Beschluss des Verfassungsgerichts:Neue Erbgerechtigkeit

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In einer wunderbar klugen Entscheidung hat Karlsruhe den Gesetzgeber aufgefordert, das Erbschaftssteuersystem leidlich gerecht zu konstruieren. Der kleine Mann kann sich darüber freuen, dass künftig große Erbmassen so klar bewertet werden müssen wie das kleine Sparbuch.

Heribert Prantl

Ein Erbe hat zwei natürliche Feinde: Erstens den Miterben, die ihm sein Erbe streitig macht. Zweitens den Staat und seine Erbschaftssteuer. Diese Steuer trifft das Vermögen in einem Zeitpunkt, in dem es seinen alten Herrn verloren, aber der neue Erwerber es noch nicht richtig im Griff hat.

Diesen psychologisch günstigen Zeitpunkt hat erstmals der römische Kaiser Augustus ausgenutzt, als er die Erbschaftssteuer einführte, um sein Heer zu finanzieren.

Sich der Erbschaftssteuer zu entwinden ist seitdem das Ziel juristischer Kunstfertigkeit - diese Kunst funktionierte bisher bei großen Vermögen ziemlich gut. Künftig wird das, dank der fulminanten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, schwieriger werden.

Bilanztechnische Möglichkeiten

Die Kunst, Erbschaftssteuern zu sparen, funktionierte bisher dann besonders gut, wenn ertragsstarke Unternehmen vererbt wurden - solche also, die in der Lage sind, von bilanztechnischen Möglichkeiten reichlich Gebrauch zu machen.

Das Erbschaftssteuergesetz machte nämlich den "Steuerwert" , nicht den Ertragswert zum Ansatzpunkt für die Erbschaftssteuer. Weil die Erbschaftssteuer aber eine Punktsteuer ist, also zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt fällig ist, konnte der Steuerwert zu diesem Zeitpunkt bilanztechnisch klein gehalten werden.

So pfiffige Möglichkeiten standen dem, der ein ein Geldvermögen, klassischerweise ein Sparbuch erbt, nicht zu Gebote. Geld ist Geld, der Wert ist klar, da gibt es nichts zu tricksen.

Salomonisch

Karlsruhe hat nun in einer wunderbar klugen, einer salomonischen Entscheidung den Gesetzgeber aufgefordert, das Erbschaftssteuersystem neu, verständlich und leidlich gerecht zu konstruieren.

Das Gericht hat keine Revolution veranstaltet, es hat keines der bisherigen Erbschaftssteuer-Privilegien verboten: Es hat also weder Hausbesitzer noch Unternehmer neu belastet. Es hat aber vom Gesetzgeber verlangt, aus dem Erbschaftssteuerchaos, in dem sich die Vermögenden mit Hilfe von Juristen gut eingerichtet hatten, eine übersichtliche Angelegenheit zu machen.

Das Gesetz soll künftig klar und deutlich sagen, wer von der Erbschaftsteuer ganz oder teilweise befreit wird und warum.

Das heißt: Bisherige Privilegien für Landwirte oder Unternehmer sind nicht einfach abgeschafft worden. Der Gesetzgeber muß sie aber künftig offen ausweisen und begründen.

Transparenz

Er muss in den Erbschaftssteuergesetzen darlegen, wen er wie begünstigt und warum. Auf diese Weise sollen die Steuervergünstigungen vergleichbar gemacht werden. Es geht den Richtern nicht um den Umsturz des bisherigen Systems, sondern um seine Transparenz.

Die bisherigen, im System versteckten Privilegien müssen sich neu legitimieren. Vom Lamento der beunruhigten Lobbys darf man sich nicht irre machen lassen: Die höchsten Richter geben dem Gesetzgeber für die Reform einer gute Richtschnur an die Hand, wie sie Gesundheits-, die Renten- und Föderalismusreform nicht hatte und hat.

Viel Raum für politische Entscheidungen

Die 108 Seiten des Urteils sind ein Grundkonzept, das viel Raum lässt für politische Entscheidungen für die Abschaffung der Erbschaftssteuer (zu der es nicht kommen wird) genauso wie für ihre kräftige Erhöhung. Klar aber ist die Forderung: Wenn Erbschaftssteuer, in welcher Höhe auch immer, dann klar und gerecht.

Die Richter forden daher, dass künftig erst einmal der Wert des Erbes (sei es Grund und Boden, sei es Betriebsvermögen) nach seinem wirklichen Wert, dem Verkehrswert, zu erfassen ist; in diese Wertermittlung sollen künftig nicht schon, wie bisher, politische Erwägungen einfließen; der Wert eines bestimmten Erbes soll nicht aus politischen Gründen heruntergerechnet werden.

Erst in der zweiten Stufe

Die politische Erwägungen, welche Erbschaften aus Gemeinwohlgründen besonders begünstigt werden sollen, werden erst in einer zweiten Stufe des künftigen Gesetzes zum Zuge kommen: Erst dann geht es darum, wer subventioniert wird, erst dann wird berücksichtigt, wer (weil es, bei Unternehmen, um die Erhaltung von Arbeitsplatzen oder, bei Bauernhöfen, um die Erhaltung der Kulturlandschaft geht) weniger Erbschaftssteuer zahlen muß, womöglich sogar gar keine.

Bisher war es so, dass die Priviligien auf unterschiedlichste Weise schon bei der Ermittlung des Werts eines Hauses, Bauernhofs oder Betriebes eingearbeitet waren - und zwar so, dass nicht mehr feststellbar war, wie hoch die Begünstigung war und schon gar nicht vergleichbar mit anderen Begünstigungen. Diese Vergleichbarkeit soll das künftige Erbschaftssteuerrecht leisten.

Für die Masse der Erben ändert sich mit der Karlsruher Entscheidung nichts; die bisherigen Freibeträge bleiben so unangetastet wie die nach Verwandtschaftsgrad gestaffeleten Erbschaftssteuerklassen.

Weiterhin Privilegien

Der kleine Mann kann sich darüber freuen, dass künftig große Erbmassen so klar betrachtet und bewertet werden müssen, wie das kleine Sparbuch. Er wird sich aber damit abfinden müssen, dass es weiterhin Privilegien für große Erben und Erbmassen geben wird. Aber diese Privilegien werden sich nicht mehr im Paragrafendickicht verstecken können.

Bisher war das Erbschaftssteuerrecht wie ein Irrgarten auf dem Oktoberfest, der voller Konvex- und Konkav-Spiegel steht - die alles verzerrt wieder geben: Große Vermögen sahen klein aus, kleine groß. Ein neues Erbschaftsrecht muß so aussehen, dass das Gesetz den Wert des Vermögens erst einmal richtig erfasst und abbildet - und dann regelt, wieviel davon als Steuer abgeschöpft wird.

Bessere Bagatellsteuer

Der Staat kann und muß sich überlegen, ob es dabei bleiben soll, dass die Erbschaftssteuer nur eine bessere Bagatellsteuer darstellt: Sie macht sie nicht einmal ein Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus.

Die Spaltung der Gesellschaft, die der Politik in diesem Land zu schaffen macht und an der die Demokratie leidet, zeigt sich nämlich auch bei den Erbschaften: Immer weniger Menschen vererben immer mehr; und immer mehr Menschen vererben immer weniger - auch deswegen, weil kleinere Vermögen neuerdings von den Pflegekosten aufgefressen werden.

Prekäre Mittelschicht

Früher waren die, die nur Nachkommen (lateinisch proles), aber kein Erbe hinterließen, "Proletarii". Heute gibt es nicht nur Unterschicht, sondern auch eine prekäre Mittelschicht. Ein neues, zupackenderes Erbschaftssteuerrecht könnte dazu beitragen, dass es die Gesellschaft nicht zerreißt.

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