Bestattungen:Das Geschäft mit dem Tod

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Das Bestattergewerbe ist im Umbruch: Familienbetriebe sterben aus, Discounter erobern den Markt. Jetzt werden sogar Leichen in Tschechien verbrannt - weil es billiger ist.

Uwe Ritzer

Einmal im Jahr, immer kurz vor Allerheiligen, treffen sich die Totengräber aus den hintersten Winkeln Oberbayerns und Österreichs. Sie falten zuerst in der Kirche fromm die Hände. Dann hauen sie im Dorfwirtshaus Unmengen Braten und Bier weg. Und wenn der erste durstige Hunger gestillt ist, steht einer nach dem anderen auf und erzählt derbe Witze, worauf alle brüllen vor Lachen. Irgendwann packt einer die "Quetsch'n" aus, wie eine Ziehharmonika auf bayrisch heißt, und singt spöttische "G'stanzerl".

Der Trend geht auch bei Bestattungen zur Individualisierung. (Foto: Foto: ddp)

So war es auch jetzt, als 80 Totengräber in Schongau in Südbayern zusammenkamen. Barocke Mannsbilder in krachledernen Hosen hocken da, ruhige, nachdenkliche Zeitgenossen, verschlagene, hagere Gestalten, die in jedem Heimatfilm mühelos den Leibhaftigen spielen könnten.

An den Wirtshaustischen wird munter gefachsimpelt: Wie man sich am leichtesten durch steinigen Lehmboden gräbt, oder ob man dem bisweilen muffeligen Geruch in 1,80 Metern Tiefe besser mit spezieller Atemtechnik bekämpft, oder doch lieber mit Schnaps.

Die skurrile Versammlung wird es vielleicht bald nicht mehr geben: Die Totengräber, so wie sie die Menschen seit Jahrhunderten kennen, sterben aus, selbst im traditionsbewussten Alpenraum. Sie werden ersetzt durch routinierte Dienstleister, deren Tun nicht selten Züge von Eventmanagement aufweist.

Schleichend hat der Tod die Familien und die Häuser verlassen; er ist in Krankenhäuser und Heime ausgewandert. Leichen werden nicht mehr daheim aufgebahrt, sondern in ein dunkles Kühlfach geschoben. Kein Schreiner nimmt mehr ihr Maß; der Sarg kommt von der Stange. Und statt Freunden tragen namenlose, schwarze Gestalten mit geräuschloser Routine den Sarg zum Grab.

Seit 1810 in Preußen die erste gewerbliche Bestattungsanstalt zugelassen wurde, entwickelte sich entlang des letzten irdischen Weges ein lukratives Milliardengeschäft. Vor dem macht neuerdings auch die Globalisierung nicht halt. Auf Friedhöfen wird Geiz geiler und vor allem in Großstädten wird um die leblose Kundschaft härter gekämpft. Dabei ist die Branche eigentlich krisensicher, schließlich kommt ihr niemand aus.

1200 Mitarbeiter bringen jährlich 30.000 Menschen unter die Erde

Das Statistische Bundesamt rechnet für dieses Jahr mit 840.000 Sterbefällen und für 2050 mit einer Million. Die meisten davon landen auf einem der 33.000 deutschen Friedhöfe, wobei knapp die Hälfte der Toten vorher zu Asche verbrannt wird. Experten schätzen den Umsatz im Geschäft mit der menschlichen Endlichkeit auf bis zu 15 Milliarden Euro. Steinmetze verdienen daran, Gärtner, Friedhofsmusiker, Betreiber von Friedhöfen und Krematorien, vor allem aber die 3800 Bestatter.

Oliver Schulz käme sich auf der rustikalen Totengräber-Treffen vermutlich deplatziert vor. Er ist auch kein Bestatter, obwohl er den branchentypischen dunklen Anzug trägt. Der 37-Jährige ist Vorstandsvorsitzender der Ahorn-Grieneisen AG, dem größten deutschen Bestattungsunternehmen. Seine 1200 Mitarbeiter in 250 Filialen bringen jährlich 30.000 Menschen unter die Erde.

"Damit haben wir einen Marktanteil von nicht einmal dreieinhalb Prozent", wehrt sich Manager Schulz gegen das hässliche Wort "Bestattungskonzern". Folgerichtig heißt die Ahorn-Grieneisen-Zentrale im Berliner Westend auch "Haus der Begegnung", mit Grünpflanzen, Kunstausstellungen und Vorträgen im Foyer.

Separat gibt es zwei fensterlose "Abschiedsräume" mit Korbsesseln und Kerzenständern, sowie eine helle Trauerhalle. Raumklima, Licht- und Tontechnik sind perfekt, jedenfalls viel besser als in den meisten deutschen Friedhofskapellen. Das große Kreuz an der Stirnseite steht auf Rollen, schließlich glaubte nicht jeder Verstorbene an den Gekreuzigten.

Der Weg zum Vorstandschef führt vorbei an einem Büro, auf dessen Türschild "Vertriebsteam Berlin" steht. Ahorn-Grieneisen wartet nicht auf Tote, er sucht sie. Allein in Berlin, wo alle Viertelstunde ein Mensch stirbt, wolle man bis Ende 2008 die Zahl der Filialen von 38 auf über 50, und den Marktanteil auf 20 Prozent steigern, sagt Schulz. Börsenfähig und vor allem größer soll er Ahorn-Grieneisen machen.

"Bundesweit 15 Prozent Marktanteil sind ein erstrebenswertes und realistisches Ziel. Jeden Tag ruft mindestens ein Bestatter an und bietet uns seinen Betrieb an", sagt Schulz. Meist wegen Nachfolgeproblemen. Ahorn-Grieneisen greift gerne zu, auch wenn das nicht oft publik wird. Die neuen Filialen laufen unter altem Namen weiter, wie beispielsweise in Bayern die Denk-Gruppe.

"Der Mainstream ist und bleibt aber auch in Zukunft der Familienbetrieb mit einem regional begrenzten Markt", sagt Rolf Lichtner, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Bestatter (BDB). Er meint Betriebe wie jenen von Klaus Böhner im fränkischen 18 000-Seelen-Städtchen Weißenburg. Der kleine Mann mit dem schwarzgrauen Bart ist 62 Jahre alt und besucht selbst Freunde nicht mehr, wenn die im Krankenhaus liegen, seit einer ihn mal mit der Frage begrüßt hat: "Schaust du schon, wann du mich holen kannst?" Abgesehen von solchen kleinen Frotzeleien ist er im Weißenburger Land anerkannt. Klaus Böhner beerdigt etwa 300 Menschen pro Jahr.

Das Wort "Vertrieb" würde er nie in den Mund nehmen, geschweige denn an eine Bürotüre schreiben. Er akquiriert keine Kunden, er wartet, bis sie kommen. "Dann frage ich: Wie wollt ihr die Beerdigung haben, was darf alles kosten", erzählt er. Trauernden Hinterbliebenen überteuerte Leistungen oder Produkte aufzuschwatzen, könnte er sich nicht leisten. Schließlich läuft man sich auf dem Land bald wieder über den Weg, im Wirtshaus, im Sportverein, beim Einkaufen.

Böhner war Elektromaschinenbaumeister und "hatte von der Materie keine Ahnung", als ihm das Geschäft mit dem Tod vor 24 Jahren angeboten wurde. "Als erstes habe ich mir ein Gesetzbuch gekauft, damit ich weiß, was ich tun darf und was nicht."

Eine Art Bestattungs-Aldi

Bestatter werden kann jeder. Ein Gewerbeschein, ein Schreibtisch und ein Telefon genügen. Manche sind reine Leichenmakler, die für die Leichenwäsche und das Einsargen Subunternehmer engagieren. Seit 2003 bietet der BDB eine Ausbildung an, getreu der europäischen DIN-Norm 1507. Im Bildungszentrum im unterfränkischen Münnerstadt kann man lernen, wie man Toten das letzte Hemd anzieht, sie ordentlich bettet, die Leichenhalle für die Trauerfeier dekoriert und einfühlsam mit Hinterbliebenen umgeht. "Ein guter Bestatter ist ein sensibler Dienstleister mit großem Anspruch an seine Arbeit", sagt Verbandsgeschäftsführer Lichtner. Hartmut Woite hingegen sei nur "ein Entsorger auf hohem Niveau".

Der 64-jährige Berliner ist für viele Berufskollegen das Schmuddelkind der Branche und deswegen haben sie ihn auch aus ihrem Verband geworfen. Woite brach ein Tabu, als er 1983 die Firma "Berolina Sarg-Discount" gründete, eine Art Bestattungs-Aldi.

Der Vergleich stört Woite nicht. "Warum dieses erfolgreiche Geschäftsprinzip nicht umsetzen", habe er sich damals gedacht, sagt er. Inzwischen gibt es immer mehr Bestattungs-Discounter. Woite trägt feines Tuch und sitzt entspannt in einer seiner fünf Berliner Filialen. Eine Urnen-Vitrine, ein Schreibtisch, eine Sitzecke, eine kleine Sargauswahl - von allem nur das Nötigste. Berolina Sarg-Discount wirbt mit Pauschalangeboten wie: "Komplettpreis Feuerbestattung inklusive Einäscherung und Grabstätte ab 888 Euro."

Getreu dem Aldi-Prinzip kauft Woite Ware in großen Mengen dort ein, wo sie am günstigsten ist. Särge und Sargwäsche zum Beispiel in Tschechien und bald wohl in der noch billigeren Ukraine. Und nahezu täglich schickt Hartmut Woite frühmorgens einen braunen Transporter mit vier Leichen im Laderaum auf eine 400 Kilometer lange Reise nach Hrusovany, ein tschechisches Dorf gleich hinter der Grenze bei Chemnitz.

Die Angst vor knauserigen Verwandten

Etwa 170 Euro kostet es, im dortigen Krematorium einen Menschen einzuäschern. In Berlin ist es etwa 100 Euro teurer. Obwohl auch viele andere Bestatter nicht das nächstgelegene, sondern das günstigste Krematorium ansteuern, wird Woite pietätloser Leichentourismus vorgeworfen. "Um zu zeigen, dass alles korrekt zugeht", organisiert er alle paar Monate Kaffeefahrten ins Krematorium.

Im Reisebus geht es nach Hrusovany und wer will, darf einen Blick durch das Guckloch am Ofen werfen und zuschauen, wie ein Mensch bei 1100 Grad binnen einer Stunde pulverisiert. "Die Leute sind immer überrascht, wie sauber alles ist", schwärmt Woite von seinem Lieblings-Krematorium. "Das sieht da aus wie ein Restaurant oder eine Ferienanlage, bestens ausgestattet und sehr gepflegt." Die langen Busfahrten nutzt er auch zur "Beratung".

Das Zauberwort der Branche heißt "Vorsorge". Seit 2004 das Sterbegeld der gesetzlichen Krankenversicherung gestrichen wurde, ist nicht nur Sparen auf dem Friedhof angesagt. Offenkundig aus Angst, von knauserigen Verwandten verscharrt zu werden, versichern immer mehr Menschen ihr letztes Zeremoniell.

Ahorn-Grieneisen ist auch hier Vorreiter. Das Unternehmen gehört praktischerweise der Ideal-Versicherung. In deren Vorsorge-Policen steht kleingedruckt, dass der Versicherungsnehmer dereinst ausschließlich von Ahorn-Grieneisen bestattet wird.

"Trend zur Individualisierung"

Der Journalist Michael Schomers hat ein Jahr lang in der Branche recherchiert. Er beklagt, es gebe "skrupellose Großunternehmen", denen es nicht um Menschlichkeit und Würde beim Sterben gehe, "sondern nur um das Geldverdienen". In seinem Buch "Todsichere Geschäfte" enttarnt er Discount-Angebote als Mogelpackungen.

Er berichtet, wie für den garantierten Erstzugriff auf frische Leichen manche Bestatter Krankenhäusern und Pflegeheimen Provisionen zahlen. Und er beschreibt, wie manchmal mit der Leiche im Sarg auch die Gummihandschuhe des Bestatters vergraben oder verbrannt werden - um Müllgebühren zu sparen. "Man darf nicht verallgemeinern", warnt Alexander Helbach von der Verbraucherinitiative Aeternitas. "Aber bei Billiganbietern gibt es mehr schwarze Schafe als bei alteingesessenen Familienunternehmen."

Befeuert wird das letzte Geschäft zunehmend vom "Trend zur Individualisierung", wie BDB-Geschäftsführer Lichtner sagt. Vor allem, wenn der Abgang von dieser Welt als letztes Ereignis inszeniert werden soll. So verkaufen sich die grellbunten Särge einer Berlinerin inzwischen bundesweit. Wer seine Asche statt in einem dunklen Erdloch in einer von Künstlerhand geschaffenen Stele gebettet wissen möchte, ist für 1000 Euro in der Erfurter Allerheiligenkirche richtig. Naturliebhaber können ihre Asche in einem "Friedwald" unter einen Baum lagern lassen.

Ein fränkischen Betonbauer bietet eine Turbo-Grabkammer an - mit garantiert schneller Verwesung. Und Fans des Hamburger SV finden von 2008 an gleich neben der Westtribüne des Stadions im "HSV-Friedhof" ihre letzte Ruhe. Auch der Bestatterverband ist kreativ und strahlt bald den ersten Trauer-Fernsehkanal aus. "Nachrufe, Beiträge über Krematorien, Bestattungsriten in anderen Kulturen, oder Kirchenthemen, aber kein Düster-Arte" verspricht Geschäftsführer Lichtner.

Sepp Schmid, einer der Totengräber, die sich in Schongau trafen, kann sich über all das nur wundern. Schmid, der in Bichl in Oberbayern zu Hause ist, will kein anonymer Dienstleister für die letzten irdischen Dinge werden. In dem 2000-Seelen-Ort kennt jeder jeden. Und wenn Schmid mit Schaufel und Pickel einem anderen eine Grube gräbt, denkt er nach über den, für den er das tut.

(SZ vom 27./28.10.2007/mah)

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