Kommentar:Sie haben nicht begriffen

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Wer Daten sammelt, der hat Macht. Und die lässt sich auch missbrauchen. Doch die Politiker umarmen neue Technologien meist bedingungslos. Und blenden dabei aus, dass noch jede neue Technik auch Nachteile mit sich brachte.

Von Helmut Martin-Jung

Sie beschwören es ja so gerne in ihren Sonntagsreden, Politiker von der Kanzlerin bis hin zur Opposition: Das 21. Jahrhundert sei das Jahrhundert der Daten. Auf Messen wie der Ifa oder Cebit lassen sie sich regelmäßig mit den neuesten Hightech-Gerätschaften fotografieren. Doch geht es darum, das Land konkret auf die Herausforderungen vorzubereiten, die dadurch entstehen, bleibt von diesem Glanz wenig übrig. Das Thema Digitalisierung ist zerrissen zwischen drei Ministerien, verantwortlich ist so richtig keiner, das Ergebnis entsprechend.

Es geht auch nicht darum, die neue Technik, die natürlich voller Chancen steckt, bedingungslos zu umarmen. Noch jede Technik, die der Mensch erfunden hat, brachte auch Nachteile mit sich. Als die ersten Motorkutschen qualmend über Feldwege hoppelten, dachte keiner an die Metropolen von heute, die am Autoverkehr zu ersticken drohen. Das wird bei der Digitalisierung nicht anders sein. Eines lässt sich aber jetzt schon absehen: Daten sind Macht. Die Frage ist, wie diese Macht genutzt wird. Und wer, falls diese Macht missbraucht wird, als Kontrollinstanz fungiert.

Spätestens hier wird klar, dass die Sache schwierig ist. Denn zum Wesen der Digitalisierung gehört es, dass sie grenzenlos funktioniert. Konzerne etwa aus den USA sammeln, verarbeiten und verdienen an den Daten, die sie zum Beispiel von deutschen Staatsangehörigen erhalten. Wer Dienste nutzt von Facebook, Google und wie sie alle noch heißen, muss zwar kein Geld bezahlen, aber er muss dafür seine Daten hergeben. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht, nur die, sich komplett zu verweigern - eine Art Einsiedlertum im Digitalzeitalter.

Wer also kontrolliert die Datenkonzerne? In ihrem Heimatland herrscht ein anderes Bewusstsein, was den Schutz persönlicher Daten angeht. Wenn sie in Europa Geschäfte machen, suchen sie sich als Hauptsitz oft Irland aus, das EU-Land mit den laschesten Regeln. Höchste Zeit also, dass die EU sich einigt auf Grundsätze des Datenschutzes. Doch selbst, wenn die Datenschutz-Grundverordnung wirklich bald kommt, wer wacht eigentlich in Deutschland über ihre Einhaltung? Die Datenschützer der Länder und des Bundes sind, betrachtet man die Herausforderungen, vor denen sie stehen, in geradezu grotesker Weise unterfinanziert.

Die Hamburger Behörde etwa, in deren Zuständigkeitsbereich zum Beispiel der Internetkonzern Google fällt, hat gerade einmal 16 Mitarbeiter - inklusive Chef und den Hilfskräften. Ein Konzern, der so viel Geld hat, dass er jederzeit eine Firma wie BMW oder Audi kaufen könnte, ist für eine solche Mini-Behörde ein ungleicher Gegner.

Und dabei steht die ganze Entwicklung erst am Anfang. Doch sieht man sich an, wie eine Erfindung wie das Smartphone binnen weniger Jahre das Leben der Menschen verändert hat, lässt sich erahnen, was geschehen könnte, wenn es mehr und mehr Sensoren in unserer Umwelt gibt, wenn wir Sensoren an und wohl bald auch in unserem Körper tragen. Sie alle produzieren Unmengen an Daten, und das Paradoxe ist: Je mehr es davon gibt, umso wertvollere Aussagen lassen sich daraus gewinnen. Es ist wie beim Goldschürfen: Je mehr Gestein man mahlt, umso mehr Wertvolles findet man.

Das hat, man darf das nicht vergessen, auch gute Seiten. Daten helfen zum Beispiel schon jetzt dabei, die Verbreitung von Krankheiten zu erfassen. Man muss aber - bevor die Entwicklung unumkehrbar wird - darauf achten, wohin es führt, wenn dem Datenschürfen gar keine oder zumindest unzureichende Grenzen gesetzt werden. Es geht letztlich, auch wenn das pathetisch klingt, darum, wie Freiheit und Selbstbestimmung künftig definiert werden.

In Steven Spielbergs Film "Minority Report" waren es noch seherische Wesen, die die Polizei benutzte, um Menschen festzunehmen, bevor sie ein Verbrechen begehen konnten. Sollen künftig Big-Data-Analysen dazu verwendet werden, potenzielle Täter zu identifizieren? Sollen potenzielle Raser mehr für ihre Auto-Police zahlen? Und werden bestimmte Risikogruppen keine Lebensversicherung mehr abschließen können?

Schwierige Fragen sind das, jenseits des Horizonts, den eine Datenschutzbehörde zu bearbeiten hätte. Dass man aber diese Einrichtungen, die so wichtig sind für die von Daten geprägte Zukunft, dass man sie am ausgestreckten Arm hungern lässt, kann nur zweierlei bedeuten: Entweder die Politik hat noch nicht begriffen, was auf uns zukommt, oder aber sie nimmt es in Kauf. So mancher Innenminister und Geheimdienstler träumt sicher schon von Möglichkeiten, angesichts derer die Rasterfahndung aus RAF-Zeiten wie eine Spielerei aussieht.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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