Anlageskandal:Von Göttingen lernen

Lesezeit: 1 min

Der Fall der Göttinger Gruppe belegt, dass die Justiz für die Aufarbeitung von Anlageskandalen besser ausgestattet werden muss. Solange allerdings viele gutgläubige Deutsche die Grundregeln der Geldanlage nicht beherrschen, werden Abzocker weiter leichtes Spiel haben.

Thomas Öchsner

Wer in einem Supermarkt eine Flasche Shampoo klaut, bekommt Ärger mit der Polizei. Wer mehrmals beim Schwarzfahren erwischt wird, wird bestraft. Aber wer mehr als 100.000 Anlegern mit gewagten Versprechungen mehr als eine Milliarde Euro aus der Tasche zieht, muss sich vor der Staatsanwaltschaft nicht fürchten.

Es klingt unglaublich und ist doch wahr. Deutschland ist ein Paradies für Geldabzocker und Anlagebetrüger. Das zeigt auch der Niedergang des Finanzkonzerns Göttinger Gruppe.

Keine Aufsicht für Geldjongleure

In Deutschland werden Versicherungen und Banken streng kontrolliert. Für dubiose Geldjongleure gibt es dagegen keine Aufsicht. Auf dem unregulierten sogenannten grauen Kapitalmarkt kann jeder, der bis drei zählen kann, Bürgern unseriöse Geldanlageangebote andrehen, selbst wenn von vorneherein klar ist, dass dabei nur Verluste herauskommen können.

Die Finanzaufsicht prüft nur, ob der Verkaufsprospekt formal richtig ist. Mehr darf sie gar nicht, weil sie dafür nicht die Kompetenzen hat. Das muss sich schleunigst ändern, sonst werden Anleger auch in Zukunft Milliarden bei der Altersvorsorge verlieren.

Das Göttinger Beispiel zeigt aber auch, dass Staatsanwaltschaften mit großen Kapitalanlagesystemen oft völlig überfordert sind. Entweder werden sie von Politikern zurückgepfiffen, weil Ermittlungen nicht gewünscht sind. Oder es fehlen Personal, Knowhow und Engagement, Licht ins Dunkel zu bringen.

Staatsanwalt ermittelte schon vor ein paar Jahren

Bei der Göttinger Gruppe jedenfalls ermittelte die Staatsanwaltschaft schon vor ein paar Jahren. Die Frage, ob die verantwortlichen Manager es nicht von Anfang an nur darauf abgesehen hatten, die Anleger um ihr Geld zu erleichtern, klärte sich nie auf.

Statt sich von Gutachtern helfen zu lassen, gaben sich die Ermittler damit zufrieden, dass aus den Verlusten ja noch Gewinne werden könnten. Betrug ist juristisch eben erst Betrug, wenn sich die betrügerische Absicht beweisen lässt oder Anlegergeld tatsächlich in dunkle Kanäle versickert ist. Doch das konnten, wollten oder durften die Göttinger Staatsanwälte nicht belegen.

Die Justiz für die Aufarbeitung von Anlageskandalen besser auszustatten, wird allerdings nicht reichen. Solange viele gutgläubige Deutsche gewieften Verkäufern vertrauen und die einfachsten Grundregeln der Geldanlage nicht beherrschen, werden Abzocker und Betrüger weiter leichtes Spiel haben.

Durchaus auch ein Thema für die Schulstunde

Die Göttinger Gruppe wäre deshalb durchaus auch ein Thema für eine Schulstunde im Wirtschaftsunterricht.

© SZ vom 09.06.07 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: