Social Apps:Die Tinderisierung der Welt hat begonnen

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Screenshot der App Ameego, die ein "Airbnb für Freunde" sein soll. (Foto: iTunes Store)

Rechts wischen für den neuen "best friend forever": Neue Apps wollen Nutzern helfen, Freunde fürs analoge Leben zu finden. Hat Facebook versagt?

Von Michael Moorstedt

Hin und wieder scheint es, als hätte jeder zweite Programmierer und smarte App-Entwickler die gleiche Idee. Momentan ist es wieder so weit, und so taucht gerade eine neue Riege von verwechselbaren Apps aus den Start-up-Sweatshops des Silicon Valley auf. Sie tragen wortspielverliebte Namen wie Ameego, Rendezwho und Bumble BFF. Und sie haben ein simples Ziel. Die Nutzer sollen Freunde finden. Nicht online, sondern im echten Leben.

Ein paar von ihnen sind sogar zahlungspflichtig. Auf Airbnb kann man sich die Wohnung eines Fremden organisieren, via Uber einen Fremden als Chauffeur bestellen und nun eben den Fremden selbst. Für Clay Kohut, Gründer von Ameego, ist das nur eine "logische Folge". Egal, ob für den Konzertbesuch, das Mittagessen oder den Nachmittag im Museum - seine App verspricht "instant, local Friends". Man muss nur anwählen, was man gerne unternehmen würde - und schon melden sich die Freundes-Dienstleister.

Die Kommerzialisierung von Freundschaft - da scheint sich zu bewahrheiten, was professionelle Pessimisten und Anhänger monokausaler Medienwirkungstheorien schon lange prophezeiten. Die durch das Internet sozial verwahrlosten Jugendlichen sind nicht mehr in der Lage, ohne Smartphone in der Hand Bindungen zu schließen. Der Guardian schreibt dagegen von Apps, "die die Einsamkeit kurieren" - die in Zeiten von Mobilitätszwang und gesellschaftlich verordneter Unverbindlichkeit eben einen Nerv treffen.

Binär ist das Leben einfach leichter

Heißt das aber nicht auch, dass die etablierten sozialen Netzwerke in ihrer selbst proklamierten Aufgabe, die Menschen zu verbinden, egal, wo oder wann, versagt haben? Eine Präsenz auf Facebook ist heutzutage ebenso selbstverständlich - und damit auch ähnlich verbindlich - wie früher ein Eintrag im Telefonbuch. Twitter dient den meisten Nutzern vor allem zur Selbstpromotion. Instagram fühlt sich zwar privater an, aber auch dort zeigen die Menschen ja vor allem eine reichlich aufgehübschte Version ihres Lebens.

Warum taucht die neue App-Kohorte aber gerade jetzt auf? Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass IT-Konzerne versucht haben, ihren Nutzern zu mehr Interaktion auch abseits des Bildschirms zu verhelfen. Foursquare, Google Latitude oder Facebook Nearby Friends hießen die Dienste, die vor ein paar Jahren mehr soziale Dynamik versprachen. Heute spricht niemand mehr von ihnen.

Was bedeutet das alles? Ist hier die, wie das Netzmagazin The New Inquiry schreibt, "Tinderisierung" der Welt am Werk? Das Nach-links-oder-rechts-Wischen auf einem Smartphone-Display dient bei der enorm populären Dating-App ja der Zustimmung oder Ablehnung potenzieller Sexualpartner, je nach Attraktivitätslevel. In Wahrheit ist es aber eine Metapher für die Beschleunigung und Mechanisierung von Entscheidungen.

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Es ist bestimmt eine Übertreibung, dass die Millennial-Generation nicht mehr weiß, wie man auf Menschen zugeht. Die gelernte Dichotomie des Ja oder Nein, des Retweet oder Ignorieren, des Gefällt-mir oder eben nicht wird nun auch auf Offline-Freundschaften angewandt. Es ist eine binäre Existenz, die das Leben ein bisschen leichter macht.

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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