto: Foto: Haas/SZ)

Besucher riechen das nur, Bewohner aber stellen fest, dass es ihnen nicht gut geht seither. Es riecht nach Lösungsmitteln, intensiv und penetrant. Zum Gestank kommt noch dieses Gefühl hinzu, unerwünscht zu sein in einem Haus, in dem viele seit Jahrzehnten wohnen. Am Roecklplatz 3 läuft die Zeit für die meisten Mieter ab.

Es riecht, auch in den Wohnungen

Alle Türen sind geschlossen, doch es riecht auch im Wohnzimmer von Paula Thierbach. Es haben sich Nachbarn hier versammelt, um zu berichten, was geschehen ist, seit die alten Eigentümer ihre Immobilie verkauft haben.

Es ist nicht irgendein Haus, sondern das markanteste am Roecklplatz, das mit der gebogenen Fassade, das einzige, das überhaupt die Adresse Roecklplatz offiziell trägt.

Sie erzählen eine Geschichte, die typisch ist für ein Quartier wie das Dreimühlenviertel, das immer beliebter und teurer wird. Es ist die Geschichte einer ganz legalen Vertreibung.

Zum Haus mit der Nummer drei muss man nur wissen, dass es an die 100 Jahre alt und sanierungsbedürftig ist, gut zwei Dutzend Wohnungen hat, die Bewohnerschaft bunt gemischt ist und die Mieten für München moderat, fast schon billig sind. Das reicht, um vorherzusagen, dass solch ein Anwesen Spekulanten lockt, wie das ganze Viertel.

Dass das denkmalgeschützte Anwesen verkauft werden soll, war schon seit 2005 klar. Damals wandten sich die Eigentümer an die Gima. Das ist eine Agentur, die Mietshäuser vor Spekulanten schützen und in den Besitz von Genossenschaften bringen will.

60 Jahre lang sei das Haus in Familienbesitz gewesen, berichtet der ehemalige Eigentümer. Er hätte gerne an eine Genossenschaft verkauft, aber deren Gebot habe um eine halbe Million unter dem Marktwertgutachten gelegen. "Das haben wir abgelehnt."

Den Marktwert erzielen

Nachdem man über Jahrzehnte die Bewohner mittels günstiger Mieten unterstützt habe, sagt der Verkäufer, habe man am Ende nicht auch noch so billig hergeben wollen. Den Marktwert zu erzielen aber heißt: an einen Geschäftsmann zu verkaufen, der das Mietshaus in Eigentumswohnungen zerlegt.

Nun liegt der Roecklplatz in einem Erhaltungssatzungsgebiet, und dort hat die Stadt das Vorkaufsrecht. Sie könnte also das Anwesen übernehmen, um die Mieter und damit das Milieu im Viertel zu schützen.

Doch der Stadtrat lehnte ab: Kauf und spätere Reprivatisierung des Gebäudes hätten einen Verlust von einer Million Euro gebracht.

Da es noch kein Umwandlungsverbot gibt, wie von der Stadt gefordert, stand dem Verkauf an die neu gegründete Roecklplatz GmbH nichts mehr im Wege. Die Bewohner bekamen von den alten Vermietern einen Brief, dass sie ihre Miete künftig auf ein anderes Konto überweisen sollen. Das war im Herbst 2006.

Auf der nächsten Seite lesen Sie, wie der neue Eigentümer versucht, die Mieter zum Auszug zu bewegen.

Es dauerte nicht lange, da kam eine Mieterhöhung, und Peter W., der GmbH-Geschäftsführer und neue Eigentümer, besuchte reihum die Bewohner. Dass es vorteilhaft wäre, wenn sie auszögen, habe er dabei deutlich zu verstehen gegeben, berichten die Mieter im Wohnzimmer von Frau Thierbach.

Später hat er den Bewohnern Aufhebungsverträge unterbreitet und Abfindungen angeboten. Einer von denen, die unterschrieben haben, sitzt mit in der Runde. Er sagt nur, dass er nichts sagen darf, denn sein Vertrag enthalte eine Schweigeklausel.

Seit Wochen mit dunklen Planen verhüllt ist das Haus am Roecklplatz. (Foto: Foto: Haas/SZ)

"Allein ist man schwach"

"Ich werde nicht ausziehen." Elisabeth Gabler-Garella sagt das, sie ruft es fast, denn sie wohnt mit ihrem Mann seit 25 Jahren hier, und es schwingt nicht der leiseste Zweifel in ihrer Stimme.

Auch ihr Mann bekräftigt: "Wir werden hier bleiben." Und eine andere langjährige Mieterin fragt: "Warum soll ich gehen? Bloß weil einer Profit machen will?" Ein paar tausend Euro habe man ihr fürs Ausziehen angeboten.

Die aber sind in einem Jahr verbraucht, wenn man von einer günstigen Wohnung in eine "normale" umzieht. Albrecht Schmidt rechnet das vor, und er tut das nicht zum ersten Mal. Er gehört dem Mieterbeirat an und hat Dutzende Mietergemeinschaften gegründet, natürlich auch in diesem Haus. Das sind Schutzgemeinschaften gegen die Vertreibung. "Allein ist man schwach", sagt Schmidt.

Anke Weyer, 34, Soziologin von Beruf, ist die Sprecherin dieser Gemeinschaft und kämpft darum, dass zumindest ein paar der alten Mieter bleiben. Sie selbst müsste nach Abschluss der Sanierung und Modernisierung mit einer Verdopplung der Miete rechnen für ihre 40-Quadratmeter-Erdgeschosswohnung: Von rund 300 auf 600 Euro (inklusive Betriebskosten).

Immer mehr Hilferufe

Mietexperten sprechen von einer neuen Sanierungs- und Umwandlungswelle, die beliebte Quartiere Münchens erfasse. "Angesichts steigender Immobilienpreise lohnt es sich wieder umzuwandeln", sagt Albrecht Schmidt, der eine steigende Zahl von Hilferufen aus Münchens Mieterschaft registriert.

Beim Mieterverein führt man zahlreiche Sanierungen eher auf die Bemühungen zum Energiesparen zurück: Immer mehr Vermieter ließen ihr Haus zeitgemäß dämmen, legen die Kosten aber, ganz legal, auf die Mieter um. Das führe zu enormen Preissteigerungen, erklärt Karen Söfge vom Mieterverein, und sei "extrem ungerecht", schließlich profitiere nicht nur der Bewohner von einer besseren Dämmung, sondern auch der Eigentümer und die gesamte Gesellschaft. Also müssten die Kosten gerechter verteilt werden.

Christian Stupka, Chef der Anti-Spekulations-Genossenschaft Gima, macht einen weiteren Faktor für diesen Trend aus: "Die wachsende Zahl von Menschen, die nicht auf den Preis schauen müssen." Für die es keine Rolle spiele, ob der Quadratmeter Eigentumswohnung 3000 oder 4000 Euro koste, Hauptsache, Lage und Ambiente stimmen. Das dürfte die Käuferzielgruppe für Wohnungen wie die am Roecklplatz sein.

Dort ärgert sich Anke Weyer auch über das Vorgehen des neuen Vermieters. Ende Januar habe man das Gerüst aufgestellt und mit einer dunklen Plane versehen, sodass man von drinnen die Welt draußen nur noch schemenhaft erkenne. Und dann passierte sechs Wochen nichts.

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Erst Mitte März kamen die Arbeiter, und mit ihnen dieser Gestank. Weyer und andere Bewohner berichten, dass sie seither unter Kopfweh leiden, mehrfach übergeben habe sie sich sogar, sagt die Mietersprecherin.

Ist das alles Zufall, fragen die Bewohner, oder steckt Kalkül dahinter? Je unangenehmer das Wohnen, desto eher gehen die Mieter. Und eine leere Wohnung ist beim Verkauf an Kapitalanleger deutlich mehr wert.

Altbau, drei Zimmer: 684.000 Euro

Die Fragen richten sich an Peter W. Der ist 35 Jahre alt, sagt, er sei schon zehn Jahre im Geschäft, habe schon neun Häuser saniert, 200 Wohnungen, "da passiert gar nichts Ungesetzliches".

Im Internet bewirbt er die Philosophie seines Tuns so: "Kompetent und zeitgemäß die Komplexität ,Immobilie' beherrschen und entwickeln." Ergebnis dieses "Beherrschens und Entwickelns" sind dann etwa Wohnungen wie in Schwabing, Altbau, Dachgeschoss, drei Zimmer, 684.000 Euro.

Das Roecklplatz-Haus sei in einem "sehr schlechten Zustand", die alten Eigentümer hätten jahrelang nichts gerichtet, hätten es bei günstigen Mieten den Bewohnern überlassen, ihre Wohnungen in Schuss zu halten.

Und nun werde praktisch alles neu gemacht, was man neu machen könne: Heizung, Aufzug, Leitungen, Fassade, und und und. Alles sei selbstverständlich mit den Denkmalschützern abgestimmt, auch der geplante Ausbau des Dachgeschosses.

"Wo ist das Problem?"

Das führe natürlich zu Belästigungen der Mieter, und weil es sich ohne Mieter problemloser sanieren lasse, habe er ihnen Abfindungsangebote gemacht. 80 Prozent hätten den Aufhebungsvertrag unterzeichnet, die meisten zögen zum Juli aus.

Wer jedoch will, könne bleiben: "Ich möchte niemanden verscheuchen." Aber natürlich sei damit zu rechnen, dass ein Wohnungskäufer recht schnell die Miete erhöhen werde, liege sie mit rund fünf Euro pro Quadratmeter doch derzeit weit unter dem Mietspiegel, der acht bis zehn Euro hergebe.

Über die Beschwerden der Mieter zeigt sich W. erstaunt. Von gesundheitlichen Problemen wisse er nichts, er wisse nur, dass er zuverlässige Baufirmen beauftragt habe, die bestimmt nur zulässige Mittel verwendeten.

Dass das Gerüst ein paar Wochen umsonst stand, habe allein an der Witterung gelegen. Und die Farbe der Plane sei allein Sache der Baufirma.

Peter W. ist sehr zufrieden mit dem Fortgang seines Projekts. "Ich versuche immer, jedem alles recht zu machen", sagt er. "Die Stimmung im Haus ist freundlich", er berichtet von "bester Kommunikation". Auch im Vergleich zu seinen bisherigen Projekten: "So friedlich wie jetzt bin ich selten durchgekommen."

Und der alte Eigentümer sagt, ihm sei das Schicksal der Mieter nicht egal gewesen. Ja, er habe an einen verkauft, "der Geld damit verdienen will". Aufteilung, Sanierung, Verkauf - "das ist das normale Vorgehen", und dass der Neue die Wohnungen mit Abfindungen leer bekommen will, sei "nicht unfair", sagt der Ex-Besitzer. "Wo ist das Problem?"

Am Roecklplatz sehen sie es als Problem: "Er hat die Hausgemeinschaft zerstört", sagen zumindest die verbleibenden Bewohner. Die anderen schweigen.

© SZ vom 12.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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