BayernLB: Neu-Chef Kemmer:Ja, aber - die Stunde des Chirurgen

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Der neue Chef der BayernLB hatte seinen ersten großen Auftritt: Michael Kemmer musste erklären, warum seine Bank so viel Geld verliert.

Hans von der Hagen

In Bankenkreisen kursiert ein Handbuch der BayernLB. Nicht, weil es so witzig oder brisant wäre, sondern weil in ihm besser als anderswo beschrieben wird, wie der Markt für ABS funktioniert. ABS - das sind asset-backed securities, mithin auch jene Wertpapiere, die jetzt die größte Finanzmarktkrise seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst haben.

Sie "bieten dem Anleger viele Vorteile", heißt es in dem Handbuch, er sollte allerdings jedes Papier "individuell analysieren und bewerten".

Als am Donnerstag der neue Chef der BayernLB, Michael Kemmer, vor die Presse trat, musste er erläutern, warum genau das bei seiner Bank nicht richtig funktioniert hat. Warum eine halbstaatliche Bank mehr als 30 Milliarden Euro in einen Bereich investiert hat, dessen Mechanik sie womöglich verstanden hat, aber nicht dessen Brisanz.

Erst vor vier Wochen hat Kemmer die Nachfolge von Werner Schmidt angetreten, den die Bank mitten in der Kreditkrise gefeuert hatte. Kemmer sitzt zwar schon seit fast zwei Jahren im Vorstand der BayernLB, aber es war sein erster großer Auftritt in der Öffentlichkeit - und angesichts der jüngsten Zahlen, politischen Gerüchte und der Turbulenzen an den Finanzmärkten ein enorm schwieriger.

Mann der Zahlen

"So, jetzat", sagte der Chef der bayerischen Bank im heimischen Idiom zu den vielen Fotografen. Es kam zu schwach, um den Schwarm zu verdrängen.

Nur mühsam verschaffte sich Kemmer in dem Sitzungsraum der BayernLB das Wort - zu groß war das Interesse an seiner Person, zu wenig hatte man bisher von ihm gesehen.

Erst nach mehreren "So" wurde es ruhig. Kemmer konnte endlich seine merkwürdig gewundene Entschuldigung loswerden, die den Beginn seiner Ausführungen markierte. "Die BayernLB stand in den letzten Monaten sehr stark in der öffentlichen Kritik", las Kemmer vom Blatt ab: "Auslöser dafür waren Fehler in unserer Kommunikationspolitik."

Er wolle das Thema nicht weiter ausführen und auch "keinerlei Schuldzuweisung betreiben" - aber dafür sei das Vorstandsgremium "gesamtverantwortlich", so dass er sich selbst nicht ausnehmen "kann und werde".

Besser, das war klar, kann man sich nicht freisprechen.

Eingeständnisse, dass die BayernLB Fehler gemacht hat, dass in dem Zahlenwerk der Bank hässliche Minuszeichen stehen, sind nicht die Welt des Herrn Kemmer, obschon er "Offenheit, Transparenz und Klarheit" als neue "Richtschnur der Unternehmenskommunikation" ausgibt und sich auch erkennbar darum bemüht.

Doch jede Entschuldigung wird von einem Einwand begleitet: Ja, es sind Fehler gemacht worden, aber tatsächlich ist alles gar nicht so schlimm. Eigentlich waren die Investitionen in den US-Immobilienmarkt sinnvoll, aber man habe die Brisanz und Dynamik des Marktes zu spät erkannt. Ja, die Lasten sind größer als noch vor wenigen Wochen gedacht, aber das liegt an der zuletzt noch viel desaströseren Lage an den Finanzmärkten. Ja, die Eigenkapitalrendite ist von 16,4 Prozent auf 0,8 Prozent geschrumpft, aber wenn die Subprimekrise nicht gekommen wäre, stünde die Bank gut da.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie notfalls der Steuerzahler herangezogen werden soll.

Andere probieren, schlechte Nachrichten durch joviales Auftreten zu kaschieren - Kemmer egalisiert sie durch Zahlen.

Und so blüht der Bankmanager bei der Präsentation der ersten Ziffern und Tabellen förmlich auf. Redet frei, lächelt, erklärt, nimmt die Hände vom Manuskript, stützt sie in die Hüfte oder gestikuliert. Kurz: Die Zahlen sind seine Welt, da fühlt er sich wohl.

Oft genug fällt bei ihm das Wort "Hausaufgaben". Und er lässt mit seinem Auftritt und seiner zackig betonten Sprache keinen Zweifel daran, dass er der richtige Mann ist, in dieser schwierigen Verfassung für die BayernLB die Hausaufgaben zu erledigen. Weil er weiß, was in den Tabellen steht und was sie bedeuten.

Alles abgeschirmt

So wie ein Chirug seinem Patienten den bevorstehenden Eingriff mit einfachen Worten erklärt, begründet Kemmer den Anwesenden, welche Schnitte nun an der BayernLB vorgenommen werden müssen.

Und erweckt den Eindruck, als handele es sich aller Dramatik zum Trotz nur um einen Routineeingriff. Der Vorstand nehme die aktuelle Finanzmarktkrise "sehr ernst", auch wenn er keine "unmittelbare Bedrohung" für die Bank erkennen könne. Ach ja, und um künftige Belastungen abzuwenden, müssten "theoretische Ausfallrisiken" in Höhe von sechs Milliarden Euro "abgeschirmt" werden.

1,2 Milliarden Euro davon würden bei Eintritt eines Verlusts von der Bank selbst getragen werden, die restlichen 4,8 Milliarden müssten die Eigner übernehmen. Dies sind die Sparkassen und der Freistaat Bayern - letztlich also der Steuerzahler. Gegebenenfalls könnte sich auch noch ein Finanzinvestor daran beteiligen.

Die Summe von sechs Milliarden Euro, also ein Viertel des für die Bank relevanten ABS-Portfolios von 24 Milliarden Euro, sei von Experten als Summe genannt worden, die "den Markt beruhigen würde".

Also: Alles halb so schlimm, alles abgeschirmt.

Mit einem neuerlichen "So", weit kräftiger und entschiedener als das Eingang-"So, jetzat", schließt Kemmer den kritischen Teil seiner Ausführungen ab und kommt zum schönen Rest, denn "eigentlich" gehe es der Bank gut, wie gesagt.

"Die Ergebnisse der einzelnen Kundensegemente zeigen die gute operative Stärke der Bayern LB", betont Kemmer. Er legt einen Chart auf, bei dem alle Geschäftsbereiche artig im Plus liegen.

Den großen Minusbalken im Geschäftsfeld Financial Markets habe man leider draußen lassen müssen, entschuldigt Kemmer, weil er "auf dieser Folie keinen Platz mehr gehabt hat". Alles Routine eben.

Kemmer, der Zahlenmann. Kemmer, der Bilanzchirug - die BayernLB hat mit dem promovierten Finanzmann einen schnörkellosen Chef bekommen, der das Haus bestellen soll. Der künftige Investments nicht nur, wie im Handbuch des Hauses gefordert, individuell analysieren und bewerten kann, sondern womöglich auch deren Dynamik entdeckt. Und der später zu sagen vermag, welche Rolle die Landesbank künftig überhaupt noch spielen soll.

Man wird das Gefühl nicht los, dass Kemmer das schaffen könnte. Im neuen Stil des Hauses: So, jetzat.

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