Betrüger Madoff:Ein Manipulator, kein Monster

Lesezeit: 2 min

Schläfrige Aufsichtsbehörden und naive Anleger haben den Schwindel erst ermöglicht: Der Fall Madoff zeigt, wie Gier die Menschen blind macht.

Moritz Koch

Der Welt fehlen die Worte, um Bernard Madoff zu beschreiben. Angesichts der Dreistigkeit seiner Lügen, der Dauer seines Schwindels und der Summen, die er verschoben hat, reicht der Begriff Betrüger nicht mehr aus. Madoff, das Monster, Bernie, der Teufel, nennen ihn seine Opfer. Tränenüberströmt erzählt eine Witwe, wie Madoff sie nach dem Tod ihres Mannes in den Arm nahm und sagte: "Mach dir keine Sorgen um dein Geld. Bei mir ist es sicher."

"Bernie, der Teufel": Der Welt fehlen die Worte, um Bernard Madoff zu beschreiben. (Foto: Foto: dpa)

Sichtlich erschüttert vom Schicksal der Betrogenen unterstrich auch Bundesrichter Denny Chin die Einzigartigkeit des Verbrechens, als er Madoff am Montag mit 150 Jahren Gefängnis bestrafte: "Außergewöhnlich böse" seien dessen Taten. Das Urteil mag angemessen sein, die Verurteilung, genauer die Verteuflung, ist es nicht.

Madoff ins Mythische zu heben, bedeutet, den Blick für die Lehren zu verstellen, die aus dem Fall zu ziehen sind. Madoff ist kein Monster, auch besonders böse ist er nicht. Seine Lügen waren schamlos, aber logisch. Er musste seinen Anlegern etwas vorgaukeln, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Solange sie an ihn glaubten, funktionierte das System - und alle profitierten.

Altinvestoren bekamen, was neue Anleger einzahlten. Madoff ist nicht einmal ein Einzelfall, auch wenn sein Milliardenbetrug alle anderen Finanzverbrechen klein erscheinen lässt. Dutzende Schneeballsysteme sind unter dem Druck der Finanzkrise zusammengebrochen. Scharen von Mini-Madoffs wurden verhaftet.

Was also ist Madoff? Natürlich ist er ein Verbrecher. Aber zugleich ist er ein Symptom für Marktexzesse, in denen die Grenzen zwischen richtig und falsch verschwommen sind. Schläfrige Aufsichtsbehörden und naive Anleger haben seinen Schwindel erst ermöglicht.

Auffällig viele Betrugsfälle sind in den Vereinigten Staaten ans Licht gekommen. Das hat die Amerikaner wachgerüttelt. Unter ihrer neuen Chefin Mary Schapiro ermittelt die Börsenaufsicht SEC eifrig gegen dubiose Geschäftemacher. Die Schläfrigkeit, die die Bush-Regierung der SEC aus blindem Vertrauen in die Selbstregulierungskraft der Märkte verordnet hatte, ist Geschichte. Und die Europäer? Sie stempeln den Fall Madoff als typisch amerikanisch ab - und begehen einen fatalen Fehler.

Ganze Wirtschaftszweige funktionierten in den Jahren vor der Krise nach dem Madoff-Prinzip, und das völlig legal. Allen voran der Immobiliensektor. Gary Mormino, Professor an der University of South Florida, zählte zu den ersten, die darauf hinwiesen: "Florida ähnelt einem Schneeballsystem", sagte er. "Alles läuft bestens, solange morgen wieder tausend Zuzügler eintreffen."

Nach dem gleichen Muster ließen es sich die Spanier und die Iren gut gehen. Bis der Markt zu Boden krachte. Nobelpreisträger Paul Krugmann griff den Gedanken auf und übertrug ihn auf die Finanzindustrie. Solange Banken, Hedgefonds und Beteiligungsgesellschaften mit frischem Kapital Spekulationsblasen aufpumpten, waren sie hoch profitabel.

Doch sie schufen keinen Wert. Die Buchgewinne lösten sich in Luft auf, als das Vertrauen in die Finanzmärkte schwand und die Geldströme versiegten. Genau wie bei einem Schneeballsystem. Nur zur Erinnerung: Die ersten Opfer der Finanzkrise waren Banken aus Europa, insbesondere aus Deutschland.

Eine Lehre aus der Schneeballmisere ist es sicherlich, die Bonuskultur zu ändern. Solange sich Gehaltsprämien an Jahresbilanzen orientieren, belohnen sie, wie Krugman es formuliert, "den Anschein von Gewinn, selbst wenn dieser Anschein sich als Illusion entpuppt". Erste Reformen gehen in die richtige Richtung. Weitere müssen folgen, sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa.

Doch auch die besten Vorschriften werden neue Krisen und Betrüger nicht verhindern können. Das bedeutet: Anleger müssen wachsam sein, immer und überall. Wenn etwas zu gut ist, um wahr zu sein, ist es wahrscheinlich nicht wahr. Man kann es die Madoff-Mahnung nennen - oder einfach gesunden Menschenverstand.

© SZ vom 01.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Madoff, Zumwinkel & Co.
:Gefallene Helden

Ihre Gesichter zierten die Titel der Wirtschaftsmagazine, sie waren Stars der internationalen Finanzwelt. Doch dann kam der Absturz. Die spektakulärsten Fälle in Bildern.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: