Windows Vista:Microsofts neue Fenster

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Das Betriebssystem aus dem Hause Gates beeindruckt vor allem mit vielen kleinen Neuerungen. Das Fazit des Tests: nicht revolutionär, aber praktisch.

Alexander Stirn

Kevin Johnson spricht gern vom "Wow-Effekt". Der Microsoft-Manager ist extra nach Europa geflogen, um die Alte Welt von den Vorzügen eines neuen Betriebssystems namens Vista zu überzeugen. Er will über Sicherheit, Stabilität und Produktivität reden.

Das Logo der Windows-Betriebssystem-Reihe (Foto: Grafik: Microsoft)

Doch letztlich landet Johnson bei Ober-flächlichkeiten: Er sagt "Wow", und jeder, der bereits mit dem neuen System experimentieren konnte, weiß, was der Manager meint - jenen kleinen Effekt, der regelmäßig staunende Blicke provoziert: Wer in Vista viele Programme geöffnet hat und mit der Tastatur zwischen den Fenstern wechseln will, bekommt als Vorschau nicht wie bisher nur Icons zu sehen.

Der Wow-Effekt

Stattdessen zeigt Vista den kompletten Inhalt der anderen Fenster an - perspektivisch verzerrt und dreidimensional gestapelt. Mit Tasten oder Mausrad kann durch die Fenster gescrollt werden. Zugegeben: Der Wow-Effekt, im Microsoft-Jargon "Flip 3D" genannt, ist hauptsächlich eine Spielerei, ein optisches Detail.

Doch steht er sinnbildlich für die meisten Veränderungen im neuen Betriebssystem: Die sind nicht unbedingt notwendig, schon gar nicht revolutionär, aber nett und angenehm im alltäglichen Betrieb.

Mehr als fünf Jahre sind vergangen, seit Microsoft mit Windows XP das letzte Betriebssystem auf den Markt gebracht hat. Jetzt soll mit Vista eine neue Zeitrechnung anbrechen, die - wie Microsoft-Produktmanager Bastian Braun es formuliert - "ein komplett anderes Erlebnis auf dem Desktop bietet".

Firmenkunden können sich bereits seit dem 30.November davon ein Bild machen. Für Endanwender soll Vista am 30.Januar 2007 auf den Markt kommen.

Sicherheit geht vor

Microsoft-Gründer Bill Gates bei einer Pressekonferenz zu Vista (Foto: Foto: Reuters)

Neben optischen Feinheiten und nützlich-netten Zusatzprogrammen hat sich Microsoft vor allem Gedanken über das Sicherheitskonzept des Betriebssystems gemacht. Unter Windows XP nutzten Privatanwender ihr System meist notgedrungen als Administratoren mit uneingeschränkten Rechten.

Nur so konnten sie problemlos Programme installieren, löschen und ausführen. Allerdings: Auch Würmer, Viren und andere Schädlinge aus dem Internet nutzten diese Freizügigkeit, um sich im Administrator-Modus einzunisten und im Hintergrund ihre Aktivitäten zu entwickeln.

In Vista sind die Benutzerkonten nun komplett überarbeitet worden. Wer sich am Rechner mit seinem Namen anmeldet, hat zunächst nur eingeschränkte Rechte.

Will er neue Programme einrichten oder wichtige Daten löschen, reagiert das System mit einer Warnmeldung. Erst wenn diese bestätigt und das Administrator-Kennwort eingegeben wird, führt der Rechner die Aktion aus.

Schädliche XP-Überbleibsel

In der getesteten Vorabversion von Vista taucht die Warnmeldung jedoch recht häufig auf, mitunter selbst bei Kleinigkeiten. Die Gefahr: Durch ständige Warnungen könnte der Nutzer dazu verleitet werden, ohne nachzudenken auf "Ja" zu klicken - und schädliche Software ins System zu lassen.

Ein Problem ist in diesem Zusammenhang auch alte, nicht speziell für Vista geschriebene Software: Weil deren Programmierer nicht sauber gearbeitet haben, versucht die Software Daten in Verzeichnisse zu schreiben, die Administratoren vorbehalten sind.

Zusätzliche Warnmeldungen sind die Folge. Hier rächt es sich, dass Microsoft nicht schon zu XP-Zeiten darauf bestanden hat, dass Programme von anderen Softwareherstellern auch mit eingeschränkten Nutzerrechten laufen.

Hungrig nach Rechenleistung

Die Benutzerkonten sind auch Grundlage eines Jugendschutz-Programms, das in Vista integriert wurde. Mit ihm können Eltern festlegen, wann Kinder den PC nutzen und welche Internetseiten sie ansteuern dürfen. Spiele, die zum Beispiel erst ab 16 freigegeben sind, können von einem 14-Jährigen nicht gestartet werden.

Eine Firewall, die jetzt auch den ausgehenden Internet-Verkehr auf unbefugte Zugriffe prüft und ein Programm namens Defender, das Angriffe von Würmern und anderen Spionageprogrammen abwehren soll, runden das Sicherheitskonzept ab.

Ob das reicht, Windows wirksam gegen Angriffe zu schützen, wird sich erst im realen Einsatz zeigen - wenn die Hacker-Gemeinde auf das neue System losgelassen wird. Microsoft-Manager Kevin Johnson warnt vorbeugend: ,,Sicherheit ist eine lange Reise, da ist man nie am Ende.''

Vista soll, so seine Entwickler, nicht nur sicher, sondern auch stabil sein. Eine Leistungskontrolle zeigt graphisch an, wann in den vergangenen Wochen Fehler aufgetreten sind und wie die Geschwindigkeit des Rechners darunter gelitten hat. Wer will und Microsoft vertraut, kann zu jedem aufgetretenen Problem einen Fehlerbericht an die Vista-Programmierer schicken.

Liegt bereits eine Lösung des Problems vor, wird sie dem Anwender automatisch mitgeteilt, verspricht Bastian Braun. Andernfalls soll das System den Nutzer einige Wochen später über Lösungsmöglichkeiten informieren - oder ihm ein Reparaturprogramm zum Herunterladen anbieten.

Viele nützliche Tools

"Vista verfügt außerdem über kleine feine Tools, die gesammelt den Unterschied zu XP ausmachen", lobt Produktmanager Braun. Und in der Tat: Viele nützliche Programme, die unter XP von Drittanbietern wie Google heruntergeladen und installiert werden mussten, sind bei Vista mit dabei.

Besonders positiv sticht die neue Suchfunktion hervor: Vista registriert den Inhalt aller Dateien auf dem Rechner; in Sekundenschnelle können so etwa alle Briefe gefunden werden, in denen die Worte "Kündigung" und "Krankenkasse" auftauchen. Die Komfort-Suche hat weitere Wirkungen: Wer eine Zeitlang mit Vista arbeitet, wird sich zum Aufruf eines Programms nicht mehr durch die Tiefen des Startmenüs klicken.

Er wird den Programm-Namen in die neue Suchleiste im Startmenü eingeben. Noch beim Tippen erscheint der Name des gewünschten Programms, die Software kann direkt gestartet werden.

Bilder einfach sortieren

Ebenfalls ins System integriert ist eine neue Bilderverwaltung, die Windows Photo Gallery. Das Programm ersetzt zwar keine professionelle Bildbearbeitung, für den Hobbyfotografen reicht es aber allemal.

Mit der Photo Gallery können jedem Bild Schlagworte ("Kinder", "Urlaub 2006") verpasst werden, anhand derer sich digitale Fotoalben zusammenstellen lassen - ohne die Dateien auf der Festplatte zu verschieben.

Wenn die Bilder bearbeitet werden, speichert Vista nur die Veränderungen ab; die Originaldateien bleiben unverändert. Dritte praktische Neuerung ist eine Leiste am Rand des Desktops, in der Mini-Programme aus dem Internet platziert werden können. Diese Gadgets liefern etwa Nachrichten, den Wetterbericht und die Aktienkurse, sie können Notizbuch, Kalender oder Taschenrechner sein.

Der Umstieg will wohlüberlegt sein

"Die neue Benutzeroberfläche fordert ein bisschen Leistung, aber bringt sehr viel", sagt Produktmanager Braun. Konkret heißt das: Um in den Genuss des neuen Desktops mit 3D-Effekten zu kommen, sollte der Rechner mindestens ein Gigabyte Arbeitsspeicher und eine moderne, mit 128 Megabyte bestückte Grafikkarte haben.

Für eine abgespeckte Vista-Version braucht es immer noch 512 Megabyte Arbeitsspeicher und einen Prozessor mit mindestens 800 Megahertz. Vista ist - alles andere wäre nach fünf Jahren Entwicklung auch verwunderlich - mit Sicherheit besser als Windows XP und beeindruckt vor allem durch die Summe seiner Neuerungen.

Ob es so viel besser ist, um ein stabil und zuverlässig laufendes XP-System einem Update zu unterziehen, bleibt allerdings fraglich - das Risiko, dass nicht mehr alle Programme einwandfrei laufen, alte Hardware nicht unterstützt oder der Rechner sogar aufgerüstet werden muss, ist vergleichsweise hoch.

Für zufriedene XP-Benutzer kann es daher durchaus sinnvoll sein zu warten, bis sie einen neuen PC brauchen. Bei dem wird Vista dann ohnehin dabei sein.

© Süddeutsche Zeitung vom 16.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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