Die Finanzkrise und die Folgen:"So ein Chaos darf es nicht mehr geben"

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Unmittelbar vor einem Sondergipfel in Paris hat sich die Bundesregierung erneut deutlich gegen ein europäisches Hilfsprogramm für Banken ausgesprochen. In den USA hoffen Politiker und Finanzexperten hingegen, dass das nun verabschiedete 700-Milliarden-Rettungspaket den Weg aus der Krise weist.

Die Staats- und Regierungschefs der vier größten europäischen Länder, die EU-Kommission und Vertreter der europäischen Zentralbank treffen sich an diesem Samstag in Paris, um gemeinsame Schritte gegen die Finanzkrise zu beraten.

Freude über die Verabschiedung des US-Rettungspakets: Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses mit den Abgeordneten Barney Frank (l.) und James Clyburn. (Foto: Foto: AFP)

Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) schloss vor dem Treffen eine Beteiligung Deutschlands an einem europäischen Rettungsfonds für in Not geratene Banken aus. Steinbrück sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung "Es ist schon schwer verkraftbar, dass die deutschen Steuerzahler nun für Kapriolen von Banken in Dublin Docks einstehen sollen, die sich dort vor der deutschen Steuer gedrückt haben." Er spielte damit auf die in der irischen Hauptstadt ansässige Tochter der Hypo Real Estate (HRE), Depfa, an. Die Bundesregierung hatte die HRE mit einer Bürgschaft von 35 Milliarden Euro vor dem Kollaps gewarnt.

Wirtschaftsminister Michael Glos sagte der Zeitung Bild am Sonntag, die Banken müssten gemeinsam und untereinander wieder Vertrauen aus eigener Kraft aufbauen. Der von Banken ins Gespräch gebrachte Auffang-Fonds lenke von dieser eigentlichen Aufgabe ab. Kern der Finanzmarktkrise sei das fehlende Vertrauen unter den Banken.

"In dieser Situation den Staat aufzufordern, mit großangelegten Entschuldungsplänen verspieltes Vertrauen schon mal vorbeugend durch Steuergelder zu ersetzen, halte ich für nicht vertretbar", sagte der CSU-Politiker.

In den USA hatte das Repräsentantenhaus nach zweiwöchigem dramatischen Tauziehen am Freitag das 700 Milliarden Dollar schwere Rettungspaket für die angeschlagene US-Finanzbranche im zweiten Anlauf gebilligt. Anschließend unterzeichnete Präsident George W. Bush das Gesetz, dass am Mittwoch bereits den Senat passiert hatte.

Bush erleichtert

Damit wird die US-Regierung ermächtigt, bedrängten Banken faule Kredite abzukaufen, um so den Kreditfluss wieder in Gang zu bringen. Trotz der Annahme des Gesetzes schloss die Börse in New York im Minus. Im späten Handel seien Sorgen über die Wirtschaftsentwicklung und Rezessionsängste in den Vordergrund getreten, sagten Händler.

Der Dow Jones Industrial schloss mit minus 1,50 Prozent auf 10 325,38 Zähler. Im Wochenvergleich fiel der Leitindex um rund sieben Prozent. Der marktbreite S&P-500-Index verlor 1,35 Prozent auf 1099,23 Punkte. An der Nasdaq sank der Composite-Index um 1,48 Prozent auf 1947,4 Zähler. Der Nasdaq 100 gab 1,36 Prozent auf 1470,84 Punkte ab.

Präsident Bush zeigte sich nach der Verabschiedung des 700-Milliarden-Rettungspakets erleichtert, warnte aber vor den weiter bestehenden "ernsten Herausforderungen" für die US-Wirtschaft. Es werde "Zeit brauchen, bis dieses Gesetz sich richtig auf die Wirtschaft auswirkt."

Die Kosten für den Steuerzahler würden letztendlich deutlich niedriger liegen als die jetzt zur Disposition stehende Summe, sagte Bush. Als Anhänger des freien Unternehmertums sei er kein Freund von staatlichen Interventionen in die Privatwirtschaft. "In dieser Situation aber war es notwendig."

Die Präsidentin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, kündigte neue Kontrollen für die US-Finanzwirtschaft an. Außerdem müsse herausgefunden werden, wie die US-Finanzwirtschaft überhaupt in diese schwere Krise geraten konnte. "Wir glauben alle an die freie Marktwirtschaft", betonte die Demokratin Pelosi, aber "unregulierte und nicht überwachte" Aktivitäten an der Wall Street hätten "ein Chaos produziert, ... dass es künftig nicht mehr geben darf".

Parlamentarische Aufsicht vorgesehen

Der Chef der US-Notenbank, Ben Bernanke, nannte die Verabschiedung des Hilfspakets "einen entscheidenden Schritt zur Stabilisierung unserer Finanzmärkte" und der Sicherstellung von Krediten für Hausbesitzer und Geschäftsleute.

Der republikanische Fraktionsführer im Repräsentantenhaus, John Boehner, verteidigte das Maßnahmenpaket: "Wir sind mitten in einer Finanzkrise ... und wenn wir gar nichts tun, wird diese Krise wahrscheinlich schlimmer und wirft uns in eine wirtschaftliche Rezession, wie wir sie noch nie gesehen haben."

Das ursprünglich von Finanzminister Henry Paulson und Zentralbankchef Bernanke vorgelegte Rettungspaket sieht im Kern vor, dass der Staat in Not geratenen Banken faule Kredite im Gesamtwert von bis zu 700 Milliarden Dollar abkauft. Damit soll erreicht werden, dass die Banken wieder Kredite an Unternehmer vergeben und dadurch der Wirtschaftskreislauf nicht unterbrochen wird. In einer ersten Tranche sollen 250 Milliarden Dollar an die Banken vergeben werden.

Entgegen ersten Vorschlägen ist im Programm auch eine parlamentarische Aufsicht über die Kreditübernahme vorgesehen. Zudem sollen Manager von Banken, denen geholfen wird, keine großzügigen Abfindungen mehr erhalten. Auch ist vorgesehen, dass der Staat nach der Rettung einer Bank später an den Gewinnen beteiligt werden kann.

Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso begrüßte die Annahme des Rettungspakets für den Finanzsektor durch das US-Repräsentantenhaus ausdrücklich begrüßt. Mit ihrer Entscheidung hätten die Abgeordneten "Verantwortung" gezeigt, erklärte Barroso am Samstag in Brüssel. Auch die Europäische Union habe sich während der "Turbulenzen" verantwortungsbewusst verhalten und tue dies weiterhin. Der Kommissionspräsident rief die internationalen Partner der EU zur "wirkungsvollsten Zusammenarbeit" auf.

"Massiv gestörte Selbstheilungskräfte"

Von dem Treffen der Europäer in Paris soll nach den Worten von Frankreichs Ministerpräsident Francois Fillon die Botschaft ausgehen, dass der Staat falls nötig bereit ist, das Bankensystem zu stabilisieren. Ein Rettungspaket für die Banken, wie es die USA gestern beschlossen haben, steht in Europa allerdings nicht zur Diskussion.

Deutschland, Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Länder mussten mit staatlichen Hilfen in dieser Woche die Großbanken Hypo Real Estate, Fortis, Dexia und Bradford & Bingley vor dem Zusammenbruch bewahren. Bisher geht jedes Land seinen eigenen Weg, und das soll nach Auffassung der Bundesregierung auch so bleiben.

Ideen der französischen Finanzministerin Christine Lagarde über einen Rettungsfonds, der angeblich 300 Milliarden Euro teuer sein sollte, wurden aus Berlin umgehend zurückgewiesen. Auch EZB-Präsident Jean-Claude Trichet und der Chef der Euro-Finanzminister, Jean-Claude Juncker, die ebenfalls in Paris mit am Tisch sitzen, lehnen einen solchen Fonds ab. Hingegen unterstützen Banken und Sparkassen die Idee von einem EU-Topf.

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV), geht davon aus, dass weitere Staatshilfe vor allem für international tätige Banken nötig werden kann. "Die Selbstheilungskräfte der Banken sind massiv gestört. Weitere Belastungen sind aktuell zwar nicht erkennbar, aber die Turbulenzen auf den internationalen Märkten lassen auch deutsche Banken nicht unbelastet", sagte DSGV-Präsident Heinreich Haasis der WirtschaftsWoche. Der Staat solle sich deshalb Eingriffsoptionen offen halten, eventuell auch im Schulterschluss mit anderen EU-Staaten.

Eine europäische Bankenaufsicht lehnte Haasis jedoch ab. Diese wäre "der Horror", so der DSGV-Präsident. Die Länder innerhalb der EU seien viel zu unterschiedlich, um in Krisensituationen schnell zu Lösungen zu kommen, meinte Haasis.

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