Gewalt:"Die Hemmschwelle wird massiv herabgesetzt"

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Bayern kritisiert den ungehinderten Verkauf Gewalt verherrlichender Videos an Jugendliche.

Annette Ramelsberger

(SZ vom 29.04.2002) - Mit einem heftigen Angriff auf die zögerliche Haltung der Bundesregierung beim Verbot von Gewalt verherrlichenden Video- und Computerprogrammen hat Bayerns Innenminister Günther Beckstein nach dem Gewaltexzess von Erfurt reagiert. Beckstein, der im Falle eines Wahlsiegs der Union vermutlich Bundesinnenminister werden wird, sagte, die rot-grüne Bundesregierung sei zwei Jahre lang "in skandalöser Weise untätig geblieben". Der Bundesrat habe bereits im Februar 2000 auf ein Verbot gewaltverherrlichender Video- und Computerprogramme gedrängt. Das dafür zuständige Familienministerium unter Christine Bergmann (SPD) habe aber nichts getan. "Es gibt nicht einmal einen Referentenentwurf für ein Verbot solcher Programme", sagte Beckstein am Sonntag in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. "Lieber will Bergmann die Jugendlichen schon ab 14 in die Disco lassen - wenn das nicht Kanzler Schröder kassiert hätte." Beckstein nannte die Untätigkeit der Regierung einen "ernsthaften Skandal".

Bayerns Innenminister Günther Beckstein. (Foto: Foto: dpa)

Mittlerweile wurde bekannt, dass der Todesschütze von Erfurt mit einem Computer-Trainingsprogamm das Töten per Kopfschuss geübt hatte. Das erklärt nach Ansicht der Polizei auch, warum es kaum Verletzte unter den Opfern des Schülers gegeben hat, sondern sofort Tote. Bayern hat bereits 1992 einen ersten Versuch gemacht, gewaltverherrlichende Videospiele zu verbieten und aus dem Verkehr zu ziehen. Damals und auch bei einem weiteren Versuch war der Freistaat im Bundesrat gescheitert. Erst nach dem Amoklauf eines Jugendlichen in Bad Reichenhall im Jahr 1999 war der Bundesrat soweit, sich für ein Verbot Gewalt verherrlichender Video- und Computerspiele einzusetzen. "Es herrscht jetzt die breite Überzeugung, dass solche Videos mit-ursächlich sind für die Explosion von Gewalt bei Jugendlichen", sagte Beckstein. "Dadurch wird ihre Hemmschwelle massiv herabgesetzt."

Gleichzeitig setzte sich Beckstein aber dafür ein, Sport- und Gebirgsschützen den Umgang mit ihren Waffen nicht zu erschweren. Der Täter von Erfurt war Mitglied in zwei Schützenvereinen und hatte seine Pistole und die Pumpgun, mit der er in der Schule erschien, ordnungsgemäß angemeldet. "Ich halte es für falsch, nun solche Schützenvereine zu verbieten. Seriöse Vereine kanalisieren das Bedürfnis Jugendlicher nach dem Umgang mit einer Waffe und filtern Ungeeignete eher heraus." Der Schütze von Erfurt galt als unauffällig und eher ruhig.

Beckstein verteidigte auch die Senkung der Altersgrenze für den Beginn des Sportschießens. Das am Freitag vom Bundestag verabschiedete neue Waffenrecht erlaubt schon zehnjährigen Kindern den Umgang mit dem Luftgewehr - ein Passus, der von vielen als Kniefall vor der Waffenlobby kritisiert wird. "Wenn 10-Jährige nur im Verein unter enger pädagogischer und psychologischer Betreuung mit einer Luftpistole trainieren, dann halte ich das für vertretbar. Die lernen in den Vereinen von klein auf, dass nie auf Menschen gezielt werden darf und sind der Vereinsdisziplin unterworfen", sagte Beckstein. Er setzt sich jedoch dafür ein, die Altersgrenze zu erhöhen, wenn es um den Erwerb einer eigenen, großkalibrigen Waffe geht. Derzeit dürfen schon 16-jährige Sportschützen eine eigene automatische Waffe besitzen. "Wir müssen überlegen, ob die Altersgrenze für bestimmte Waffen auf 21 oder sogar 25 Jahre hochgesetzt werden muss", gab Beckstein zu bedenken.

Unklar ist noch, wie der Täter von Erfurt einen Waffenschein für eine Pumpgun bekommen konnte. "Das ist eine berechtigte Frage", sagte Beckstein. "Im Sportverein wird mit solchen Waffen nicht geschossen. Also gibt es kein Bedürfnis für eine solche Waffe." Der Täter hatte allerdings nicht mit der Pumpgun geschossen, sondern alle 40 Schüsse aus seiner Pistole abgegeben. Ein grundsätzliches Problem ist, dass Sportschützen ihre Waffen jederzeit mit nach Hause nehmen dürfen und nicht im Verein lassen müssen. Das wurde während der Diskussion über das neue Waffenrecht zwar überlegt, doch überwog die Angst, dass die Schützenvereine dann Einbrecher anziehen könnten. Hier könnte eine Änderung des Gesetzes ansetzen.

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