Altersvorsorge:Die Rückkehr des Risikos

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Die Finanzkrise hat die Ersparnisse der Amerikaner um ein Drittel entwertet, Pensionsfonds geraten unter Druck und viele Menschen müssen auch im Alter arbeiten.

Nikolaus Piper, New York

Früher hatten Manager auf der ganzen Welt vor Calpers Angst. Der größte Pensionsfonds der Welt war berühmt und berüchtigt als aggressiver, aktivistischer Investor, der konsequent auf hohen Renditen pochte. Im August 2007 zum Beispiel, als die globale Finanzkrise gerade begonnen hatte, versuchte Calpers, bei der britischen Großbank HSBC einen Strategiewechsel zu erzwingen.

Umbruch in den USA: Die Illusionen von der ewigen Geldvermehrung gibt's nicht mehr. (Foto: Foto: Reuters)

Jetzt sorgt Calpers wieder für Furcht und Schrecken. Diesmal jedoch nicht in Vorstandsetagen, sondern bei Abgeordneten, Bürgermeistern, Schulverwaltungen und vermutlich auch dem Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger. Calpers (California Public Employees Retirement System) verwaltet die Ersparnisse von 1,6 Millionen Staatsangestellten in Kalifornien. Der Fonds ist 2008 um 27,08 Prozent geschrumpft, wobei die Zahl nicht die ganze Dramatik der Entwicklung zeigt: Der Einbruch allein im letzten Quartal betrug 41 Prozent. Wenn die Börsen sich nicht schnell erholen, womit niemand rechnet, wird Calpers 2010 die Beiträge der öffentlichen Arbeitgeber erhöhen müssen. Und das in einem Staat, der fast bankrott ist.

Höhere Beiträge drohen

Das Schicksal von Calpers, der im Jahr 2003 noch eine Rendite von 23 Prozent erwirtschaftet hatte, steht für einen fundamentalen Umbruch in den USA: das Ende der Illusionen von der ewigen Geldvermehrung, die Rückkehr des Risikos in den Alltag jeder Familie. Die frühere Erfolgsbilanz von Calpers war durchaus geeignet, Illusionen zu wecken. Seit 1984 hat der Fonds in den meisten Jahren zweistellige Renditen erwirtschaftet. Allerdings musste er zu dem Zweck immer mehr in "alternative" Anlageformen investieren, in privat gehaltene Firmen ("Private Equity"), Rohstoffe und Immobilien. Unter anderem kauften die Geldmanager Entwicklungsland in jenen Teilen der USA, wo die Preise spekulativ besonders überteuert waren: Südkalifornien, Nevada, Arizona. Nun, nach dem Platzen der Blase, ist der Preis fällig. Das Immobilienvermögen des Fonds brach von neun auf 5,8Milliarden Dollar ein.

Nun hat der Fonds auch personell mit seinen wilden Zeiten abgeschlossen. Zu Beginn dieses Monats ernannte Calpers einen Chief Investment Officer (Chef des Anlagemanagements) mit Namen Joseph Dear. Anders als seine Vorgänger hat Dear noch nie an der Wall Street gearbeitet. Er leitete einen kleinen staatlichen Pensionsfonds im Bundesstaat Washington und beschäftigte sich zuvor vor allem mit Personalmanagement.

Calpers ist kein Einzelfall. Die amerikanischen Pensionsfonds verloren 2008 im Durchschnitt ein Viertel ihres Wertes. Der zweitgrößte Fonds der USA, dem der kalifornischen Lehrer (CalSTRS), büßte 20 Prozent ein. Einige Manager mit einer relativ konservativen Strategie fuhren etwas besser: Die fünf Fonds der Stadt New York konnten ihre Verluste während des Absturzes der Börsen im vergangenen Quartal auf 14 Prozent begrenzen, Zahlen für das Gesamtjahr liegen noch nicht vor. Trotzdem wird die Stadt im kommenden Fiskaljahr - es beginnt am 1. Juli - die Beiträge kräftig erhöhen müssen. Schlimmer sieht die Lage im Bundesstaat Pennsylvania aus. Dort ging der Fonds der Staatsangestellten um 28,6 Prozent zurück, der der Lehrer um 29,7 Prozent. Die größten Verluste kamen dabei von ausländischen Aktien, in denen die Geldmanager massiv investiert hatten. Auch hier werden die Steuerzahler einspringen müssen.

Hinter der Krise der Pensionsfonds steckt aber ein noch viel größeres Drama: Die Amerikaner insgesamt, und vor allem die Generation der "Baby-Boomer", die jetzt in den Ruhestand gehen, haben viel zu wenig gespart. Es war eine Fehlentwicklung, die durch die Exzesse an den Aktien- und Immobilienmärkten noch gefördert wurde. 2004 war die volkswirtschaftliche Sparquote in den Vereinigten Staaten sogar negativ. Jetzt kam das böse Erwachen. Anthony Webb, Ökonom beim Center for Retirement Research in Boston, rechnet vor: "Seit dem Höchststand im Herbst 2007 haben Aktien 50 Prozent ihres Wertes verloren. Wenn man davon ausgeht, dass die Amerikaner durchschnittlich zwei Drittel in Aktien anlegen, dann ist ihr Geldvermögen um ein Drittel geschrumpft."

Dabei gibt es einen fundamentalen Unterschied zwischen Angestellten im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft. Lehrer, Polizisten und Steuerinspektoren haben in der Regel Sparpläne, bei denen zumindest eine Mindestleistung im Alter von vorneherein feststeht, vergleichbar etwa mit einer deutschen Riesterrente. Dort trägt der Arbeitgeber - faktisch also der Steuerzahler - das Risiko, wenn ein Fonds seinen Verpflichtungen nicht nachkommen kann, so wie bei Calpers in Kalifornien.

Auch in einigen alten Industrien, bei den Auto- und Stahlkonzernen sowie bei Fluggesellschaften. Der Rest der Privatwirtschaft aber hat seit den achtziger Jahren einen fundamentalen Wandel durchgemacht: Sie wechselten zu einer Form der Vermögensbildung, bei denen die monatlichen Beiträge, nicht aber die Endergebnisse feststehen. Das Risiko tragen also die Arbeitnehmer. Sie können in guten Jahren sehr viel mehr ansammeln als früher - und in schlechten entsprechend mehr verlieren. "Die Entwicklung war bisher eigentlich ganz gut," sagt Olivia Mitchell, Professorin an der Wharton Business School in Philadelphia. "Das Problem ist, dass die Menschen das Risiko nicht richtig verstehen."

Diese Form der Sparpläne heißt in Amerika "401(k)-Plan", nach dem entsprechenden Paragraphen 401, Abschnitt k im Steuergesetz, der die Abzüge für die Sparbeiträge regelt. Die 401(k)-Pläne sind für Durchschnittsamerikaner, neben dem Eigenheim, die wichtigste Ergänzung zur staatlichen Rente ("Social Security"), die in den Vereinigten Staaten nur etwa 40 Prozent des Lebensunterhalts im Alter sichert. Und diese Pläne haben nun im Durchschnitt 30 Prozent an Wert verloren. Das bedeutet: Millionen älterer Amerikaner haben zu wenig Geld für den Ruhestand. Die Konsequenzen werden unabsehbar sein.

Unabsehbare Folgen

"Die 401(k)-Pläne sind schon in Ordnung. Sie waren aber nie dafür gedacht, als Hauptergänzung zur Rente zu dienen", so Rentenforscher Anthony Webb. Tatsächlich kann ein Arbeitnehmer mit seinem Gesparten, anders als bei der Riesterrente, mehr oder weniger machen, was er will. Und viele machen dabei, wie zu erwarten, jede Menge Fehler. Sie investieren zum Beispiel einen wesentlichen Teil ihres Geldes in Aktien des eigenen Arbeitgebers. Das bedeutet: Wenn es ihrer Firma schlecht geht, droht nicht nur der Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch die Wertminderung der Altersvorsorge. Viele Arbeitnehmer ziehen immer wieder Geld aus ihren Plänen ab, um ein Auto oder ein Haus zu finanzieren.

Nach einer Modellrechnung von 2004 braucht ein Durchschnittsarbeitnehmer in den USA beim Eintritt ins Rentenalter ein Vermögen von 353.000 Dollar. Der Durchschnittswert liegt aber bei 45.000.Dollar. Hinzu kommt, dass viele Arbeitgeber in der Krise ihre Zuschüsse zu den Sparbeiträgen streichen. Die Einbrüche in der Altersversorgung werden Amerika verändern. "Es bleibt nichts anderes übrig, als dass viele Amerikaner im Alter länger arbeiten", sagt Webb. Das offizielle Rentenalter in den USA liegt bei 66 Jahren, viele werden bis 70 Geld verdienen müssen. Ökonomen plädieren dafür, das Sparverhalten mehr zu regulieren. Vor allem aber werden die Haushalte ihre Sparquote dramatisch erhöhen müssen. Das heißt auch, dass die US-Verbraucher nicht mehr zur Verfügung stehen, um die Weltwirtschaft mit ihrer Nachfrage aus der Rezession zu ziehen.

© SZ vom 28.02.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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