Musik im Netz:Konzerte zum Runterladen

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Das Festival Itunes Live in Berlin testet ein neues Geschäftsmodell für die Musikindustrie: Konzertmittschnitte zum Download.

Titus Arnu

"Haben Sie schon mal Musik von Lars Danielsson gehört?" "Und wer ist dieser Leszek Mozdzer? Pianist, oder?" "Mögen Sie überhaupt Jazz?" Die Leute in der Warteschlange sind neugierig und etwas unsicher, was sie erwartet. Es treten auf: Der schwedische Bassist Lars Danielsson und der polnische Pianist Leszek Mozder. Das Jazz-Duo spielt zusammen die Komposition "Pasodoble". Aber das Publikum hat sich diese Künstler nicht gezielt ausgesucht, ja die meisten haben noch nie von den beiden gehört. Die Eintrittskarten wurden verlost, die Menschen sind also mehr oder weniger zufällig im Ostberliner Kulturzentrum Radialsystem V zusammengekommen: Senioren, Mütter mit Teenager-Töchtern, Studenten - und einige ineinander verschlungene Liebespaare, denen es wahrscheinlich egal ist, ob sie Jazz, Hiphop oder Hardrock als Geräuschkulisse hören.

Der Mitschnitt eines Konzertes von Amy Winehouse erreichte in fünf Ländern Platz 1 der Verkaufs-Ranglisten. (Foto: Foto: Reuters)

Für das Festival Itunes Live in Berlin gibt es keine Tickets zu kaufen, man konnte sich über die Internet-Verkaufsplattform Itunes dafür bewerben, Radiosender und Zeitungen verschenkten zusätzlich Karten. Ein sehr heterogenes Publikum kommt so in Kontakt mit Künstlern und Musikstilen, die sonst wahrscheinlich an ihnen vorbeigegangen wären. Bei dem zweiwöchigen Festival treten aber auch Künstler im intimen Rahmen auf, die längst so erfolgreich sind, dass sie dauernd im Radio zu hören sind - Katie Melua etwa oder Sunrise Avenue.

Neues Geschäftsmodell für die Musikindustrie

Itunes veranstaltet die Gratis-Konzerte natürlich nicht aus reiner Menschenliebe. Die neuartige Festival-Form, die im vergangenen Jahr in London Premiere hatte, scheint ein neues Geschäftsmodell für die Musikindustrie zu sein. "Wir sehen uns nicht als Konzert-Promoter, sondern als Händler", sagt Oliver Schusser, Europa-Chef von Itunes. Schusser ist guter Dinge, denn während die CD-Verkäufe zurückgehen, steigt die Zahl der legalen Downloads kontinuierlich an.

Laut der Brenner-Studie, die vom Bundesverband Musikindustrie in Auftrag gegeben wurde, sind 2007 in Deutschland 312 Millionen Songs illegal heruntergeladen worden, 60 Millionen weniger als 2006. Apples Musikportal Itunes, der größte Musikdownload-Händler der Welt, hat allein im vergangenen Jahr 1,15 Milliarden Musikstücke verkauft. Ein Song kostet dort 99 Cent, die meisten Alben sind für 9,99 Euro zu haben. Gleichzeitig gelten Live-Auftritte in der Pop-Branche als einzige noch halbwegs sichere Gewinn-Garantie in der Branche. Mit ihren Tourneen und Festival-Auftritten nehmen Popstars längst mehr Geld ein als mit Plattenverkäufen. Allein in Deutschland übertreffen die Konzerteinnahmen die CD-Umsätze mittlerweile um das Doppelte.

Auf 500 zufällig ausgewählte Zuhörer limitiert

Das Konzert zum Runterladen, wie es von Apple nun in Berlin produziert wird, scheint da die logische Folge zu sein. Konzertmitschnitte sind gefragt, Live-Aufnahmen in hoher technischer Qualität aber rar. Es ist fast unmöglich, in einer Halle mit 10000 Menschen oder gar einem Stadion mit 50000 Zuhörern ein akustisch erträgliches Tondokument zu produzieren. Die kritische Masse der Zuhörer liegt bei 300 bis 500 Leuten, das wirkt auf der Live-Aufnahme noch wie eine begeisterte Menge, aber nicht wie eine dumpfe, im Hintergrund brodelnde Masse. Deshalb sind die Itunes-Live-Konzerte auf 500 zufällig ausgewählte Gäste limitiert.

Wie gut Apples Live-Konzept funktioniert, zeigt sich am Erfolg von Amy Winehouse. Der Mitschnitt ihres Itunes-Konzertes in London erreichte in fünf Ländern Platz 1 der internen Verkaufs-Ranglisten. Selbst Fans, die schon das fast identische Studioalbum besitzen, kaufen sich dazu noch den Livemitschnitt, vielleicht, um das Gefühl zu haben, bei einem exklusiven Event dabei gewesen zu sein - auch wenn das Ereignis künstlich so klein gehalten wird. "Exklusive Inhalte sind stark nachgefragt", sagt Oliver Schusser, und was stark nachgefragt ist, wird eben verstärkt produziert, weil es Geld bringt.

Theoretisch könnte man einen Konzertmitschnitt am Morgen nach dem Auftritt im Internet zum Verkauf anbieten - der im Gegensatz zu illegalen Aufnahmen, so genannten Bootlegs, eine hervorragende Tonqualität besitzt. Ganz so flott ist Apple allerdings nicht, es dauert eine Woche, bis die Titel bearbeitet und abrufbar sind. Zusätzlich kann man auf der Video-Internet-Plattform Myspace den dazugehörigen Konzertfilm anschauen, auch dies nicht als illegalen Mitschnitt, sondern in Kooperation mit Apple.

Abo-Systeme und Flatrate-Modelle

Nur auf das Internet zu bauen genügt auf Dauer aber auch nicht - das Geschäft im Netz erfordert neue, komplexe Geschäftsmodelle. Künftig sollen nicht nur einzelne Songs oder Alben verkauft werden. Im Gespräch sind Abo-Systeme, Flatrate-Modelle, bei denen Kunden gegen eine monatliche Pauschale unbegrenzt Musik hören dürfen. Die Abrechnung könnten Internet-Provider, Handykonzerne oder Gerätehersteller übernehmen, die von ihren Kunden dafür einen Aufpreis auf die Rechnung verlangen. Dagegen haben es die Konzertbesucher in Berlin richtig gut - der Großteil von ihnen hat das ausgezeichnete polnisch-schwedische Jazz- Duo zwar noch nie gehört, dafür ist das kulturelle Exklusiverlebnis live und gratis.

© SZ vom 9.5.2008/sam - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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