Architektur:Der geschenkte Gaul

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Warum das wiedererrichtete Braunschweiger Schloss trotz schrecklicher Nachbarschaft ein Gewinn für die Stadt ist.

Gottfried Knapp

Wer in den nächsten Wochen erstmals nach Braunschweig kommt und die Geschichte dieser ehemaligen herzoglichen Residenzstadt nicht kennt, der wird sich beim Anblick des Schlosses vielleicht fragen: Warum hat die Stadt ihrem schönen alten Schloss so ordinäre Geschäftsbauten gegenübergestellt?

Illuminiert: das neue Braunschweiger Schloss (Foto: Foto: dpa)

Und wie konnte es passieren, dass sich ein monströses Kommerzzentrum mit seiner Banalarchitektur von hinten her so nah an das Schloss heranmachen konnte?

Die Antwort klingt recht bizarr: Das klassizistische Schloss mit seiner ehrwürdig geschwärzten Giebelfront ist der mit Abstand jüngste Bau des ganzen Quartiers; er wurde überhaupt erst im Juli 2005 in Angriff genommen. Die hässlichen Neubauten aber, die ihm gegenüberstehen, sind im Durchschnitt ein halbes Jahrhundert alt.

Fügt man noch hinzu, dass das äußerlich perfekt rekonstruierte Schloss ja gar nicht von den politischen Verwaltern der Geschichte, sondern von einem privaten Investor als Kopfbau für seine gewaltige neue Shopping-Mall hochgezogen worden ist, dann beginnt man etwas zu ahnen von der Tragödie, die sich hinter dem Stichwort ,,Braunschweiger Schloss'' verbirgt.

Drei Brände im Welfenschloss

Seit Mitte des 18. Jahrhunderts erhob sich auf dem Gelände zwischen Altstadt und Magniviertel das Residenzschloss der Herzöge von Braunschweig-Lüneburg. Im September 1833 wurde der Barockpalast von aufgebrachten Bürgern in Brand gesetzt und unrettbar beschädigt. Schon wenig später begannen die Planungen für einen Neubau an gleicher Stelle.

Hofarchitekt Carl Theodor Ottmer errichtete bis zum Jahr 1840 ein architektonisch bedeutendes Monument im klassizistischen Stil. Doch auch in diesem letzten repräsentativen Schlossbau Deutschlands brach schon 1865 ein Brand aus; der gesamte Nordflügel musste ein zweites Mal errichtet werden.

Es hat dann noch ein drittes Mal heftig gebrannt im Braunschweiger Welfenschloss. Nach den verheerenden Bombardierungen der Stadt im Zweiten Weltkrieg stand das Schloss wieder einmal ausgebrannt da, doch nun fand sich offenbar keine Mehrheit mehr, die bereit gewesen wäre, für das historische Erbe zu kämpfen.

Der Herr der Zentren

Im Jahr 1959 beschloss der Rat der Stadt mit zwei Stimmen Mehrheit, die ausgebrannte Ruine trotz heftiger Proteste abzureißen und an ihrer Stelle einen Park anzulegen.

Die von wichtigen Verkehrsschneisen beschnittene neue Grünfläche mit den im Rasen verteilten Monumentalkapitellen wurde freilich von der Bevölkerung nie richtig angenommen. Was aber viel fataler war: Die Stadt verlor mit dem Schloss als letztem Zeugen ihrer dynastischen Traditionen ihre Identität als ehemalige Residenzstadt, als geistiges und politisches Zentrum eines deutschen Landes.

Sie fiel in der Konkurrenz der niedersächsischen Welfenstädte endgültig hinter Hannover zurück, das als Hauptstadt des neuen Bundeslandes nun die regionale Geschichte allein für sich in Anspruch nehmen konnte. Braunschweig sagte sich beim Abriss des Residenzschlosses also von einem wichtigen Teil seiner Geschichte los, ja es degradierte sich selber zur Provinzstadt.

Seit dieser fatalen politischen Fehlentscheidung sind in der Stadt immer wieder Versuche unternommen worden, das Schloss als zentrales Monument der lokalen Geschichte wiederzugewinnen.

Da sich in der veränderten politischen Situation aber eine zwingende Funktion für das Haus nicht konstruieren ließ, blieben die schönen Überlegungen immer in der Wunschphase stecken. Bis der Herr ein Einsehen hatte, der Herr, der Deutschland mit gewaltigen Einkaufszentren beglückt und sich mit der bekannten Armada der Billiganbieter überall dort in die Städte hineindrängt, wo es am meisten wehtut: in die historischen Kerne, und zwar am liebsten in die wenigen verbliebenen Bauten, die etwas von der Geschichte der Stadt erzählen. So wird den hineingepressten ordinären Kettenläden der Heiligenschein historischer Seriosität übergestülpt.

Die Diskussionen um den Wiederaufbau des Berliner oder Potsdamer Stadtschlosses gingen schon in die x-te Runde, als die Projektfirma ECE die Braunschweiger Stadtverwaltung mit der Botschaft überraschte, dass sie die äußere Figur des Welfenschlosses wiederherstellen werde, wenn sie ein Einkaufszentrum dazustellen und das Gelände des ungeliebten Parks in Beschlag nehmen dürfe.

Nach heftigen lokalen Diskussionen, ob man sich durch den Kommerz politisch derart gängeln lassen dürfe, beschloss der Stadtrat mit der denkbar kleinsten Mehrheit von einer Stimme, dass man sich das Schloss spendieren und die vorgesehene kommerzielle Umbauung gefallen lasse, wenn der Investor einige Räume hinter den Fassaden für Kultur freigebe.

So kam es zu der Ungeheuerlichkeit namens "Schloss-Arkaden", einem grün-golden verkleideten riesigen Kommerzkomplex mit drei Einkaufsgeschossen und drei darübergepackten Parkdecks, der wie eine grässliche Fehlgeburt hinten aus dem Karree des Schlosses herauswächst, in mehreren Knicken das Parkgelände ausmisst und nach allen Seiten die Hilflosigkeiten der heutigen Planer beim Verkleiden klobiger Baumassen zur Schau stellt.

Er wurde im März eingeweiht (SZ vom 28. März). Nun hat also auch Braunschweig einen Ort, an dem all das zu kaufen ist, was keiner wirklich braucht, aber viele sich so gerne aufschwatzen lassen.

Das Vestibül wird zum Ärgernis

Dennoch ist der Gewinn, den die Stadt von der größten Baumaßnahme ihrer Geschichte hat, enorm. In zähen Verhandlungen ist es den Freunden des Schlosses gelungen, bei der Wiedererrichtung des Objekts einige wichtige Kompromisse zu erzielen. Der Investor hatte sich die Fassaden des Schlosses ursprünglich nur wie ein Kondom über den Ausstülpungen seines Zentrums vorgestellt.

Doch so wie es gelungen ist, der Giebelfassade durch den Einbau der geretteten alten Säulentrommeln einige Authentizität zu geben, so gelang es im Inneren des Schlosses, die in der Stadt verteilten lokalen Kulturinstitute, die Archive und Bibliotheken, die Artothek, die Musikbücherei sowie das Kulturinstitut zu vereinen. Erstmals konnten jetzt auch diese Räume besichtigt werden.

Doch gerade angesichts dieser Errungenschaften wird das Vestibül, der Empfangsraum im Mitteltrakt des Schlosses, zum Ärgernis. Er öffnet sich auf breitester Front hinein in das zweigeschossige Verkaufschaos. Statt einer städtischen Vorverkaufsstelle sitzt der Kaffeevermarkter Starbucks unter seinem fett leuchtenden Logo in der Pförtnerloge.

Wer das Schlossportal durchschritten hat, fällt also direkt hinein in die Niederungen der Warenwelt, denn der Investor hat die ganze Innenseite der U-Form des Schlosses für sich reserviert; ja um seine beiden Verkaufsgeschosse dort hineinschieben zu können, hat er die Räume für Kultur, die angrenzen, einfach um anderthalb Meter aufbocken lassen. Die inneren Hälften des Bibliotheksgeschosses sind also um eine halbe Etage nach oben versetzt; wer sich hier bewegt, muss ständig über Treppen auf- und absteigen.

Auch in den Eingangsräumen der Kulturinstitute, in den beiden Vestibülen der seitlichen Schlossflügel, waren hässliche Kompromisse nötig. So hat der Architekt York Stuhlemmer, der mit dem Ausbau beauftragt ist, die schöne dreischiffige alte Säulenhalle zwar andeuten können, doch da hier auch der Lift- und Treppenblock eingebaut werden musste, sind von den drei Schiffen nur noch unharmonische eindreiviertel übriggeblieben.

Die Wirkung im Stadtbild

Es gibt also noch viel zu tun, bis der historisch verkleidete Betonbau auch im Inneren wieder eine Ahnung von seinen vormaligen baukünstlerischen Qualitäten vermittelt. Nach außen hin hat die handwerklich geschickt rekonstruierte Figur des Schlosses trotz ihrer hässlichen rückwärtigen Geschwülste ihre alte Dominanz im Stadtbild mit einer Selbstverständlichkeit wiedererrungen die begeistern muss.

Der Bau steht mit einer Überzeugungskraft im Fokus der innerstädtischen Perspektiven, dass man glauben muss, er habe immer schon dort gestanden. Und wie in Dresden, wo die wiederaufgebaute Frauenkirche der ästhetisch verlotterten Umgebung einen hohen Qualitätsmaßstab aufgezwungen hat, ist auch in Braunschweig die plötzliche Aufwertung des Quartiers mit Händen zu greifen. Allein der Aufwand, mit dem der Außenraum der Schloss-Arkaden gestaltet und begrünt worden ist, geht weit über das übliche Maß hinaus.

So lautet die Botschaft, die gestern von Braunschweig aus nach Berlin und Potsdam ging: Baut in Gottes Namen eure Schlösser wieder auf; der Gewinn für den Stadtraum wird gewaltig sein; aber überlegt noch einmal genau, was ihr hineintun wollt.

© SZ vom 7.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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