Powerpoint-Karaoke:Pointierte Witzelsucht

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Powerpoint-Karaoke - eine Erfindung von Berlins Digitaler Boheme - hat es mit Jahren Verspätung nach München geschafft. Das Ergebnis ist bizarr.

Mirjam Hauck

Das Karaoke-Prinzip ist bekannt: Zu einem möglichst albernen Lied wie "Skandal im Sperrbezirk" oder "Tausend mal Du" steht man auf der Bühne einer szenigen Bar, kämpft tapfer mit dem Mikrofon in der Hand gegen das eingestrichene C und rumpelt mit dem Vierviertel-Takt. Je schiefer die Tonlage und je holpriger das Rhythmusgefühl, desto mehr Begeisterung im amüsierwilligen Publikum.

Aber falsch singen kann jeder. Gibt es für ungelenke Selbstdarsteller nicht eine viele bessere Vorlage? Es gibt sie: Es ist die Powerpoint-Präsentation - die bunten Folien mit den hereinfliegenden Buchstaben sind das Handwerkszeug jedes Projektmanagers und Vertrieblers.

2003 vom Kommunikationswissenschaftler Edward Tufte in der Digital-Bibel Wired als böse verteufelt ("Powerpoint erzeugt Dummheit, Powerpoint vergeudet Zeit"), ist die Slideshow der Heilsbringer, an dem sich der moderne Büroangestellte virtuell festhält, wenn er sich oder und sein Produkt verkaufen will.

Bizarre Präsentationen mit bizarren Themen

Powerpoint-Karaoke, also die reine Verbindung von Sinnlosigkeit und Sinnlosigkeit, passt perfekt in unsere Zeit. Entdeckt hat dies die sogenannte Digitale Boheme in Berlin. Das sind Menschen, die mit mehr oder weniger kreativen Projekten im Internet wenig Geld verdienen. Deren Anlaufstelle, die Zentrale Intelligenz-Agentur, hat vor zwei Jahren diese Veranstaltung aus der Taufe gehoben: Bizarre Präsentationen mit bizarren Themen, interpretiert von eifrigen Selbstdarstellern.

Was in Berlin Anfang 2006 hip war, muss auch in München funktionieren, dachte sich die PR-Agentur Maisberger und organisierte die erste Münchner Powerpoint-Karaoke-Nacht im Unionsbräu im Szeneviertel Haidhausen. Das Motto: "Einer labert, alles lacht". Das Publikum: blonde PR-Frauen, anzugtragende Produktmanager - von digitalen Freigeistern keine Spur. Um sich vom Brauereigaststätten-Publikum zu unterscheiden, band sich die Münchner Boheme ein orangenes Eintrittsbändchen ums Handgelenk - wie beim All-inclusive-Urlaub.

Zur Melodie von "Mission Impossible" zog der launige Moderator die eingereichten Visitenkärtchen und holte die Kandidaten - wie Franz Josef Strauß selig - mit dem bayerischen Defiliermarsch auf die Bühne. Nach ein, zwei Gläschen Wodka pro Nase gings los: Projektmanager Mario, gekleidet im schwarzen Werbeanzügle, referierte zum Thema "Abseits".

Lags am klischeebeladenen Thema oder der etwas oberlehrerhaften Art, das Publikum goutierte die Ausführungen mit mäßigem Applaus. Auch "Verpackungen aus Vollpappe" war kein Erfolg vergönnt - zu pappig das Ganze.

Der nächste Kandidat, Ralf, ebenfalls ein Projektmanager (mittig mit betontem o stimmhaftem tsch) versuchte sich als Bully-Herbig-Klon und klamaukte sich so durch die "Kartenkonzernnetze". Sein Erfolgsrezept: nicht ausschließlich sklavisch ablesen. Die Kollegenfraktion von Siemens klatschte begeistert.

Karnevalssitzung für Münchner Yuppies

Die Folieninhalte schwankten zwischen potenziellen Ekelsujets wie "Urlaubskrankheiten" und "Erotik im Alter" sowie Meilensteinen des Intellekts wie "Navigation der Biene" und "Archetypische Figurenfunktionen". Nützte aber alles nichts, lustig wurde es nur, wenn sich die Redner von den Vorlagen lösten, wenn das Formelzeichen kurzerhand als Gabel und die Schweinelaus als Münchner Delikatesse durchging.

Versuchte der Mitarbeiter der Stadtsparkasse München dagegen einen Rap zu "Jugendkultur Hiphop", suchte man verzweifelt nach Lufttschlangen und Pappnasen - Karnevalssitzung für Münchner Yuppies.

Gewonnen hat schließlich Bianca, Account-Managerin bei einer IT-Firma. Ihr Vortrag: "Wesenszüge der Quantenphysik". Gänzlich unbelastet von irgendwelchem Fachwissen, erzählte sie von gelben und blauen Kugeln, von Gabeln und fehlenden Armen. Das Publikum entspannte sich, freute sich und bekam eine Ahnung davon, dass das wahre Leben tatsächlich im Digitalen liegt.

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