Banken: Betrug:Die Jagd am Geldautomaten

Lesezeit: 5 min

Die Furcht ist ein treuer Begleiter, wenn Kunden Bares am Automaten abheben. Tausende wurden schon betrogen. Doch wie geht die Polizei gegen die Kriminellen vor?

Oliver Bilger

Der Mann muss Verdacht geschöpft haben. An dem Geldautomaten im bayerischen Holzkirchen, aus dem er gerade ein paar Scheine ziehen wollte, hatte jemand eine zusätzliche Leiste über der Tastatur angebracht und darunter ein Fotohandy versteckt, um die Eingabe der Geheimzahl zu filmen. Das Handy konnte der Kunde nicht sehen. Aber die ungewöhnlich dicke Automatenwand war ihm suspekt. Der Mann alarmierte die Polizei.

In der ersten Hälfte des vergangenen Jahres zählte das Bundeskriminalamt 2000 solcher Ausspäh-Versuche an Geldautomaten. Das ist ein neuer Rekord. (Foto: N/A)

In der ersten Hälfte des vergangenen Jahres zählte das Bundeskriminalamt 2000 solcher Ausspäh-Versuche an Geldautomaten. Das ist ein neuer Rekord: Bis zum Sommer gab es fast so viele Attacken wie im gesamten Vorjahr. Die Polizei kämpft vehement gegen die Täter. Doch wie gehen die Ermittler vor? Normalerweise erfährt man darüber fast nichts.

Hier, in der Bankfiliale in Holzkirchen, beginnt an diesem Abend im Mai 2008 eine Puzzlearbeit, die erst heute, nach knapp drei Jahren, enden wird. Die Spur führt aus der beschaulichen Gemeinde im Süden Münchens bis in die rumänische Hauptstadt Bukarest.

50 Millionen Euro gestohlen

Dabei hatten sich die Verbrecher große Mühe gegeben, den Aufsatz so aussehen zu lassen, als sei er ein Teil des Geldautomaten. Sie hatten ihn festgeklebt und im gleichen Grau lackiert. Über den Türöffner zum Vorraum stülpten sie ein Lesegerät, das die Kartendaten scannte. Doch all die Tarnung nutzte nichts. Um halb acht Uhr abends trafen die Beamten der Polizeiinspektion Holzkirchen am Tatort ein. Den Fahndern fiel zunächst ein in der Nähe geparkter Hyundai mit spanischem Kennzeichen auf. Darin: zwei junge Männer aus Rumänien, Schraubenzieher, Montagekleber und graue Farbspraydosen. Die Ermittler hatten die Täter ertappt. Und der Fall Holzkirchen landete auf dem Schreibtisch von Markus Filipcic.

Filipcic, 40 Jahre, gestreiftes Hemd, Jeans, abgewetzte Lederjacke, leitet im Bayerischen Landeskriminalamt (LKA) den Fachbereich Unbare Zahlungsmittel, wie es im Amtsjargon heißt. Von einem beigen Bürokomplex im Osten Münchens aus kämpft der Kriminalhauptkommissar mit sieben Kollegen gegen jene, die Zahlungskarten fälschen. Skimming heißt das Ausspähen der Daten, immer handelt es sich um professionelle und organisierte Kriminelle.

Die Täter stehlen Informationen vom Magnetstreifen und kopieren sie auf einen Kartenrohling. Gleichzeitig filmen sie die Eingabe der Geheimzahl, um später damit Geld abzuheben. Ein Mechanismus an deutschen Bankautomaten macht die gefälschten Karten nutzlos. Deshalb heben Kriminelle im Ausland ab, besonders häufig in Rumänien. Im vergangenen Jahr stahlen Banden in Deutschland mindestens 50 Millionen Euro von mehr als hunderttausend Kunden. Die Zahl manipulierter Automaten hat sich in kurzer Zeit mehr als verdoppelt.

In Holzkirchen vermuteten die Ermittler zunächst, dass der Hyundai am Tatort gestohlen ist. Es blieb bei einem Verdacht, wie die Anfrage bei Kollegen in Sevilla ergab. Stattdessen erfuhren die Polizisten, dass der Wagen auf einen bislang unbekannten Rumänen zugelassen ist. Ein Detail, das für die Beamten keine große Bedeutung hatte. Noch nicht.

Warum ist der Hyundai damals überhaupt aufgefallen? Wegen des fremden Nummernschilds? "Kriminalistischer Spürsinn", erklärt Filipcic. Er möchte nicht zu viele Details preisgeben, von denen Täter Informationen über das Vorgehen der Polizei ableiten könnten. Nur so viel: "Die Männer verhielten sich verdächtig."

Fahnder im Glück

Die Täter seien immer unberechenbar, sagt Filipcic. Kein Fall ist wie der andere. Mal warten die Kriminellen und beobachten die Bank, mal verziehen sie sich. "Am Ende", so der Kommissar, "gehört auch ein wenig Glück dazu, ob man einen Täter erwischt oder nicht."

An diesem Abend im Mai hatten die Fahnder Glück. Aber die Beamten brauchten mehr Beweise, um die jungen Männer zu überführen. Die Rumänen, 1982 und 1984 geboren, hatten Kredit- und Paybackkarten bei sich. Damit kontrollieren Kriminelle, ob Kunden ihre Karte problemlos in die manipulierten Automaten schieben können. Paybackkarten sind nirgends registriert und hinterlassen keine Spuren. Die Beamten prüften die Skimming-Apparaturen auf Fingerabdrücke und DNS-Hinweise. Scannen die Täter Daten einer Karte und erstellen ein Duplikat, machen sie sich strafbar; wie viel Geld abgehoben wird, ist zweitrangig. In Holzkirchen aber war es nicht zur Fälschung gekommen, der Kunde hatte ja sofort die Polizei gerufen. Deshalb versuchten die Fahnder ältere, gelöschte Dateien wiederherzustellen. Vielleicht hatten die Männer die Geräte zuvor andernorts benutzt. Die Kommissare landeten einen Volltreffer.

Sie entdeckten zwölf Datensätze im Speicher des falschen Türöffners. Ein Anruf bei Euro-Kartensysteme, der zentralen Schadensbekämpfungsstelle in Frankfurt. Das genügt, um rauszufinden, an welchen Automaten die Daten gestohlen wurden. Jetzt war klar: Die Täter hatten es zuvor in einer Bank in Rosenheim, 40 Kilometer östlich von Holzkirchen probiert. Die Geldmaschine dort war unbeobachtet. Die Videoüberwachung ist Sache des Geldinstituts, es gibt keine Vorschriften. "Leider", findet Filipcic, denn eine Aufzeichnung erleichtert der Polizei oft die Arbeit.

Filipcics Einheit rekonstruierte weitere Fälle innerhalb von drei Monaten, alle im Münchner Umland: Erding, Freising, Taufkirchen, Starnberg. Im Navigationsgerät, das sie im Auto fanden, waren sogar noch die Koordinaten der Tatorte gespeichert. Außerdem fanden die Ermittler mehrere Handys.

Ausspionierte Daten schicken die Täter per SMS und E-Mail an Komplizen im Ausland. Die spielen die Zahlen- und Buchstabenkombinationen auf eine Blankokarte und ziehen Bares. Sie heben nachts ab, denn um Mitternacht setzen Banken das Tageslimit zurück. Mit den Daten aus Oberbayern schlugen die Komplizen an Automaten in Bukarest, in Craiova und Cluj zu. Zehn Lei geben die Maschinen als kleinsten Schein aus - 2,30 Euro. "Selbst die letzten Euro auf dem Konto heben sie noch ab", erklärt Filipcic. Die Täter erbeuteten im Münchner Umland insgesamt 150.000 Euro, gemeinsam mit ihren Komplizen. Auf die sollten die Fahnder bald stoßen.

Sicherheitschip soll helfen

Mitte Oktober landete die Polizei einen Zufallstreffer. Während einer Kontrolle auf der Autobahn München-Salzburg, bei Rosenheim, fielen zwei weitere Rumänen auf. Die Beamten stoppten ihren Skoda und fanden Rauchmelderattrappen, unter denen Täter Minikameras an der Decke verstecken, um die Geheimzahl zu filmen, eine manipulierte Tastatur, Lötkolben und eine Bauanleitung.

Einer der Männer war der Halter des im Mai sichergestellten Hyundai. Einer hatte auf den dort entdeckten Aufsätzen Fingerabdrücke hinterlassen, die jetzt im Polizeicomputer auffielen. Im Skoda lag ein Laptop mit in Rosenheim ausgespähten Daten. Die Beweise waren erdrückend, aber waren die Täter geständig? Zum Teil, erinnert sich Filipcic und räumt mit einem Mythos aus dem Fernsehen auf: Vernehmungen führe er in keinem düsteren Keller, sondern oft bei einem Kaffee. Die Atmosphäre sei wichtig, sagt der Kommissar. Schließlich gehe es nicht nur darum, ein Geständnis rauszupressen, sondern um zusätzliche Informationen über die Szene oder Hinweise auf weitere Täter. Die Festnahme auf der Autobahn führte die Beamten zu drei weiteren Männern.

Im Juli hatten diese einen Supermarkt in Erding überfallen, waren geflohen, hatten jedoch Spuren hinterlassen. Die Ermittler kamen ihnen anhand von Fingerabdrücken auf die Schliche, die auch auf dem im Skoda entdeckten Material klebten. Außerdem stimmte die Auswertung der Telefonverbindungen der bereits Festgenommenen mit den Gesuchten überein. "Wenn jemand auffällig oft dieselbe Nummer wählt und das auch noch zur Tatzeit, ist es entweder die Freundin oder ein Mittäter", sagt Filipcic. Zwischen den Komplizen gab es einen ausgiebigen Kontakt. Einen Wohnsitz in Deutschland hatten die Gesuchten offenbar nicht, beim Handykauf gaben sie eine Scheinadresse in München an. Also schaltete das LKA nun Europol und Interpol ein, um den Aufenthaltsort der Gesuchten im Ausland herauszufinden.

Bei den international agierenden Kollegen beantragten die Ermittler einen Haftbefehl und warteten, bis rumänische Fahnder im November zugriffen. Ein Kollege aus München begleitete die Täter dann aus Bukarest nach Deutschland. Sie warten nun in München auf ihr Urteil. Die übrigen Männer hat ein Richter bereits zu Haftstrafen zwischen eineinhalb und vier Jahren verurteilt.

Filipcic hofft, dass die Zahl der Skimming-Fälle in Zukunft sinkt. Seit Jahresbeginn soll ein Sicherheitschip Kartenfälschungen unmöglich machen, der Magnetstreifen aber bleibt vorerst erhalten. Innerhalb Europas kann kein Täter mehr mit einer gefälschten Karte Geld abheben - aber in anderen Ländern schon. Viele Verbrecher könnten einfach weiterreisen. "Wir müssen noch eine ganze Zeit gegen sie kämpfen", sagt Filipcic.

Zumindest die Täter aus dem Münchner Umland können vorerst keine Karten mehr fälschen. Filipcic geht davon aus, dass mit den sieben gefassten Männern bald die ganze Bande im Gefängnis sitzt. Der Fall Holzkirchen ist damit beendet. Doch der nächste Einsatz wartet schon.

© SZ vom 24.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: