Architekten:Von Künstlern und Knechten

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Die Situation der Architektenschaft ist katastrophal. Deshalb gehen gerade die Jüngeren ganz unkonventionelle Wege. Gut so.

Gerhard Matzig

"Sehr geehrte Frau K., sehr geehrter Herr K.", so höflich liest sich das unter der Rubrik "Projekte" auf der Homepage des Münchner Architekten Robert Meyer, "ich komme oft an Ihrem Anwesen in der Rosenheimer Straße 2 vorbei (...), und so blicke ich mit Wehmut auf Ihr etwas verwaistes Dachgeschoss. Ich stelle mir vor, welch einmaligen Blick man von dort oben hat (...) Deshalb könnte hier auch eine besondere Maßnahme angemessen sein. Ich habe mir erlaubt, eine Photomontage beizulegen."

Stille Tage im Klischee: Gary Cooper als unbeugsamer Architekt im Film "The Fountainhead". (Foto: Foto: cinetext)

Dieser für eine jüngere deutsche Architektenschaft gar nicht untypische Brief weist auf drei Tendenzen hin.

Erstens auf die katastrophale Situation der Architektenschaft, die auch als Krise der Baukultur zu sehen ist. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl arbeitsloser Architekten verfünffacht. Zwei Drittel der meist mittelständisch organisierten Büros kämpfen gegen den Bankrott. Absolventen erhalten keine Jobs. Der Berufsstand steckt in seiner tiefsten Krise.

Zweitens sind davon besonders jüngere Architekten betroffen. Gerade diejenigen Architekten kommen der Gesellschaft abhanden, die in der Lage wären, das komplexer werdende Bauen sowohl durch eigene Formfindungen als auch durch eine gelassenere Haltung traditionellen Lösungen gegenüber zu meistern.

Dabei könnte man zum Beispiel der schläfrigen Stadt München - Stichwort: Renaissance der Stadt - die Umsetzung der Initiative von Robert Meyer durchaus wünschen. Die urbanistischen Herausforderungen der künftigen Stadtgesellschaft verlangen nach Talenten, deren architektonisches Interesse über das Vorstellungsvermögen orientierungsloser Stadtbaureferate hinausreicht.

Drittens aber: Gerade diese jüngeren, sich unkonventionelle Chancen suchenden Architekten gehen zunehmend in eine Art Verkaufs-Offensive. Gut so.

Allerdings geschieht dies zum Entsetzen einer älteren und sehr viel satteren Architektengeneration, die noch mit einem Satz groß geworden ist, der sämtliche Fragen nach der Kommunikation von Angebot und Nachfrage auf so ritterliche wie lebensfremde Weise beantwortet: "Der Architekt wirbt nur durch sein Werk." Mit anderen Worten: Er baut ein Haus. Das Haus ist großartig. Das wissen aber nur wenige.

Deshalb setzt sich der Architekt hin - wie Gary Cooper in der Filmrolle des Baukünstlers Howard Roark ("The Fountainhead") - und wartet stumm leidend auf neue Kundschaft. Monatelang. Stumm. Leidend. Das ist nicht standesbewusst, sondern närrisch - und stammt aus dem Jahr 1949. Mit den Notwendigkeiten von heute hat das nichts zu tun.

Deshalb schreiben die Architekten der Jetztzeit zu Recht merkwürdige Briefe, sie nutzen Online-Auftritte, interessieren sich für die Exportmöglichkeiten von Architektur, vernetzen sich, besetzen Nischen, interpretieren ihr Berufsbild offen, professionalisieren ihre Entwurfs-Präsentationen, beschäftigen PR-Fachleute oder bilden sich selbst weiter auf dem Terrain von Marketing und Öffentlichkeitsarbeit.

Erst vor einiger Zeit hat etwa die Bayerische Architektenkammer ihren Mitgliedern das Seminar "Pressearbeit für Architekten" angeboten, in dem auch über die Möglichkeiten der Werbung informiert wurde. Das Interesse war gewaltig.

Noch vor ein paar Jahren wäre das undenkbar gewesen. Ein Skandal. Ein Bruch mit dem überkommenen Architektenimage, das vor allem aus Kommunikationsverweigerung bestand. Obwohl der Beruf des Architekten seiner Natur nach so beratend und kommunikativ ist wie kaum ein anderer.

Als der Chefredakteur des Deutschen Architektenblattes, Oliver G. Hamm, seinem Stand in diesem Zusammenhang öffentlich eine "autistische" Neigung attestierte, empörte sich sogleich die gesamte Funktionärselite gegen solch ungeheure Nestbeschmutzung - was aber nur den Autismus der Funktionäre illustriert.

Eben weil die Architektenschaft die Kommunikation mit der Gesellschaft so lange und so gründlich verweigert hat, und weil daraufhin das Produkt Baukultur auch nicht mehr im Zuständigkeitsbereich der Architekten (sondern in dem der Projektentwickler und anderer Baumanager) nachgefragt wurde - deshalb besteht jetzt dieser enorme Nachholbedarf nach betriebswirtschaftlichen Grundkenntnissen, der das Image der Architekten mit Gewalt verschiebt.

Tatsächlich verändern sich Bild und Selbstbild der Architekten seit einigen Jahren dramatisch: weg vom autonomen Baukünstler - hin zum kommunizierenden, werbenden Baumanager. Weg vom theoretischen Entwurf als zentrales Element der Architektur - hin zur Baupraxis. Weg von Fragen der Ästhetik - hin zu Fragen der Technik, der Termine und der Kosten. Noch nie zuvor ist das über Jahrtausende gewachsene Berufsbild des Architekten derart heftigen Veränderungen ausgesetzt gewesen.

Dabei ist der allein am kreativen Prozess orientierte Künstlerarchitekt, dem alle Praxis und Vermittlung fern liegen, ohnehin ein Sehnsuchtsbild späterer Generationen. Das beste Beispiel dafür ist Le Corbusier, der so umsichtig (und PR-süchtig) war, auf die Fotografien Einfluss zu nehmen, die von ihm veröffentlicht wurden.

Als er in den fünfziger Jahren die legendäre Wallfahrtskirche Ronchamp errichtete, sich also von seinem bis dahin gepredigten rationalen und geometrisierten Baustil zugunsten eines plastischeren und organischeren Bauens verabschiedete, sorgte er dafür, dass diese Kehrtwendung medial angemessen begleitet wurde. Plötzlich waren von ihm, dem vorher allzu "korrekt gekleideten Pfeifenmännchen" (Tom Wolfe) Bilder im Umlauf, die ihn in Badehose und beim Studium von Muscheln zeigten. Als Naturburschen.

Oder Frank Lloyd Wright, dem die Hauptfigur in "Fountainhead" gewidmet war. Er bemerkte zu dieser naiven Robin-Hood-Interpretation des Bauens: "Ein Idiot würde sich so benehmen - aber kein Architekt." Das Bild des störrisch-genialischen Einzelgängers verdankt sich also nur der Autosuggestion einer Branche.

Dennoch haben in der Vergangenheit viele Architekten genau diesem Klischee gehuldigt. Um jetzt endlich - und als späte Antwort auf die Krise der Baukultur - auch das genaue Gegenteil davon mit aller Entschlossenheit zu entdecken: das Selbstbild vom Architekten als "Dienstleister". Das Pendel schlägt zurück. Und zwar abermals viel zu heftig.

Es ist gut, dass Architekturbuchverlage hilfreiche Titel wie beispielsweise "Marketing und Öffentlichkeitsarbeit für Architekten und Planer" (Christian Marquart) entdeckt haben. Bisweilen hat man jedoch schon Mühe, neuere Schriften zu Ästhetik und Theorie in den Architektur-Regalen zu entdecken, weil diese vollgestellt sind mit Betrachtungen zum "Corporate-Identity-Wert von Architektur" oder mit Lebenshilfe zum Thema "Büroorganisation".

Gut auch, dass die Universitäten endlich die Architektenausbildung um Fächer wie Baumanagement oder Medienkunde bereichert haben - schlecht aber, wenn dadurch das Fach "Entwerfen" zu kurz kommt. Gut schließlich, dass sich bereits ganze PR-Agenturen auf Architekten spezialisiert haben, die den Medien aufgeschlossen gegenüberstehen. Schlecht, wenn es keine Inhalte und Haltungen gibt, die im Sinne der Medien "rübergebracht" werden können. Erst muss der Architekt etwas haben, um es "verkaufen" zu können. Eine Idee zum Beispiel, eine Vorstellung von der Baukunst der Gegenwart.

Es ist zu begrüßen, wenn sich Architekten unter wirtschaftlichem Druck öffnen und zunehmend für die technischen, ökonomischen und auch medialen Bedingungen der Baukultur begeistern. Aber auch diese Bedingungen zielen auf die Herstellung von Baukunst, die einst als "Mutter aller Künste" gelten durfte. Die neue Lieblingsvokabel der Architektenschaft, die "Dienstleistung" am Bau, wird von der Gesellschaft nicht automatisch gewürdigt.

Auch das Gegenteil könnte der Fall sein: Je weniger Respekt der Bauherr vor der künstlerischen Kompetenz seines Dienstleisters hat, desto weniger fragt er diese Fähigkeit nach. Desto eher wird er den Architekten so behandeln: als seinen Diener. Die besten und schönsten Häuser werden aus dem Verhältnis "Herr und Knecht" jedoch nicht entstehen.

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