Sicherung des Präsidenten-Nachlasses:E-Mail für sich

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Noch ist Bush im Amt, doch sein Vermächtnis bereitet dem Nationalarchiv bereits jetzt Kopfschmerzen. Ein Notfallplan regelt die Sicherung der Datenflut.

Roman Deininger

George W. Bush, hört man, sorgt sich um sein Vermächtnis. Er möchte in Erinnerung bleiben als Mann, der die Welt ein gutes Stück weiter gebracht hat auf dem dornenreichen Weg von der Tyrannei zur Freiheit, und er hadert damit, dass diese Sicht der Dinge bis auf weiteres nicht als mehrheitsfähig gelten kann.

Fünfzig bis hundert mal so groß wie der Clinton-Nachlass - die Datenflut der Bush-Regierung stellt das Nationalarchiv vor einzigartige Herausforderungen. (Foto: Foto: dpa)

"Die Geschichte wird ein Urteil fällen", beschied seine Gattin Laura dieser Tage trotzig einem Fernsehreporter, "wir werden schon sehen". Probleme mit dem Erbe des 43. US-Präsidenten hat derweil auch das Nationalarchiv in Washington. Sie sind vergleichsweise profaner Natur, aber keineswegs unerheblich.

Per Gesetz ist es den National Archives mit ihren 3000 Mitarbeitern nämlich aufgetragen, die Präsidenten-Nachlässe zu sichern. Alle Dokumente einer Regierung werden mit dem Ausscheiden aus dem Amt zu Staatseigentum. Bisher konnte man sich das so vorstellen, dass große Trucks große Kisten in große Lagerhallen gefahren haben. Nun aber ist alles anders. George W.Bush stand der ersten Regierung vor, in deren interner wie externer Kommunikation sich die Internetrevolution mit voller Wucht bemerkbar macht.

Noch in den Dokumenten Bill Clintons, der das Weiße Haus 2001 verließ, finden sich zahllose handgeschriebene Memos, gelbliche oder bläuliche Zettel, so dünn, dass man sie besser nicht zu schwungvoll anfasst. Die Mitarbeiter der Bush-Administration kritzelten sich kaum mehr Nachrichten auf Papier. Sie schickten sich E-Mails.

Rund 100 Terabyte E-Mails und Dokumente

Der elektronische Datensatz aus acht Jahren Bush, schätzt das Nationalarchiv, dürfte fünfzig bis hundert mal so groß sein wie jener aus acht Jahren Clinton. Von mindestens 100 Terabyte ist die Rede; ein Terabyte sind rund 1000 Gigabyte. Das Informationsvolumen des Bush-Nachlasses könnte es dann locker mit dem Kernbestand der Library of Congress, einer der größten Bibliotheken der Welt, aufnehmen.

Das Ende der Amtszeit Bushs "stellt eine einzigartige Herausforderung dar", heißt es in einem "Notfallplan", den das Archiv in den vergangenen Monaten erarbeitet hat. Die Behörde will gewappnet sein, wenn die Datenflut nach der Amtseinführung Barack Obamas am 20. Januar über sie hereinbricht. Einige unabhängige Experten bezweifeln allerdings, dass das noch gelingen kann. "Die Zuversicht ist unerklärlich", sagte ein Fachmann der New York Times.

Zweifelhaftes Vermächtnis

Der Notfallplan sieht vor, dass das Archiv die bestehenden Datenbanken des Weißen Hauses zunächst einfach "einfriert". Erst nach und nach sollen die Informationen dann in ein hochmodernes EDV-System übertragen werden, das gerade eigens für das Archiv entwickelt wird.

Bis die Bush-Dokumente dann umfassend katalogisiert, die E-Mails, der präsidentielle Terminkalender und die Gästeliste des Weißen Hauses über Suchmaschinen zugänglich gemacht sind, werden Jahre vergehen. Für Historiker, die sich der Aufarbeitung der Bush-Ära widmen wollen, ist das ein ärgerlicher Zustand; im Hinblick auf offizielle Anfragen durch den Kongress oder Gerichte ist er eigentlich unhaltbar.

Hinzu kommt, dass die Bush-Regierung sich bislang nicht eben bemüht hat, dem Archiv die Vorbereitungen auf den Tag X zu erleichtern. Mehrmals schon hat das Weiße Haus offizielle Anfragen zu Umfang und Beschaffenheit des Datenmaterials ignoriert. Außerdem hat es die Administration zwischen 2003 und 2005 versäumt, mehr als fünf Millionen interne E-Mails ordnungsgemäß zu speichern - angeblich wegen einer technischen Umstellung.

Bürgerrechtsorganisationen befürchten Verschleierungsversuche und wollen die Regierung vor Gericht dazu zwingen, alles für die Wiederherstellung der Daten zu tun. Neue Nahrung erhielt das Misstrauen kürzlich, als Vizepräsident Dick Cheney andeutete, einige seiner Dokumente für privat erklären zu wollen - das Nationalarchiv gingen sie dann natürlich nichts mehr an.

Der Präsident sorgt sich um sein Erbe, die Archivare tun das auch. Und vielleicht, meinen Bush-Kritiker, haben beider Sorgen doch mehr miteinander zu tun, als es der erste Blick vermuten lässt.

© SZ vom 30.12.2008/tess - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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