Außenansicht:Der Markt muss der Gesellschaft dienen

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Erkenntnisse aus dem Zusammenbruch der Banken: Nicht die Akteure sind korrupt - das System, in dem sie agieren, ist es.

Friedhelm Hengsbach

"Jeder kehre vor seiner Tür" - so reagierte der deutsche Wirtschaftsminister Michael Glos auf den Wunsch der amerikanischen Regierung, die wirtschaftlich führenden Nationen möchten das Rettungspaket für notleidende Banken mittragen. Auch der deutsche Finanzminister teilte mit, Deutschland und die Partnerländer in der G7 hätten diesen Wunsch der Vereinigten Staaten abgelehnt. Denn es handle sich hier vor allem um ein amerikanisches Problem.

Die Deutsche Börse in Frankfurt - wohin marschiert der Dax? (Foto: Foto: AFP)

Im Umgang mit der Immobilien-, Kredit-, Banken- und Finanzkrise zeigen sich bei den Finanzexperten und Politikern seltsame Reaktionsweisen. Die meisten haben zunächst abgewiegelt: Es gehe hier um ein partielles, überschaubares Problem, das man im Griff behalte. In der Folge werden einzelne Händler als gierig geächtet, weil sie ahnungslose Häuslebauer über den Tisch gezogen hätten. Oder man empört sich über die grobe Fahrlässigkeit von Ressortchefs in Investmentgesellschaften, die entweder die Geschäfte der Händler überhaupt nicht durchschaut, durch Wegsehen geduldet oder diese durch Gehaltsanreize gar in eine Profitjagd getrieben hätten, die sie irrational und blind fürs Risiko handeln ließ. Dabei sind doch in erster Linie nicht die einzelnen Akteure als korrupt einzustufen, sondern das Regelsystem selbst.

Bemerkenswert ist, dass die Verkettung finanzieller Risiken von vielen Finanzexperten nicht wahrgenommen wurde. Geschäfts- und Kreditrisiken, die ein einzelnes Institut treffen, würden sich eingrenzen lassen, wurde allgemein vermutet; auch solche Risiken, die angrenzende Finanzunternehmen infizieren würden. Dass diese jedoch im gesamten Finanzsystem ein Beben auslösen könnten, dass Unternehmen der Realwirtschaft und insbesondere kleine und mittlere Unternehmen daher keine Investitionskredite mehr bekommen, dass das realwirtschaftliche Wachstum abgesenkt und so der Wohlstand ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdet wird, lag außerhalb eines Blickwinkels, der nur auf Ereignisse innerhalb der monetären Sphäre gerichtet ist.

Tendenz zur Übertreibung

Die Kurzatmigkeit und die Tendenz zur Übertreibung in einer Phase des Börsenaufschwungs hängt wohl auch mit dem verbreiteten Aberglauben der Finanzexperten zusammen, dass die Selbstheilungskräfte des Marktes jene Risiken, die in der einen Sparte auftreten, ausgleichen und über diverse Marktsegmente streuen werden. Und dass sich künftige Risiken bereits in den aktuellen Signalen ankündigen, die Aktienkurse geben. Einige hielten die Signale der Kapitalmärkte bereits für ein wirksames Instrument, um nationale Regierungen zu einer "vernünftigen" Wirtschaftspolitik zu nötigen. Sie nannten die Finanzmärkte gar die fünfte Gewalt in der Demokratie.

Lesen Sie weiter: Warum die Bewältigung der Finanzkrise eine globale und politische Herausforderung ist.

Es könnte sein, dass die heftige Rivalität zweier Finanzstile durch die Krise an Schärfe verliert. Manche sprechen gar von einem Punktsieg des kontinentaleuropäischen über das anglo-amerikanische Finanzsystem, der sich in dem Aus der führenden amerikanischen Investmentbanken äußere. Das eine Finanzsystem gilt als vom Wertpapiermarkt getrieben, das andere als dominiert von Banken. Das anglo-amerikanische System sei dynamischer, kurzatmiger und profitabler, allerdings auch riskanter, meinte man, während das europäische System behäbiger, nachhaltiger und mit geduldigen Aktionären versehen sei. Im Finanzkapitalismus der USA gelte das Unternehmen als Kapitalanlage für institutionelle, offensiv agierende Anteilseigner, das gekauft und verkauft wird, um eine höhere Rendite zu erzielen - während die Unternehmen im korporativen Kapitalismus des Euroraums als ein Verband von Personen angesehen werden, in dem die Interessen aller gewährleistet bleiben, die sich darin engagieren.

Das Urteil deutscher Politiker, dass die Finanzkrise ein Problem der USA sei, ist insofern verständlich, als von dort die Immobilien- und Hypothekenkrise, der Handel mit riskanten Krediten sowie die Gründung von Zweckgesellschaften außerhalb der Bankbilanzen ausging. Und weil in Deutschland die Euphorie über das exklusive Investmentbanking abgeklungen ist. Auch das Meinungsbild über die Stärken einer Universalbank ist unter den Finanzexperten wieder positiv. Die Großbanken haben selbst die Reißleine gezogen und sich wieder dem Privatkundengeschäft zugewandt, wenngleich in der Form fragwürdiger Fusionen.

Oberflächliches Urteil

Trotzdem: Das politische Urteil bleibt oberflächlich. Denn indirekt werden alle Länder der Welt in eine amerikanische Finanzkrise hineingezogen. Allein aus eigener Kraft stemmen die Vereinigten Staaten die öffentliche Rettungsaktion nicht. Der Wertverlust des Dollar, eine unberechenbare Geld- und Finanzpolitik der USA, wachsende Staatsschulden und Leistungsbilanzdefizite werden das Wachstum in der Welt beeinflussen. Außerdem sieht es so aus, als ob die Episode der unilateralen Hegemonie der USA mehr und mehr durch ein multilaterales Regime der vorhandenen Wirtschafts- und Währungsräume sowie der aufsteigenden Schwellenländer abgelöst wird.

Die Bewältigung der Finanzkrise ist eine globale und politische Herausforderung. Erstens sollte das Gespür dafür wieder geweckt werden, dass jeder Markt, also auch die Wertpapiermärkte, ein gesellschaftliches, kulturelles Geschehen sind, das den Normen der Gerechtigkeit und Fairness unterworfen ist. Der frühere Bischof von Limburg, Franz Kamphaus, hat dies einmal auf den Punkt gebracht: Früher war der Dorf- und Marktplatz von Kirche, Rathaus, Schule und Krankenhaus umgeben. Ohne diese gesellschaftlichen Einrichtungen hätte es also keinen Markt gegeben. Dies gilt auch für die globalen Finanzmärkte von heute.

Zweitens sind erhebliche mentale und politische Korrekturen bei Finanzakteuren und Politikern zu erwarten. Die Finanzexperten sollten anerkennen, dass die Stabilität der monetären Sphäre sowie das Bankensystem ein öffentliches Gut sind, das mehr ist als die Summe der Renditen der Finanzunternehmen. Auch die internationale Finanzwirtschaft untersteht dem öffentlichen Mandat, die Lebensqualität der Weltbevölkerung, vor allem der Armen, zu mehren. Die Politiker sollten jene Gesetze überprüfen, die den Finanzinvestoren und aggressiven Kurssicherungsfonds eine privilegierte Stellung eingeräumt haben. Drittens sollten politische Interventionen nicht kurzatmig und nicht übertrieben ausfallen. Die öffentliche Aufsicht, Prüfung und Kontrolle sollte sich auf alle Finanzunternehmen, auf alle Finanzplätze und präventiv auf alle angeblich innovativen Finanzdienste erstrecken.

Der Jesuit Friedhelm Hengsbach, 71, emeritierter Professor für christliche Gesellschaftsethik, leitete bis 2006 das Oswald-von-Nell-Breuning-Institut in Frankfurt am Main.

© SZ vom 01.10.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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