Argentinischer Zahlensalat:Ein bizarres Spektakel

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Warum die Veröffentlichung von Inflationszahlen ein ganzes Land in Atem hält.

Peter Burghardt

Argentinische Tarife sind schon länger eine seltsame Angelegenheit, das ist zum Beispiel in manchen Supermärkten von Buenos Aires zu besichtigen.

Gemüsepreise in einem argentinischen Supermarkt. (Foto: Foto: dpa)

"Mit der Regierung vereinbarte Preise" steht da unter Gurken oder Karotten, einige Firmen haben sich mit dem Kabinett von Präsident Nestor Kirchner über die entsprechenden Pesobeträge verständigt.

Das soll die Geldentwertung im Zaume halten - Kirchner ist seit der dramatischen Finanzkrise 2001/2002 und der folgenden Abwertung darauf bedacht, die Lebenskosten und die Landeswährung möglichst stabil zu halten, noch dazu im Wahljahr 2007. Derzeit kostet der Dollar 3,10 Pesos, der Euro etwas mehr als vier. Nun gaben die Funktionäre die aktuelle Inflationsrate für die südamerikanische Nation bekannt, und es wurde ein bizarres Spektakel.

Überraschende 1,1 Prozent

Wochenlang hatten die Statistiker getüftelt, teilweise bewacht von Polizisten, es ging um ein Politikum. Mit stundenlanger Verspätung schließlich wurde das Geheimnis gelüftet. Um 1,1 Prozent sei Argentinien im Januar teurer geworden, hieß es zur allgemeinen Überraschung, 2006 hatte sie offiziell bei insgesamt zehn Prozent gelegen.

Zwar hätten nun Lebensmittel zugelegt, Zitronen sogar um 33,3 Prozent, runde Tomaten um 28,3 Prozent. Der sogenannte Basiskorb für die nötigsten Güter sei 2,6 Prozent teurer geworden, auch für Taxifahrten, Ärzte und Vergnügungen muss mehr bezahlt werden. Dafür sei die Kleidung billiger geworden und der Auf-wand für Reisen stabil geblieben.

Werte untertrieben?

Verbraucher und Zeitungen wundern sich, die Opposition ist entsetzt, ihnen erscheinen die Werte untertrieben. Völlig unrealistisch, schimpfte der Rechtskonservative Mauricio Macri und präsentierte mit einem Salatkopf in der Hand seine Rechnung: 2,1 Prozent seien es gewesen, fast das Doppelte.

Der Streit um den Zahlensalat wird immer kurioser, dabei verzeichnet Kirchner bisher erstaunliche Erfolge. Die Lage hat sich nach dem Finanzcrash vor fünf Jahren beachtlich beruhigt, Export und Bauindustrie melden angesichts des günstigen Wechselkurses und der großen Nachfrage Rekorde, in Teilen boomt die wankelmütige Republik.

Bedienung der Schulden

Kirchner zahlt Institutionen weiter die Schulden zurück, nachdem der Pleitestaat privaten Gläubigern nur ein Drittel ihrer Leihgaben gewährt hatte. Der Währungsfonds wurde mit Hilfe aus Venezuela bedient, gerade bekam Spanien 982,5 Millionen Dollar, auch der Pariser Klub mit Deutschland an der Spitze soll sein Geld kriegen.

Die Wahl wird wohl Herr Kirchner gewinnen oder seine Frau Cristina. Ökonomen jedoch erregen sich über seine Finanzmanöver.

Auch beim Wirtschaftsforum in Davos wunderten sich Experten über die Strategie vom Rio de la Plata. Preiskontrollen dienten allenfalls kurzfristig, lange seien sie nicht zu halten, warnte selbst Nobelpreisträger Joseph Stieglitz, kein Feind Kirchners.

Die Wallstreet schimpft ebenfalls. Auch Strom, Wasser und Transport sind Spezialisten zu preiswert. Jetzt wird also darüber gestritten, wie hoch Argenti-niens Inflation wirklich ist. Kirchner bleibt cool: Für ihn sind es 1,1 Prozent, kein Zehntel mehr.

© SZ vom 08.02.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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