Kommunikation:Was wurde nur aus dem federnden Gang?

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Wenn die legendäre Firma Sony ein neues Handy als "Walkman" verkauft, muss man das als Verzweiflungstat verstehen.

TOBIAS KNIEBE

Es ist ein Abend aus dem Marketinghandbuch eines weltumspannenden Technik- und Medienkonzerns: 700 Großkunden, Geschäftspartner und Journalisten aus ganz Europa haben sich im Londoner Shepherd's Bush Pavillon eingefunden, um die Markteinführung eines neuen Hightech-Spielzeugs zu feiern. Geladen hat Sony-Ericsson, die Handysparte (und Halbtochter) des Sony-Konzerns.

Sonys Walkman Phone. (Foto: Foto: Sony)

Das passt, denn vom Stammbaum her ist das neue Gerät ein Mobiltelefon. Es soll aber vor allem als Musikplayer vermarktet werden, weshalb die Walkman-Division in Tokio ihr Logo und den berühmten Namen herausgerückt hat. Und auf der Bühne tobt Jamiroquai, der bei Sony Music unter Vertrag ist. Er hat einerseits Gelegenheit, auf sein neues Album nebst Tour hinzuweisen, andererseits weiß er nur Gutes über das Walkman-Handy zu berichten: Es habe, schwört er, "alles was ein Gadget braucht".

Ist dies nun wieder das gute alte "It's-a-Sony-Gefühl", das einst nichts anderes als "Muss ich sofort haben" bedeutete? Aber wer kennt das überhaupt noch? Und wer kennt, wenn wir schon dabei sind, überhaupt noch den Walkman? Das Ding ist 25 Jahre alt, es stammt aus den Teenagerträumen der frühen achtziger Jahre.

Damals war die Marke mit den vier silbernen Buchstaben, genial aus dem amerikanischen "Sonnyboy" und dem lateinischen "Sonus" geformt, ein Signet für Unfehlbarkeit und Coolness. Wenn man zum ersten Mal mit seinem Walkman durch die Fußgängerzone der Stadt ging, war der Gang plötzlich von federnder, nie gekannter Leichtigkeit, dazu ein Gefühl, beinah unangreifbar zu sein.

Man war noch Teil der rasenden Masse und doch zugleich auf einem ganz eigenen Planeten. Selbst der Gemeinschaftskundelehrer kam nicht umhin, persönlich den Walkman-Test zu machen -- und warnte anschließend eine Stunde lang vor arroganter Abkapselung und neuer sozialer Kälte. Danach war das Gerät erst richtig unverzichtbar.

So wurde Sony schnell eine dominierende jugendkulturelle Kraft, was sich bis in Studententage fortsetzte. Beim Kauf des ersten Fernsehers standen wir ratlos vor den gleichgeschalteten TV-Batterien eines Mediamarkts, Bildröhren in Käfighaltung, dröhnende Kakophonie.

Dann fiel das Auge auf das vertraute Logo, ein Anhaltspunkt war gewonnen -- und als wir näher traten, sprach der Verkäufer ein Zauberwort namens "Triniton". Plötzlich sahen wir es auch: Die Sony-Farben waren satter, die Schwärzen tiefer, die Kanten schärfer -- und obwohl das Gerät nicht das billigste war, blätterten wir ohne zu zögern den zusätzlichen Hundertmarkschein auf den Tisch.

Damit war eigentlich ein Bund fürs Leben besiegelt, eine scheinbar unzerstörbare Marken-Kunden-Beziehung. Bei den Notebooks musste es dann ein Sony Vaio sein, bei den Digitalkameras ein ultraflaches, silbern glänzendes Schmuckstück namens DSC-T1. Schon da fiel aber auf, dass unter dem noch immer makellosen Design nicht mehr automatisch die beste Technik wohnte: Die Sony-Software auf dem Notebook war Schrott, die Kamera machte oft unscharfe Bilder.

Seither ist es mit Sony noch mal dramatisch bergab gegangen, und heutige Teenager lieben wahrscheinlich ihre Playstation, die Firma Sony aber ist für sie nur noch eine Möglichkeit von vielen. Wer wirklich nach Coolness strebt, nach dem federnden Gang mit dem Knopf im Ohr, der träumt in diesen Zeiten zum Beispiel vom iPod. Apple ist auf geradezu apokalyptische Weise in Sonys ureigenstes Terrain eingebrochen, hat das ganze Spiel neu definiert -- und kontrolliert inzwischen unglaubliche sechzig Prozent des mobilen Musikplayer-Marktes.

So gesehen ist das neue Walkman-Handy eine Verzweiflungstat: Hier soll ein berühmter Markenname noch einmal reaktiviert, der Glanz einer vergangenen Epoche beschworen werden -- aber die Wahrheit ist, dass keine technische Innovation mehr dahintersteckt. Wir bauen die Geräte, von denen andere Hersteller noch nicht mal träumen können -- das war immer das stolze und arrogante Credo der Sony-Ingenieurskunst aus Japan.

Handys, die auch Musik spielen, baut aber inzwischen jeder, selbst der neue Nokia-Standardknochen kann das bereits. Sony­Ericsson bietet lediglich etwas mehr Speicherplatz für bis zu 125 Songs. So kann auch das Konzert in London nicht darüber hinwegtäuschen: Der Weg zurück zum alten Glanz wird für Sony noch lang und entbehrungsreich werden.

Der oberste Sony-Chef Howard Stringer, ein amerikanischer Waliser und der erste Nichtjapaner an der Spitze des Unternehmens, würde auch nichts anderes behaupten. Ende März trat der bisherige Konzernlenker Nobuyuki Idei nach einem schlechten Geschäftsjahr zurück: Der geplante Milliardengewinn musste dramatisch nach unten korrigiert werden, die Umsatzrendite betrug nur noch 1,5 Prozent, und der Börsenwert war in den vergangenen vier Jahren um sechzig Prozent gefallen.

Idei schlug Stringer, den Sanierer der amerikanischen Entertainment-Operationen, als seinen Nachfolger vor, und der vergaß sogleich die traditionelle japanische Höflichkeit. "Sony beschäftigt sich mit sich selbst, anstatt Produkte zu entwickeln", warf er den Managern in Tokio vor. "Wir müssen handeln, um den Tod des Unternehmens zu verhindern." Seit 22. Juni ist er offiziell im Amt, und als Erstes musste er wieder negative Zahlen verkünden: Im zweiten Quartal war bereits ein Verlust von 65 Millionen Dollar angefallen.

Dass es so weit kommen konnte, hängt mit der speziellen Philosophie des Konzerns zusammen: Kein anderes Technikunternehmen stellt zugleich Geräte und Inhalte her, wie es Sony tut -- mit seiner Musiksparte Sony Music und seiner Kino-Gruppe Sony Pictures Entertainment, zu der seit letztem Jahr auch das Traditionsstudio MGM gehört. Was als Vorteil gedacht war, um neue Ideen und Formate auf dem Markt durchzusetzen, und was eine Produkteinführung mit Jamiroquai-Konzert zum Kinderspiel macht, erwies sich im Fall des Musikplayer-Markts als tödliches Hemmnis.

Sony Music warnte so lange vor illegalen Kopiermöglichkeiten, bis die Einführung eines iPod-artigen Players, den die Sony-Techniker in der Schublade hatten, um ein Jahr verschoben wurde. Danach hatte Apple den Markt im Griff, und beim Versuch, Boden wieder gutzumachen, brach der Irrsinn erst richtig los: Die Walkman-Division und die Computersparte warfen gleichzeitig konkurrierende Player auf den Markt. Einer davon ging sofort als Treppenwitz in die Geschichte ein: Das Gerät war nicht in der Lage, mp3-Dateien abzuspielen -- vergleichbar mit einem Fernseher, der 99 Prozent aller Kanäle nicht empfangen kann.

Ein echtes Sony-Herz schmerzen solche Nachrichten gewaltig, und sie zeigen ein grundsätzliches Problem: Gerätehersteller und Inhaltslieferanten, also vor allem Film- und Musikproduzenten, sind derzeit grundsätzlich verfeindet. Je mehr ein Gerät zulässt, je mehr damit auch illegale Aktivitäten möglich sind, desto erfolgreicher wird es auf seinem Markt sein -- und umso stärker wird es dem Markt der Inhaltsanbieter schaden. Es ist kein Geheimnis, dass Apple-Computer fast jeden Kopierschutz ignorieren -- das ist ein wesentliches Element des iTunes-Erfolgs, und es kann Apple egal sein, weil der Konzern keine Film- oder Musikrechte besitzt. Sony dagegen steckt in diesem Fall in der Zwickmühle.

Als einzige Hoffnung bleibt den Japanern im Moment, dass das Spiel in Zukunft vielleicht auch andersherum funktioniert: In den Technikschmieden der Welt tobt schon der nächste Krieg, um das Nachfolgeformat der DVD: Doppelt so scharf soll alles werden, fünfmal soviel Speicherplatz pro Silberscheibe, alles garantiert nicht mehr kopierbar -- aber noch ist es nicht gelungen, sich auf ein Format zu einigen. Sony und seine Verbündeten pushen eine Erfindung namens Blu-ray, ein Konsortium um Toshiba promotet die HD-DVD.

Der Sieg in diesem Kampf könnte von den 7000 Filmtiteln entschieden werden, die Sony Pictures Entertainment in seiner Rechtebibliothek gesammelt hat. Besser gesagt: Er muss von diesem Faktor entschieden werden -- denn geht das Konzept nicht auf, wird der Konzern in seiner jetzigen Form nicht fortbestehen. Und niemand weiß, ob die vier silbernen Buchstaben je wieder die Magie haben werden, die sie auf dem Gehäuse unseres ersten Walkmans noch besaßen.

© SZ vom 17.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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