IT-Arbeitsmarkt:Nerd: Verzweifelt gesucht

Lesezeit: 2 min

Vor wenigen Jahren noch belächelt und in ihrer Existenz von indischen Billigakademikern bedroht, fehlen in Deutschland Tausende IT-Fachkräfte. Doch welche Strategien beseitigen den Mangel?

Mirjam Hauck

Was ist los mit der Technik interessierten Jugend von heute? Mit den Pizza essenden Computerfreaks, den genialen Tüftlern und den Programmierern mit ihrem seltsamen Humor? Vor wenigen Jahren noch belächelt und in ihrer Existenz von indischen Billigakademikern bedroht, fehlen die IT-Tüftler jetzt im Aufschwung-Deutschland zu Tausenden.

Der junge Bill Gates? Computer-Freaks sind derzeit Mangelware auf dem deutschen Arbeitsmarkt. (Foto: Foto: Istockphoto)

Im Überfluss dagegen werden Rezepte gehandelt, wie Wirtschaft und Hochschulen dem Fachkräftemangel begegnen sollten. Dass sie in absehbarer Zeit wirken, gilt als unwahrscheinlich. Denn ingenieurwissenschaftliche Studiengänge und Informatik gelten als schwer, Absolventen können trotz vieler offener Stellen nicht mit Traumgehältern rechnen und aus Erfahrung wissen alle: Die nächste Krise kommt bestimmt.

Da hilft es wahrscheinlich wenig, wenn die Industrie- und Handelskammer als Ergebnis einer neuen Umfrage unter ihren Mitgliedern mitteilt, dass die Berufsperspektiven in der ITK-Branche erheblich gestiegen seien. Auf der am Freitag zu Ende gegangenen Branchenmesse Systems lotete gar ein eigener Thementag die Chancen des Wachstumsmarkts IT aus.

20.000 Stellen unbesetzt

Laut einer Studie des Branchenverbandes Bitkom sagen 59 Prozent der Unternehmen, dass der Mangel an geeigneten Fachkräften die Produktivität behindere. Derzeit sind rund 20.000 Stellen in der Informationstechnologie nicht besetzt. Händeringend suchen Unternehmen Mitarbeiter in der Softwareentwicklung, wie beispielsweise Anwendungsprogrammierer für Web-2.0-Anwendungen. Gefragt sind Hochschulabsolventen und hochqualifizierte Berufserfahrene sowie Vertriebsfachkräfte mit IT-Hintergrund.

Der derzeitige Fachkräftemangel tritt für Hans-Werner Walzel von der Agentur für Arbeit München nicht plötzlich auf. "Zum einen ist das eine Folge der guten konjunkturellen Entwicklung, und zum anderen findet in vielen Betrieben keine vorrausschauende Personalpolitik statt."

Für 2011 erwartet Walzel eine weitere, extreme Arbeitskräfteverknappung. Bereits seit 2004 - als Folge der ersten Internetblase - gehe die Zahl der IT-Absolventen zurück. Waren es damals noch 18.500 IT-Azubis, sind es 2006 gerade mal noch 14.700. Für den Arbeitsmarktexperten ein viel zu geringes Angebot, da die jungen Leute meist in ihren Ausbildungsbetrieben verbleiben.

Auch bei den Studenten sehen die Zahl nicht viel besser aus. Schrieben sich im Jahr 2000 noch 38.000 Abiturienten für einen Informatikstudiengang ein, waren es im Wintersemester 2006/2007 gerade noch 28.500. Und nicht alle bleiben bis zum Studienabschluss an der Uni: Die Abbrecherquote liegt bei 40 Prozent und bereitet der Branche große Kopfschmerzen.

Nach Ansicht von Peter Driessen von der IHK München und Oberbayern entsteht in den nächsten Jahren ein ungeheuerer Bedarf an IT-Fachkräften. "IT ist die Basistechnolgie der Zukunft," sagt er. "In der Automobilindustrie, die Einführung der Gesundheitskarte und die Verwaltung mit neuen E-Government-Anwendungen eröffnen zahlreiche Aufgabenfelder für Informatiker.

Hans-Werner Walzel sieht vor allem die Unternehmen in der Pflicht: Beliebte Szenarien wie Off-Shoring und Outsourcing sind zwar in vollem Gange. Aber die Auslagerung von Callcentern und Datenverarbeitzentren nach Indien werden sich auf Dauer nicht lohnen, da in Asien das Gehaltsniveau steigen wird, prognostiziert er. Auch Maßnahmen wie die geplante Bluecard der EU, die ausländische Fachkräfte anlocken soll, wird den Bedarf der heimischen Wirtschaft nicht decken können.

Betriebe müssen, so Walzel, systematische Personalentwicklung betreiben und in die Weiterbildung investieren. Ob bei der Gelegenheit der nette, unauffällige Herr Huber aus der Logistikabteilung plötzlich zum Jesuslatschen tragenden Pizza-Esser und Schräge-Witze-Erzähler in der IT-Abteilung mutiert, bleibt abzuwarten.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: