Nintendo "Wii fit":Großmaul am Schwebebalken

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Jeder redet bei Nintendos Neuentwicklung von therapeutischem Zocken und pädagogisch wertvollen Spielen. Als Computerfan fragt man sich jedoch: Macht das Ding tatsächlich Spaß?

Jürgen Schmieder

Wer als Skispringer die Schanze hinunterfährt, braucht Balance. Leicht nach vorne lehnen, die Knie beugen, den Absprung im Blick haben. Am Schanzentisch dann schnell die Knie strecken - und schon segelt man durch die Luft. Jetzt nur keinen Fehler machen. Wind ausgleichen. Den Telemark vorbereiten. Landen. 143 Meter. Ein gutes Ergebnis. Die Menge tobt. Fehlen nur die Kuhglocken und Rasseln. Aber der Sprung fand ja nicht auf der Olympiaschanze von Nagano statt, sondern im heimischen Wohnzimmer. Nintendo will mit seiner Innovation "Wii fit" für Bewegung im Heim sorgen.

Therapeutisches Zocken mit der Wii fit. (Foto: Foto: Nintendo)

Dass es funktionieren kann, Couch-Potatoes zum Sport zu animieren, beweisen die Wii-Spiele, die bereits erschienen sind: Man kann gegeneinander Tennis spielen, einen Baseball über die Stadionmauer knüppeln - ja, man kann sogar Dartpfeile werfen, rein virtuell versteht sich. Nun kommt mit der Wii Fit die erste offizielle Erweiterung für die Wii daher. Es ist ein Brett, das aussieht wie eine Mischung aus Waage und Step-Aerobic-Platte. Das Gerät misst Gewicht und Haltung und erstellt daraus einen Fitnessplan.

Doch Moment: Jeder redet vom gesunden Daddeln, vom Fitness-Faktor der Konsole und von dicken Teenagern, die plötzlich im Wohnzimmer umherhoppeln wie der Duracell-Hase. In der Financial Times Deutschland gibt es gar eine Reportage aus dem Altersheim, fröhlich zockende Senioren werden abgebildet, es gibt das drollige Zitat: "Wii fit wir noch sind". Das ist die perfekte Marketingkampagne von Nintendo - dem Retter der Familien-Gesundheit und die Antithese zu Ballerspielen. Klar ist: 50 Übungen aus den Bereichen Yoga, Muskelaufbau, Aerobic und Balance sollen die Pfunde purzeln lassen. Aber was ist eigentlich mit dem Spielspaß? Geht es beim Computerspielen nicht vornehmlich darum?

Man muss einen Zocker-Abend organisieren, um das herauszufinden. Eine Skisprung-Meisterschaft oder mindestens einen Wettbewerb im Skifahren. Man muss seine Freunde versammeln - einige mit Computerspielerfahrung, andere ohne. Die Wii wird an einen Beamer angeschlossen, das Bild auf eine Großleinwand projiziert. Und schon geht's los. Denkt man.

Da sich Nintendo jedoch dem "Besonders wertvoll"-Prädikat verschrieben hat, muss man sich erst eine Eloge über die Fitness anhören, bevor man sich registrieren darf. Dann wird der BMI angezeigt. Das sorgt für Gelächter, allerdings nur bei Freunden, die nun alle wissen, dass man die Schwelle zum Übergewicht weit überschritten hat. Es kommt noch ein Balance-Test, die Auswahl des Trainers und dem Feststellen des biologischen Alters - auch hier wieder Gelächter. Das ganze wird begleitet von einer putzigen, heliumgetränkten Stimme, die stets freundlich bleibt, auch wenn man offensichtlich zehn Kilo zugenommen hat. Dann heißt es: "Ihr Gewicht hat sich leicht verändert". Das Spiel ist politisch so korrekt, dass nicht einmal Claudia Roth etwas dagegen haben kann.

Dann geht es endlich los - und man muss sagen, dass sich die enervierende Registriererei gelohnt hat. Der großmäulige Kollege balanciert auf dem Brett, als stünde er mit 2,0 Promille auf einem Olympia-Schwebebalken, ein Freund ärgert sich köstlicher als Louis de Funes, wenn ein Sprung daneben geht. Und selbst Kolleginnen, die in ihrem bisherigen Leben ganze drei Minuten am Computer gespielt haben, versuchen sich im virtuellen Riesenslalom.

Leider kein Wettkampfmodus

Die Wettkämpfe gegeneinander machen Spaß, auch wenn es eigentlich keinen Modus dafür gibt. Das ist schade, denn gegeneinander Skifahren, Kopfbälle über oder Murmeln einlochen haben einen größeren Anreiz, wenn man einen Freund besiegen kann. Trainieren macht eben nicht nur miteinander, sondern machmal auch gegeneinander Spaß. Vielleicht denkt Nintendo bei der Fortsetzung auch an dieses Feature.

Denn bei allem Lob für den Fitness-Faktor muss einfach gesagt werden, dass der Spaßfaktor bei "Wii fit" unglaublich hoch ist. Es ist die konsequente Fortsetzung der Nintendo-Strategie, auf grafische und auditive Höhepunkte zu verzichten und einfach ein Produkt auf den Markt zu bringen, das Spaß macht. Und zwar nicht nur Kindern und Senioren sondern auch Computerspiele-Fans.

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