Handy-Trends:Eine Handvoll Zukunft

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Fernsehen, Musik hören, bezahlen, navigieren - geht es nach der Industrie wird das Mobiltelefon zur Schaltzentrale des Alltags. Die Frage ist nur: Wollen die Nutzer das auch?

Helmut Martin-Jung

Die PR-Frau am Messestand tastet sich erst einmal vorsichtig an die Sache heran. Dann hat sie den Dreh gefunden, klappt einen Teil des 10,7 Millimeter flachen Gerätes seitlich weg und bringt eine Antenne zum Vorschein - fertig ist der mobile Mini-Fernseher mit digitalem Empfang und Sechs-Zentimeter-Bildschirm. Was daran bemerkenswert ist? Das erschließt sich, wenn man das Gerät umdreht und einen weiteren, kleineren Flüssigkristall-Monitor sowie eine Tastatur entdeckt: Es ist ein Handy.

Das brandneue SGH-F510 des koreanischen Herstellers Samsung bietet darüber hinaus Platz für mehr als 1000 Lieder oder vier Stunden Video in guter Qualität. Es besitzt eine Schnappschuss-Kamera und hat eine Übertragungskapazität fürs Internet, die manchem stationären DSL-Anschluss zur Ehre gereichen würde.

Kann man das noch Mobiltelefon nennen? Den meisten Ausstellern auf der 3GSM, der weltgrößten Messe für den Mobilfunk, die heute in Barcelona zu Ende geht, wäre die Antwort wohl herzlich egal, würde denn das Massenpublikum in westlichen Industrieländern ihre Erzeugnisse endlich als das benutzen, was sie sind: Multimedia-Computer mit Telefoniermöglichkeit.

Das Handy als zentrales Gerät für Arbeit und Freizeit

"Weltweit wurde eine Billion Dollar investiert, um die Netze auszubauen und die Geräte zu entwickeln", stellte etwa Yahoo-Manager Marco Börries in der katalanischen Metropole fest, "aber wie bringt man die Leute dazu, mehr zu tun als SMS zu versenden und zu telefonieren?" Seine Antwort: Es gehe nicht darum, auf eine Suchanfrage 22 Millionen Ergebnisse anbieten, sondern vor allem solche, die den Nutzer interessieren - wenn er auf der Straße steht und sich fragt, wo denn jetzt der Laden ist, den er sucht.

Navigation per Handy; die Möglichkeit, Bilder zu schießen und sie sofort - "guck mal, wo ich gerade bin!" - in ein Blog oder eine Bildersammelseite wie Flickr hochzuladen; das Handy als Geldbörse, mit dem quasi im Vorbeigehen das U-Bahnticket gelöst wird: Die Anwendungsbeispiele lassen sich beliebig fortführen. Aber alle Bemühungen von Geräteherstellern, Netzbetreibern und Diensteanbietern laufen auf eines hinaus: Das Mobiltelefon soll zu dem zentralen Gerät für Arbeit und Freizeit werden.

Was das nun wirklich konkret bedeutet, darüber gehen die Meinung im Detail auseinander. "Noch ist nicht klar, welcher Standard sich beim Handy-Fernsehen durchsetzen wird", sagt etwa José-Maria Bescos-Caceres, beim Handyhersteller Sony-Ericsson zuständig für Marketing; hier werde man erst einmal abwarten.

Zum einen könne man ganz ohne Standard ohnehin bereits Bewegtbilder über das UMTS-Netz empfangen. Zum anderen habe die firmeneigene Marktforschung ergeben: "Die Leute wollen mit ihrem Handy hauptsächlich Musik hören und Bilder machen", sagt Bescos-Caceres. Auf diese Kernbedürfnisse hin habe man die neuen Geräte des japanisch-schwedischen Unternehmens hin optimiert.

Setzt sich das mobile Breitbandnetz durch?

Zu ähnlichen Ergebnissen ist auch der Marktführer Nokia gekommen. Etwa die Hälfte der Handy-Besitzer nutze die erweiterten Fähigkeiten der Geräte wenigstens einmal pro Woche zum Musikhören, zum Fotografieren oder zum Surfen im Internet, sagt Nokia-Topmanager Jonas Geust, der bei dem finnischen Konzern den Bereich Multimedia-Geräte verantwortet.

Er ist wie Alexander Avramidis vom Konkurrenten Samsung davon überzeugt, dass sich mobile Breitbandnetze flächendeckend durchsetzen werden. "In zehn Jahren", prophezeit Produktmanager Avramidis, "wird keiner mehr Festnetz haben."

Wer durchaus will, kann das auch heute schon einmal probieren und mit der dänischen Firma Speakanet die Festnetz-Anlagen seiner Firma durch ein System ersetzen, bei dem gesteuert durch ein Computerprogramm Mobiltelefone zu einem firmenweiten Netz verbunden werden. Wo der Mitarbeiter, den man über die normale Büronummer der Firma erreicht, gerade wirklich ist, spielt dabei keine Rolle mehr.

Doch damit sich all die vielversprechenden neuen Dienste durchsetzen können, müssen die Netze erst einmal in die Lage versetzt werden, die Daten auch zu transportieren. Während die Fachwelt bereits über die nächsten Generationen des Mobilfunks schwadroniere, fehle es vielerorten noch an der Umsetzung der dritten - UMTS und die diversen Erweiterungen dieses Standards -, mahnt Alex Sinclair, Technikchef der GSM-Association, des Branchenverbandes, in dem alle maßgeblichen Mobilfunkfirmen zusammengeschlossen sind. Die UMTS-Erweiterung HSDPA (Highspeed download packet access) biete zum Beispiel genau die Leistung, die mobile Nutzer erwarteten.

Mehr Handys als Einwohner

Ein wenig schwingt bei vielen Äußerungen der Branchenriesen freilich auch die Sorge mit, wie in gesättigten Märkten weiter Geld zu verdienen ist. In Deutschland etwa gibt es bereits mehr Handys als Einwohner. Einige Firmen versuchen daher, neben dem Trend zur Vereinigung möglichst vieler Fähigkeiten in einem Gerät Nischen zu finden.

Das zeigt sich etwa beim Wettlauf um Luxus-Geräte, wo der koreanische Hersteller LG dem US-Konzern Apple zuvorgekommen ist und in seinem mit der Modefirma Prada entwickelten Gerät sehr ähnliches Design, ähnliche Leistungsdaten bietet. Und wie aus dem Nichts taucht auch noch eine schwedische Firma namens Neonode mit einem Gerät auf, das auch viele der Fähigkeiten zeigt, die bei Apples iPhone so bewundert wurden.

Solche Sorgen hat man in jenen Märkten nicht, in denen die meisten Menschen überhaupt kein Telefon haben. Sie werden aller Voraussicht nach das Festnetz-Zeitalter überspringen und gleich mobil kommunizieren, und nicht nur das. Gerade in Entwicklungs- oder Schwellenländern bietet es sich an, die Infrastruktur eines Funknetzes auch für andere Zwecke zu benutzen, etwa für den Zahlungsverkehr.

Davon könnten dann auch wieder die Industrienationen lernen. Zwar gibt es einzelne Pilotprojekte, via Handy die Parkuhr aufzuladen oder Nahverkehrstickets zu bezahlen, vom flächendeckendem Einsatz aber kann nicht die Rede sein. Und auch ob Handy-TV wirklich das ist, worauf Millionen warten, muss sich zeigen.

© SZ vom 15.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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