"Gelesen"-Funktion bei Whatsapp:Schuldgefühle - verschickt per Kurznachricht

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Für mehr als eine Kurznachricht war es wohl nicht wichtig genug... (Foto: Screenshot: Whatsapp)

Hat der Empfänger meine Nachricht gelesen? Das verrät der Kurznachrichtendienst Whatsapp ab sofort mit blauen Häkchen. Nutzer fürchten nun um ihr Liebesleben. Doch gegen schlechtes Gewissen hilft auch kein Software-Update.

Von Matthias Huber

Anrufbeantworter braucht kein Mensch mehr. Sie stehen höchstens noch in wenigen Arztpraxen und Geschäften, die sich nicht darauf verlassen wollen, dass ihre Kunden auch eine E-Mail schreiben würden. Privatleute brauchen so etwas nicht. Man kann sie auf ihrem Handy anrufen, wenn es dringend ist. Oder eine Kurznachricht schreiben, wenn es eben nicht ganz so dringend ist.

Warum aber lassen sich die Empfänger von einer Kurznachricht trotzdem unter Zeit- und Reaktionsdruck versetzen? Jetzt zeigt der Kurznachrichtendienst Whatsapp auch noch zwei blaue Häkchen an, wenn der Empfänger die Nachricht gelesen hat. Wird der Druck des schlechten Gewissens sogar noch schlimmer?

Auf Twitter und in anderen sozialen Netzwerken ist die Aufregung über die neue Funktion jedenfalls groß. Einige glauben, jetzt keine Ausrede ("Hab' ich nicht gesehen") mehr zu haben, wenn sie im Supermarkt trotz Erinnerung per Whatsapp eben doch das Klopapier vergessen. Und andere, offenbar nicht ausreichend fleißige Kurznachrichten-Beantworter, fürchten gar um ihr Liebesleben. Bei wem das aber wegen solcher Lappalien auf der Kippe steht, der hat wahrscheinlich ganz andere Probleme, die sich nicht per Software-Update beheben lassen.

Impfung gegen schlechtes Gewissen

Dabei sind Whatsapp und all die anderen Messaging-Dienste doch kaum etwas anderes als die Anrufbeantworter für das Publikum der Digital Natives. Neben Online-Chats wie Skype sind sie so ziemlich die unverbindlichste Kommunikationsform, die man sich vorstellen kann. Sie sind höchstens Gesprächsangebot, auf keinen Fall aber Gesprächsverpflichtung.

Sehen wir es einmal aus der anderen Richtung: Für den Absender ist so eine Kurznachricht schließlich die perfekte Impfung gegen schlechtes Gewissen. Im Gegensatz zu einem Anruf muss er sich keine Gedanken machen, ob er den Empfänger vielleicht gerade in einem wichtigen Meeting stört oder beim Autofahren. Er kann die Nachricht sogar mitten in der Nacht schicken, ohne sich darum zu scheren, dass sein Gegenüber vielleicht schon schläft. Denn - das scheint ja einigermaßen Konsens zu sein - wer sich von Whatsapp wecken lässt, ist nun wirklich selbst schuld.

Aber diese Gewissensberuhigung hat ihren Preis. Denn wenn es schon nicht wichtig genug ist, um zu riskieren, irgendwo unangenehm dazwischen zu platzen, dann kann man wohl kaum von seinem Gesprächspartner erwarten, sich dieser Konversation allzu verpflichtet zu fühlen. Man muss es schon ihm oder ihr zugestehen, selbst zu wissen, wann der richtige Zeitpunkt für eine Antwort gekommen ist. Oder vielleicht gerade einfach keine Lust auf das Gespräch zu haben. Oder das Antworten - noch menschlicher - schlicht zu vergessen.

Problem nur im Kopf des Empfängers

Ja, es wäre wünschenswert, wenn Whatsapp - wie beispielsweise der verschlüsselte Konkurrent Threema - eine Option anbietet, um die blauen Häkchen zu deaktivieren. Schließlich sollte es jedem Nutzer selbst überlassen sein, ob er preisgeben will, wann er die Nachricht liest.

Das Problem existiert aber nur im Kopf des Empfängers, der sich von den blauen Häkchen Schuldgefühle einreden lässt. Zumal der Absender ohnehin keine Rückmeldung bekommt, wenn man die Nachricht nur auf der Übersichtsseite, auf dem Benachrichtigungsbildschirm oder auf der Smartwatch liest.

Bleiben also nur noch besonders dreiste Nachrichtenschreiber, die tatsächlich glauben, per Whatsapp auch schlechtes Gewissen verschicken zu können. Wenn sie wirklich eine dringende Rückmeldung brauchen, dann sollen sie gefälligst anrufen.

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