Smartwatches:Maß aller Dinge

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Blutdruck, Schlafphase, Klima: Alles unter Kontrolle. Die Menschen messen und werden vermessen. (Foto: AP)

Vom Fitness-Armband zur Smartwatch: Intelligente Mess-Systeme am Handgelenk und anderswo sollen motivieren und Kontrolle bieten. Stattdessen bringen sie oft nur Frust mit sich. Und das rund um die Uhr.

Von Bernd Graff

Beginnen wir doch mal ganz unvermessen mit einer These: Früher wurde gemessen, damit man möglichst bald nicht mehr messen musste. Es wurde gewissermaßen gemessen, um zu vergessen. Denn messen war eine bewusst ausgeführte Intervention und damit eine Ausnahme. Heute wird gemessen, um immer weiter zu messen. Denn Messen ist zum kontinuierlichen Erfassen geworden, Messwerte sind gebündelt zu einem nie mehr abreißenden Datenstrom, der uns Auskunft über die Gegenwart geben soll, noch schlimmer, ein Strom, der uns Auskunft über uns selbst geben soll.

Früher, das war die Zeit des Fieberthermometers, der Waage daheim, des Heizungsthermostats und des Blutdruckmessgerätes beim Arzt. Gerätschaften, die man einsetzte, wenn man sich krank oder zu dick fühlte, wenn es kalt war im Wohnzimmer, dies per Anzeige auch bestätigt bekam, um dann schleunigst im Bett, unter einer Decke oder in einer Diät zu verschwinden. Wer sich gesund fühlte, maß seine Körpertemperatur nicht. Im Frühjahr drehte niemand am Thermostat. Wozu auch? Doch im Wohnzimmer ist es nicht mehr warm oder kalt, dort herrscht jetzt ein reguliertes Ganzjahresklima. Das will observiert sein. Blutdruckmessen diente der Kontrolle durch den Arzt, der Druck passte, und wenn nicht, dann tat man etwas, um das zu ändern. Heute messen wir nicht im Ausnahmefall, und es messen nicht nur Ärzte, wir messen selber. Wir messen alles. Die Messgeräte zeigen nicht mehr nur im Bedarfsfall an, sie sprechen permanent zu uns, wir meinen es zumindest. Im Grunde genommen befinden wir uns im Zeitalter elektronischer Geschwätzigkeit. Ein Datengemurmel.

Der Klump ist permanent auf Sendung

Denn das, was am Handgelenk baumelt, was unter der Zimmerdecke klemmt, was GPS und Laufuhr so sagen, vor was ein Auto inzwischen warnt, verschafft sich alles inzwischen Gehör oder ist selbsttätige optische Anzeige: Der Klump ist permanent auf Sendung. Vernetzte Gerätschaften erfassen und übertragen immer irgendwelche Daten, die Beachtung heischen: vom Körper auf unser Handgelenk und auf ein bunt flirrendes Display, von dort sofort in den Computer oder in die Cloud, vom Smartphone vielleicht dann auch mal in die intelligente Haustechnik, die sowieso stets darauf wartet, von ihren Sensoren neues Futter zu bekommen, um die Raumtemperatur anzupassen oder vor Sauerstoffabfall, Rauchentwicklung, Einbrechern oder einfallenden Kleinkindern und Katzenhaaren zu warnen. Inzwischen können selbst Windschutzscheiben von Autos Auskünfte erteilen, bei Mercedes-Benz spricht man von "DICE" und meint damit nicht, dass der Wagen sein Fahrverhalten nun erwürfelt (was das englische Wort "Dice" für Würfel nahelegen würde), sondern man meint damit eine "Dynamic Intuitive Control Experience".

Und damit sind wir nach der These auch beim Thema: Dynamisch ist mittlerweile alles. Es hört nichts mehr auf. Und als "Experience", als Erfahrung also, gilt mittlerweile auch alles: Die Blutdruck-Highlights des Monats, die Schlafphasen-Verzückung am Donnerstag, die stehenden Cloud-Motivationen nach dem konsequenten Lauftraining. Man hält es kaum noch aus.

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Von einer "Kontroll-Erfahrung" zu sprechen, ist dann aber Hohn: Denn alles, was Kontrolle und somit den kontinuierlichen Check verlangt, erwartet die Fron der Reaktion. Das aber ist keine Erfahrung, das ist der Frust des Müssens. Man muss ja dann immer wieder und immer weiter und immer schneller laufen, sagt das Fitness-Armband, sonst verliert man Fitness gegenüber anderen Fitnessarmbandträgern.

Muss man oder will man das eigentlich wissen?

Der Schlafrhythmus ist gestört? Dann haben wir wohl ein Gläschen zu viel getrunken am Vorabend. Konsequentere Abstinenz scheint geboten. Der Klimaschutz im Wohnzimmer bedarf der sensiblen dauerhaft geregelten Fürsorge - allein schon der Pflanzen wegen. Rüstige Omas, die wundersamerweise ein iPad nicht nur halten, sondern auch ausgetüftelt bedienen können, zeigen ungefragt ihr Bio-Rhythmus-Chart: "Schauen Sie, kein Kaffee - und, peng!, schon hat man solche First-Class-Werte! Diese Delle in der Kurve? Uiuiui, die muss das Eierlikörchen letzten Mittwoch verschuldet haben." Muss man oder will man das eigentlich wissen? Die smarten Geräte schweigen dazu. Sie wollen ja nur bedient werden und sind smart genug, ihre Daten einfach immer weiter vor sich hin zu brabbeln. Irgendjemand muss sich darum kümmern. Daten sind die Tamagotschis unseres Teenagerjahrtausends.

Leistung und Funktionen des Körpers sind fast vollständig in Zahlenwerk übersetzt worden. Er wird nun berechenbar. Berechenbarkeit schafft Wettbewerb. Und sei es mit seinen eigenen Ansprüchen.

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Die Frage aber, ob Selbsterkenntnis nach Zahlen überhaupt möglich ist und welches Ziel die Idee permanenter Selbstoptimierung verfolgt, stellt sich oft nicht mehr. Das ist eigentlich schade: Denn so entgeht den Optimierten, dass sie sich selber einer Diktatur des Digitalen unterworfen haben, die den eigenen Körper zu einer manipulierbaren Maschine degradiert - angeblich so aufrüstbar wie ein Auto.

So stellt man nach dem Rundgang durch den elektronischen Auto-Motivations-Salon fest, dass Menschen offenbar bereit und willens sind, die Sorge um sich an Algorithmen in der Serverwolke irgendwelcher Unternehmen zu delegieren. Der Schub, den eigen-motiviertes Handeln für das Leben bewirkt, erfährt so eine Umkehr: Wann Zahltag ist, bestimmen nun die Zahlen der anderen.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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