Neue Handys:Weniger Chic, mehr Funktionen

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Vor einem Jahr hat Apple das iPhone auf den Markt gebracht - hat die Konkurrenz seither aufgeholt?

Helmut Martin-Jung

Um eine Tür zu entriegeln, nimmt man den Riegel, meist ein L-förmig gebogenes Stück Metall, am kurzen Teil des L und schiebt ihn zur Seite. Wie aber sperrt und entsperrt man ein Mobiltelefon? Es ist dies scheinbar eine der einfacheren Fragen, und doch findet jeder Hersteller seine eigene Lösung, um zu vermeiden, dass das Handy in der Hosentasche ungewollt nach China telefoniert. Die einleuchtendste Idee aber stammt von Apple. Das iPhone zeigt auf seinem berührungsempfindlichen Bildschirm einen Riegel, mit dem man was tun muss? Genau, zur Seite schieben.

Es waren Merkmale wie dieses, die Apples Gerät mit der Bekanntgabe im Januar 2007 und dem Verkaufsstart im Juni zu einer Ausnahmeerscheinung machten. Auch wer sich am Ende doch für ein anderes Modell entscheidet, hält es oft für ein Vorbild an Benutzerfreundlichkeit. Nun - glaubt man den zahlreichen Gerüchten - soll schon in wenigen Tagen das Nachfolgemodell vorgestellt werden. Wie gemunkelt wird, soll dieses nachrüsten, was man bisher am meisten vermisste beim iPhone: die schnelle Internetanbindung über UMTS und einen GPS-Chip zur mobilen Navigation.

Was aber hat die Industrie in dem Jahr auf die Beine gebracht, das seit der Markteinführung des ersten iPhones vergangen ist? Oder anders gefragt: Kann man heute ein anderes Mobiltelefon mit der Ausrichtung auf mobiles Surfen und auf Multimedia-Fähigkeiten kaufen, das sich ähnlich spielerisch bedienen lässt? Wir haben drei Geräte, die von der Papierform her dem Vorbild am nächsten kommen, im Praxiseinsatz getestet.

Alle drei Kandidaten, das Qbowl von Samsung, das Viewty von LG sowie das neue Diamond Touch von HTC, haben einen ähnlich großen und ebenfalls berührungsempfindlichen Bildschirm. Sie können große Mengen an Musik- und Videodateien speichern und abspielen, außerdem fotografieren und filmen, sind internettauglich und bei den Mobilfunkanbietern sofort zu haben oder sollen - im Falle des HTC-Gerätes - in wenigen Tagen verfügbar sein.

Die kurze Antwort auf die oben gestellte Frage lautet dennoch nein - so spielerisch wie das iPhone lässt sich keiner der Konkurrenten handhaben. Immerhin ist oft das Bemühen erkennbar, es dem Vorbild gleichzutun. Die Fähigkeit zum Beispiel, Internetseiten mit zwei Fingern zu vergrößern oder zu verkleinern, bleibt einzigartig. Aber auch wenn die Menüs der Konkurrenten manchmal weniger Chic haben, wenn man am Anfang öfters mal in der Anleitung nachsehen muss, jeder aus dem Trio hat seine Vorzüge und kann daher als Alternative dienen.

Kaum ein Geschäft aber ist so schnelllebig wie die Mobilfunkbranche. Für den Spätsommer sind neue Geräte angekündigt, mit denen die Hersteller versuchen wollen, gegen das iPhone und die restliche Konkurrenz zu punkten.

Die wichtigsten Vorzüge des Diamond Touch stechen sofort ins Auge. Das Gerät des taiwanesischen Herstellers HTC, das auch unter Namen wie XDA oder MDA als Eigenmarke der großen Mobilfunkanbieter vertrieben wird, ist das kleinste der Runde, bietet jedoch den am höchsten aufgelösten Bildschirm.

In manchen Anwendungen ändert sich die Darstellung automatisch von vertikal auf horizontal, sobald man das Gerät dreht. Als einziges hat das HTC-Handy einen GPS-Chip zur Satellitennavigation und beherrscht sowohl den schnellen mobilen Datenfunk UMTS als auch Wlan. Auch ein UKW-Radio haben die Ingenieure noch untergekriegt.

Die Entwickler von HTC haben viel Mühe darauf verwendet, dem für die Bedienung mit einem Stift optimierten Betriebssystem, Windows Mobile 6.1, einen gewissen Touch zu verleihen. Die wichtigsten Funktionen, zum Beispiel ein Musikspieler, der Zugang zum Internet oder das E-Mail-Programm, lassen sich über die aufwendig animierte Oberfläche mit einem Finger ansteuern.

Viel Können in wenig Gehäuse

Aber es bleibt nicht verborgen, dass die TouchFlo genannte Oberfläche dem eigentlichen Betriebssystem aufgepfropft wurde. Es reagiert eher träge und manchmal, zum Beispiel wenn Text eingegeben werden soll, hilft doch nur der Stift weiter, der seitlich im Gerät untergebracht ist.

So viel Können in so wenig Gehäuse fordert aber auch anderswo Tribut. Der Akku hält nicht allzu lang durch, beim Laden und wenn rechenintensive Aufgaben zu erledigen sind, wird er zudem heiß. Die USB-Verbindung zum Computer ist langsam, die mitgelieferten Ohrhörer sind eines Multimedia-Gerätes nicht würdig. Standard-Ohrhörer mit 3,5 Millimeter-Klinke aber kann man nur mit Adapter verwenden. Wer mit diesen Unzulänglichkeiten leben kann, erhält ein vor Funktionen strotzendes Gerät, das die oft etwas unförmigen Windows-Organizer-Handys ersetzt.

Das Viewty genannte Multimedia-Handy des koreanischen Herstellers LG versucht vor allem, über seine Fotofunktion zu punkten. Liegt es mit dem Bildschirm nach unten auf dem Tisch, könnte man es glatt für eine kleine Digitalkamera halten.

Mit einem Objektiv des renommierten Herstellers Schneider, eingebautem Xenon-Blitz, automatischer und manueller Scharfstellung sowie einer manuell steuerbaren Zoomfunktion und vor allem mit seinen maximal fünf Millionen Pixeln kommt es der Papierform nach in die Nähe einfacher Digicams.

In der Praxis kann das Handy diesen Anspruch aber nicht ganz erfüllen. Zwar lässt sich die Kamerafunktion mit einem Druck auf den seitlich angebrachten Auslöseknopf zügig starten, es dauert aber doch lange, bis scharfgestellt und ausgelöst wird. Für den schnellen Schnappschuss taugt das nicht. Die Aufnahmen werden zudem überschärft und zeigen Farbsäume an den Kanten. Für das Blog oder die Freundeseite im Internet reichen sie aber locker. Sie lassen sich dank dem schnellen Datenfunk UMTS auch in Sekundenschnelle per Mail versenden. Das von LG selbst entwickelte Betriebssystem ist überhaupt von der schnelleren Sorte und reagiert stets prompt auf Eingaben. Das Gerät ist sogar schnell genug für ein kleines 3D-Ballerspiel.

Text gibt man beim Viewty ausschließlich über eine virtuelle Tastatur auf dem Touchscreen ein. Entweder im Querformat mit Tasten für jeden Buchstaben außer Umlauten, vertikal über mehrfach belegte Tasten wie bei normalen Handys oder mit Handschriftenerkennung. Dazu benutzt man am besten den mitgelieferten Stift, der, mit einer Schnur seitlich an einer Öse befestigt, etwas unmotiviert in der Gegend herumbaumelt.

Gewöhnungsbedürftig ist, dass auf allen Tastaturvarianten die Löschen-Taste fehlt - das geht ausschließlich mit der mittleren der drei Hardware-Tasten unter dem Bildschirm - darauf muss man erst einmal kommen. Auf dem eingebauten UKW-Radio lassen sich Sender sehr leicht speichern. Mankos des Gerätes sind vor allem die fehlende Wlan-Unterstützung und die manchmal verwirrende Menüführung.

Schade auch, dass das Gerät am Computer nicht als Laufwerk auftaucht, sondern nur über eine herstellereigene Software ansprechbar ist. Das ist unkomfortabel. Erschwerend kommt hinzu, dass man den Akku ausbauen muss, um an die externe Speicherkarte heranzukommen.

Präzise Qwertz-Tastatur

Der große Bildschirm frisst auch den Akku des LG schnell leer. Um Strom zu sparen, schaltet sich die Anzeige sehr schnell ab und die Tastensperre ein. Zum Entsperren drückt man auf eine seitlich angebrachte Taste, die weder besonders gut erreichbar, noch in der Hosentasche ausreichend geschützt ist.

Wer auf Wlan verzichten kann, bekommt mit dem Viewty ein gut verarbeitetes Handy mit für diese Geräte überdurchschnittlicher Kamera.

Samsungs Qbowl genanntes Multimediahandy wird in Deutschland nur über Vodafone vertrieben und ist schon von daher als Versuch zu sehen, mit dem iPhone zu konkurrieren. Der auffallendste Unterschied zum iPhone wie zu den anderen Geräten des Testfeldes ist eine angenehm präzise Qwertz-Tastatur, die sich quer herausschieben lässt.

Nur zu dicke Finger sollte man dafür nicht haben. Das Qbowl hat als Tastensperre einen mechanischen Riegel, der aber so schwergängig ist, dass man den Fingernagel einsetzen muss, um ihn zu bewegen. Außerdem sitzt er so, dass man ihn bei Einhandbedienung nur mit dem Daumen der rechten Hand bequem erreicht.

Das Handy hat vier Gigabyte eingebauten Speicher, er lässt sich mit Micro-SD-Karten erweitern. Zur Zeit können diese kleinen Kärtchen maximal acht Gigabyte an Daten speichern. Gewöhnungsbedürftig am Qbowl ist die Bedienung des Touchscreens. Beim Surfen im Internet zum Beispiel bewegt sich die Seite nach oben, wenn man den Finger am Bildschirm nach unten zieht.

Man kann dem Bildschirminhalt nicht wie beim iPhone oder der Konkurrenz einen Schubs geben, dessen Schwung mit der Zeit nachlässt, sondern muss den Finger immer drauflassen und dazu auch noch in der umgekehrten Richtung schieben. Gut immerhin, dass Links bei einmaligem Berühren markiert und erst beim zweiten Antippen gestartet werden.

Ausgerechnet beim Vodafone-Gerät gelang es aber nicht, Mails eines bestehenden Zugangs beim Anbieter GMX abzurufen, obwohl eine Vodafone-Karte mit Datentarif verwendet wurde. Wie bei der Konkurrenz ermattet auch beim Qbowl der Akku relativ schnell. Der Bildschirm erreicht nicht die Schärfe und die Brillanz des restlichen Testfeldes.

Das Betriebssystem reagiert träge, oft dauert es einen Moment, bis man die angezeigten Knöpfe auch wirklich betätigen kann. Hat man sich an die Eigenheiten des Qbowl und die manchmal nicht auf den ersten Blick einleuchtenden Menüs erst einmal gewöhnt, lässt es sich gut gebrauchen und ist eine Alternative für Handybenutzer, die viel schreiben und einen großen Bildschirm wollen.

© SZ vom 6.6.2008/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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