Bauen in München:Yuppies kommen ins Westend

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Im Münchner Westend entstehen 1500 neue Wohnungen und 5000 Arbeitsplätze: Das einstige Arbeiter-Viertel wird luxuriös.

Wolfgang Görl

Vielleicht sind sich Caroline Iserlohe und Andreas S. schon einmal begegnet. Vielleicht am U-Bahnhof Schwanthaler Höhe oder im Laden von Therese Schifferl, wo es Äpfel und Birnen gibt, Bier, Cola, Leberkäs, luftdicht verschweißte Weißwürste, kurz gesagt: alles, was man zum Überleben in der Heimeranstraße braucht.

Hinten - in orange - der Park-Plaza-Turm, entworfen von Otto Steidle. Die Meinungen über die Architektur sind extrem. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Sollten die beiden sich dort wirklich getroffen haben, dann hoffentlich am frühen Morgen, wenn man verschlafen ist und maulfaul. Andernfalls wäre vielleicht das Neubauviertel gegenüber zur Sprache gekommen, und Pianistin Iserlohe, die scharfe Worte ebenso präzise zu setzen weiß wie Töne auf dem Klavier, hätte gesagt: "Ich frag mich, welcher Idiot sich hier im ersten Stock einmietet, um dann in ein paar Metern Entfernung irgendwelche Büroeingänge zu sehen." Und Bankkaufmann Andreas S. hätte antworten müssen: "Pardon, meine Dame, ich hab' mich da eingemietet. Zwar nicht im ersten Stock, sondern im neunten, in dem gelben Wohnturm da drüben. Schön dort."

Ehemaliger lichter Ausblick

Den Satz mit dem Idioten hat Caroline Iserlohe tatsächlich gesagt. Nicht zu Andreas S., sondern beim Lokaltermin im Westend, wo sie seit zehn Jahren in einer Altbauwohnung im Parterre wohnt. Wenn sie früher aus dem Fenster blickte, sah sie die Messehalle Nummer 10, ein niedriges Gebäude, das ihr kaum Licht stahl. "Einmal im Monat kam ein Lkw-Konvoi mit Messebauten, ansonsten war es hier tot."

Ausblick auf Glas und Granit

Jetzt schaut sie auf die mächtige Glas-Granit- Fassade des so genannten Park Loft - sieben Stock hoch, ein Werk des Wiener Architekten Adolf Krischanitz. Dahinter der 43 Meter hohe Wohnturm mit dem kostbaren Namen Park Plaza, den der Münchner Architekt Otto Steidle geplant hat.

Andreas S. ist dort eingezogen. Rechter Hand schließlich die Schmalseite des KPMG-Komplexes, der ob der üppigen Farbgebung als "Villa Kunterbunt" firmiert.

Urteil der Nachbarn: "Griff ins Klo"

Die drei Gebäude gehören zu den ersten, die auf dem ehemaligen Münchner Messegelände fertiggestellt sind. Ob sie Münchens architektonischen Ruhm steigern oder eher als Schandfleck dienen, ist durchaus umstritten. Caroline Iserlohe spricht aus, was nicht wenige Alteingesessene denken: "Das ist der absolute Griff ins Klo", sagt sie. "Wo haben die bloß Architektur studiert?"

Architekt mit Ruf

Nun, Professor Otto Steidle, der den städtebaulichen Masterplan für das Areal konzipiert hat, ist nicht nur Mitglied diverser Kunstakademien, er hat auch etliche Architekturpreise eingeheimst, unter anderem den der Stadt München.

Andere Meinungen

Wer beispielsweise mit dem KPMG- Vorstandsmitglied Axel Berger über das Projekt Theresienwiese spricht, wird allerlei feierliche Töne über dieses "höchst attraktive neue Wohn- und Bürozentrum hören".

Auch der Architektur-Journalist Wolfgang Bachmann rühmt in einem einschlägigen Bildband Steidles Gesamtkonzept: "Selten hat man einen Plan gesehen, der sich so wenig auf romantische Tümelei einlässt, aber gleichzeitig keine strenge Räson, kein gnadenloses Raster vorzeichnet, nach dem die künftige Bebauung einschraffiert werden soll."

Baustelle und was draus wird

Staubschwaden fegen über den alten Messeplatz, Betonmischfahrzeuge pflügen durch tiefe Pfützen, von der Baustelle des 70.000 Quadratmeter großen Gebäude-Ensembles "Theresie" dröhnt gewaltiger Maschinenlärm. In aufeinander gestapelten gelben Baucontainern gehen Männer in Arbeitskluft ein und aus. Hier, hinter dem breiten Bronzerücken der Bavaria, entsteht auf insgesamt 45 Hektar ein Quartier, das Stadtbaurätin Christiane Thalgott als "eines der bedeutenden Stadtentwicklungsprojekte Münchens in diesem Jahrzehnt" bezeichnet. Um den 150 Jahre alten Bavariapark wächst ein Viertel, das einmal 1500 Wohnungen sowie etwa 5000 Arbeitsplätze haben wird, dazu eine Grundschule, ein Jugendzentrum, Kindereinrichtungen sowie das Museum für Verkehr und Mobilität, das in die denkmalgeschützten Messehallen aus den Jahren 1907/08 einzieht. Hier soll es Läden geben, Büros, kleinere und mittlere Unternehmen der Dienstleistungs-, Medien- und IT-Branche, auch traditionelles Handwerk.

Einzüge

Derzeit fährt Hochhausbewohner Andreas S. noch zum Walmart in die Ingolstädter Straße, um seinen Single-Haushalt mit Essbarem aufzufüllen. Für die Zukunft hofft er auf die "Theresie", deren Glasfassade sich in eine Kurve der Heimeranstraße schmiegt. 270 Millionen Euro hat die Deutsche-Bank-Tochter DB Real Estate in den Büro- und Wohnkomplex aus fünf Gebäuden investiert. Neulich hat man das Pharmaunternehmen "GlaxoSmithKline" als ersten Mieter präsentiert; auch Edeka hat Einzelhandelsflächen gemietet.

Yuppies kommen ins Westend

Es ist schon vorgekommen, dass Karl Braun die Altbauquartiere des Westends durchstreift, um mittags mal auswärts zu essen. Braun ist Wirtschaftsprüfer in Diensten der KPMG, dem größten Prüfungs- und Beratungsunternehmen in Deutschland. Im März ist das Unternehmen, dem die alte Wirkungsstätte im Arabella-Park längst zu klein war, auf die Theresienhöhe gezogen. Sie sind Pioniere. Die ersten, die das neue Viertel eroberten.

Seitdem spuckt die U-Bahn allmorgendlich meist junge Leute mit Aktenköfferchen oder modischen Rucksäcken aus, gediegen gekleidet mit einem gelegentlichen Stich ins Yuppiehafte, und nach ein paar Schritten verschwinden sie im säulenbestückten Portal des Eingangshofs.

Glückliche Arbeiter

Hinter der lang gestreckten Glasfassade an der Ganghoferstraße, auf der grüne, gelbe und orangerote Keramikflächen ihr Farbenspiel treiben, hat Karl Braun sein Büro. "Das Gebäude passt extrem gut zu unseren Bedürfnissen", sagt der Wirtschaftsprüfer. Sogar die Art zu arbeiten habe sich geändert: Man spricht viel mehr miteinander, weil die Transparenz des Hauses zur Kommunikation einlädt. Prokuristin Monika Wodarz fügt hinzu: "Man hat jetzt viel größere Chancen, die Kollegen zu treffen." Die da drinnen, so scheint es, sind höchst einverstanden mit Otto Steidles Architektur.

Und die da draußen? "Dieses bunte Spätachtziger-Gerümpel ist ja völlig daneben", sagt Caroline Iserlohe. Aber dann vollzieht sie ein überraschende Wende: "Das ganze Viertel wird sich ändern. Ich bin schon gespannt auf den südlichen Teil, wo normale Leute einziehen und nicht nur diese anthrazitfarbenen Mäuschen. Das Ganze wird jünger, szeniger. Ich freu mich drauf."

Wandel bringt Mietsteigerung

Auch Ludwig Wörner glaubt, dass sein Viertel sich wandeln wird. Freude allerdings kommt bei ihm nicht auf. Wörner, der örtliche Bezirksausschuss-Vorsitzende, fürchtet, dass die Mieten steigen und ein Verdrängungswettbewerb einsetzt, wenn die Damen und Herren aus den noblen Büros das Westend für sich entdecken. "Die Wünsche der Bürger sind ignoriert worden", wettert der SPD-Landtagsabgeordnete Wörner. Viel zu hoch sei die Baudichte, "das Grün ist auf der Strecke geblieben, und der preiswerte Wohnungsbau, den wir bräuchten, ist nicht vorhanden". Und dann noch das Hochhaus! "Das passt nicht in die Gegend. Das ist Steidles Rache, weil wir nicht wohlwollend waren."

Das Viertel im Roman

Das Westend. August Kühn hat es beschrieben, der Arbeiter- Schriftsteller. In seinem Roman "Zeit zum Aufstehen" schildert er das Schicksal einer Proletarierfamilie über vier Generationen. Die Dreckarbeit in den Fabriken, die engen Wohnungen, die Willkür der Justiz, die Räterepublik, der Nazi-Terror - das alles im Arbeiterviertel Schwanthaler Höhe.

In den Kneipen

Die Spuren sind verweht. Jetzt sind Türken, Griechen, Afrikaner, Serben und Kroaten in die Underdog-Rolle geschlüpft. Einige von ihnen, ältere Männer in Anoraks, spielen in der Dämmerung Schach auf dem Georg-Freundorfer-Platz. Zwei Türkenjungen jonglieren mit dem Fußball. Ballkünstler alle beide. In der Kazmairstraße, am griechischen Lokal "Symposion", hängt eine Tafel: "20 Jahre der gleiche exzellente Koch und eine ausgewählte Bedienung mit Herz." Ein paar Meter weiter die Kneipe "Zur lustigen Kölnerin". Aus der Jukebox dröhnt eine alte Police-Nummer, Every Breath You Take. Eine Ansicht des nächtlichen Köln hängt vor dem Fenster; davor, an der Theke, trinkt einer Weißbier. Feierabend. "Morgen ist Betriebsversammlung", sagt er. "Da hör ma dann, wias weiter geht." Die lustige Kölnerin sagt ein paar tröstende Worte allgemeiner Natur. Ein anderer hängt am Spielautomanten, eine jüngere Sumpfblüte, deren Jeans einem harten Reißtest ausgesetzt ist, erzählt was von ihren Träumen. Noch einer sitzt am Tresen, der fingert im Geldbeutel herum. "Zählst du Flöhe oder watt?", fragt die Wirtin. Die Nacht, das ist klar, wird feucht.

Geld bleibt im Viertel

Zu dieser Stunde hat Therese Schifferl noch einen Kunden, der sich für den Abend mit Lebensmitteln eindeckt. Seit 34 Jahren betreibt sie ihren kleinen Laden in der Heimeranstraße, der jetzt im Schatten des Park-Loft- Riegels liegt. Damals, als sie angefangen hat, "war das Westend überaltet". Die besten Geschäfte hatte sie mit den Leuten gemacht, die auf der Messe arbeiteten. "Die haben alle eine Brotzeit gebraucht." Kaum war die Messe nach Riem gezogen, herrschte Flaute im Laden. Seit dem Einzug der KPMG-Belegschaft geht es wieder aufwärts.

"Zwischen zwölf und drei bewegt sich was, die kommen raus und beleben das Viertel. Es profitiert jeder a bissl." So lässt sich verschmerzen, dass die Architektur des neuen Quartiers nicht ganz nach ihrem Geschmack ist: "Koan Menschen gfällt des. Schauns eahna die Balkone an." Sie deutet hinüber aufs Steidle-Hochhaus. "Die hockn ja direkt aufeinander. Da kann man ja dem Nachbarn das Salz in die Suppe streuen."

Verkalkulierte Planung

In Schifferls Lebensmittelladen dreht sich die Stimmung nun bedenklich gegen das Projekt Theresienhöhe. Auch der Kunde, der ein paar Häuser weiter wohnt, lässt sich zur Kritik hinreißen. Weil man so hoch gebaut habe, "ist bei mir jetzt im Winter dunkel." Dann der Baulärm, der ewige Staub, "des kann ma kaum daschnaufn". Den Schuldigen hat der Mann bereits ausgemacht: "Wir lieben alle den Ude, solange er nicht in unsere Nähe kommt." Bei Therese Schifferl hat die Skepsis inzwischen vollends die Oberhand gewonnen: "Ich denke, die haben sich ganz schön verkalkuliert. Die Hälfte der Büros wird sowieso leer bleiben. Immer nur Büros! Anstatt dass sie bezahlbare Wohnungen hinbauen."

Auch günstige Wohnungen

Die günstigsten Quartiere wird es im südlichen Teil der Theresienhöhe geben, wo unter anderem Mietwohnungen im sozialen Wohnungsbau oder gemäß dem "München Modell" entstehen, das auf Familien mit mittleren Einkommen zugeschnitten ist. Ute Gossow aber, die in diesem Moment Feierabend macht, verkauft exquisitere Objekte. Am Nachmittag hat sie eine Kundin in spe durchs Plaza Loft geführt. 28 Wohnungen gibt es da, gut die Hälfte ist verkauft oder reserviert. "Schauen Sie", sagt Ute Gossow, eine Zweizimmer- Wohnung anpreisend, "die Raumhöhe! Drei Meter - das kriegen Sie sonst nirgends. Dazu Vollholzparkett, Balkon, Einbauschränke, gut vermietbar. Und der Preis? 270 000 Euro. Die Dame hätte aber lieber drei Zimmer. Auch kein Problem - für 404 000 Euro.

Starke Kaufkunden

Ein wenig spüre sie die Krise schon, sagt die Immobilienverkäuferin. Offenbar sitzt den Leuten das Geld nicht mehr ganz so locker in der Tasche. Andererseits sieht sie keinen Grund zum Jammern. "Meine Kundschaft kommt aus der gehobenen Mittelschicht. Viele jüngere Leute gehören dazu, mit Superberufen: Internetbranche, Banker, Ärzte, Journalisten."

Andreas S. ist so einer: 24 Jahre alt, Bankkaufmann. Er hat, mit väterlicher Hilfe, schon vor eineinhalb Jahren eine 55 Quadratmeter-Wohnung im Park Plaza gekauft. Damals war von dem Wohnturm nicht mehr zu sehen als die Baustelle. Vor zwei Monaten ist der junge Mann dann eingezogen. Noch ist er etwas einsam in seiner neunten Etage, denn die übrigen Wohnungen des Stockwerks stehen leer. Macht nichts, immerhin sind mittlerweile mehr als die Hälfte der 69 Turmwohnungen verkauft. Und Andreas S. genießt die Aussicht: "Ich hätte nicht geglaubt, dass der Blick so toll ist." Noch einen Vorteil hat das Domizil: "Um sechs in der Früh geht der Baulärm los." Das erspart den Wecker.

Neunte Etage - das macht schon was her. Doch Andreas S. wird übertroffen werden. Wird ganz alt aussehen im Vergleich zu den Glücklichen, die ins 15.Stockwerk ziehen. Dort oben verschnörkeln sich die bunten Neonröhren, die der Lichtkünstler Ingo Maurer konzipiert hat, zu einem neckischen DG für Dachgeschoss, und wer sich auf die große Terrasse verfügt, dem liegt München zu Füßen: die Türme der Altstadt, der Olympiaturm, das Maximilianeum; im Süden das Klinikum Großhadern, und ach, man würde Venedig sehen, stünden die Alpen nicht davor.

Eine Million - Euro natürlich

Dies ist ein Ort, um ins Träumen zu geraten. Dort oben im Morgenlicht frühstücken, Champagner und frische Croissants, während München zu geschäftigem Treiben erwacht. Vielleicht sitzt weiter unten jemand auf dem Balkon, auf dessen Frühstücksei man Salz streuen kann. So schön könnte das Leben sein. Bitte, Frau Gossow, was kostet der Spaß? "Die 89 Quadratmeter-Wohnung 917.000, die mit 110 Quadratmetern 1,1 Millionen." Mark? "Euro natürlich." So schnell enden Träume.

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