Gefährliche Strahlen:Placebo digitalis

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Sie sind überall: geschmack- und geruchlose Gefahrenherde. Doch kleine engagierte Industrien stehen dem Ängstlichen zur Seite - mit der passenden Hard- und Software.

Mirjam Hauck

Seit der Steinzeit oder viel früher steckt er in jedem von uns: der alte Affe Angst. In des Menschen Genen vergraben wartet die Haar aufstellende Primär-Emotion nur auf den richtigen Augenblick. Da aber der Alltag des modernen Büromenschen kaum Säbelzahntiger und Killerbienen zu bieten hat, muss sich unsere Urangst anders Auslauf verschaffen.

Unsichtbar aber Angst einflößend: Gefährliche Strahlen (Foto: Foto: iStockPhoto)

Neben einem nächtlichen Waldspaziergang im knackenden Unterholz bieten sich dafür alle Effekte an, die unsere Sinne nicht erfassen können: Strahlung und Felder, Feinstäube, Vogelgrippe-Viren, Umweltgifte, feinstoffliche Verwirbelungen, gestörte Körper-, Geist- und Seele-Verbindungen, ...

Einige dieser geschmack- und geruchlosen Gefahrenherde können Spezialisten mit schwer verständlichen Apparaten messen und Grenzwerte definieren. Andere entziehen sich geschickt der traditionellen Wissenschaft.

Produkte gegen die Angst

Zum Glück steht der Bürger mit Haushaltseinkommen dem Problem nicht völlig schutzlos gegenüber, denn kleine, aber engagierte Industrien und Händler stehen mit ihren Produkten und Dienstleistungen dem Ängstlichen zur Seite: Neben Erdstrahlungsspezialisten, die beim Umgestalten des Schlafzimmers beraten, schützen Zaubersteine und bei Mondschein geschöpfte Wässer gegen das, was ängstigt.

Moderne Kommunikationsmittel machen keine Ausnahme bei den unsichtbaren Gefahren für die Gesundheit. Zum Glück ist nun ein Kraut dagegen gewachsen. Sein Name: Energieordner Telefon, Fax und Internet.

Die Vertreiberfirma Biologisch Positive Energiesysteme erklärt auf ihrer Homepage, dass "das Telefonieren eine große Belastung ist und großer Anstrengung bedarf". Bei jedem Telefongespräch sei man ja direkt mit diesen Informationen und dem Ort des Gesprächspartners verbunden.

Ähnliches gelte für das Surfen im Internet, wo die Informationsflut schon nach kurzer Zeit zur extremen Belastung werde. Und: "Unzählige materielle und auch immaterielle Daten haben sich in kurzer Zeit in diesem Netz angesammelt und jeder, der sich in das Netz einklinkt, ist mit den Daten und Personen, die es ebenfalls benutzen, verbunden."

Hier helfe der Energieordner, der eine Barriere gegen diese Energien aufbaut. "Schon kurz nach der Anbringung des Energieordners ist ein leichteres Telefonieren beziehungsweise Arbeiten am PC möglich. Besonders bei Menschen, die sich bemühen, in einem geordneteren Zustand auf einem hohen Energieniveau zu leben, lohnt sich diese Anschaffung." Momentan dürfen verängstigte Informationsflutopfer das Produkt nur leihen - für zwölf Euro pro Monat.

Neutraler Energieordner

Nicht nur in physiologischer wie der Energieordner, sondern sogar in finanzieller Hinsicht denkbar neutral erwies sich im Sueddeutsche.de-Test der "energetische Bildschirmreiniger", der von derselben Webseite auf einen Klick startet. Der Waschvorgang dauert drei Minuten, der Effekt soll laut Ankündigung acht bis zehn Tage vorhalten.

Wer in die zugehörige HTML-Datei schaut, bekommt zu lesen: "ACHTUNG an alle Quellcodegucker: Ja, hier findet Ihr nur einen Timer. Die Reinigerfunktion ist energetisch, also diese besteht im immateriellen Bereich. Für alle 'Kopf-Menschen' sicherlich schwer begreifbar ..." Sueddeutsche.de findet, das macht nichts. Denn seit der Steinzeit oder viel früher steckt in vielen von uns auch ein anderes Tier: der Schalk.

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