Film aus Überwachungsvideos:"Schockierende Ignoranz"

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Für ihren Film "Faceless" hat die Filmemacherin Manu Luksch nur Aufnahmen von Überwachungskameras verwendet. Ein Gespräch über totale Kontrolle, Datenschutz und Panikmache.

Mirjam Hauck

Für ihren Film " Faceless" hat die in London lebende österreichische Filmemacherin Manu Luksch nur Aufnahmen britischer Überwachungskameras verwendet. Die Menschen, die zum Schutz der Identität mit schwarzen Ovalen unkenntlich gemacht wurden, sind in ihrem Film die ahnungslosen Opfer eines totalitären Staates, der seine Bürger permanent kontrolliert.

sueddeutsche.de: Rund 20 Prozent der Überwachungskameras dieser Welt hängen in Ihrer Wahlheimat Großbritannien. Sie filmen Straßen, Bahnhöfe und Einkaufszentren. Wie empfinden Sie die omnipräsente Überwachung?

Manu Luksch: Zwei Tauchurlaube in Ägypten und ein Festivalbesuch in Israel führen dazu, dass ich am Flughafen immer besonders genau kontrolliert werde. Diese Reiseabfolge kennzeichnet mich als verdächtig und das ist in einer Datenbank gespeichert, wie mir ein Sicherheitsangesellter erklärt hat.

Die Videokameras, englisch CCTV oder Closed Circuit Television, sind nur die sichtbarste Form alltäglicher Überwachung. Nach dem 11. September 2001 hat sich der Begriff der Überwachung geändert. Es werden nicht mehr Menschen ausschließlich mit Kontrolltechnologien wie Abhörwanzen und Videoüberwachung verfolgt. Vielmehr können jetzt Staat und Wirtschaft auf digitale Spuren zurückgreifen, die durch Supermarkttreuekarten, Automaut oder Mobiltelefone entstehen.

Es besteht die Gefahr, dass der Zugang zu unseren Datenprofilen zur willkürlichen Einflussnahme auf unser Leben führt. Und diese Gefahr kann weder durch den "gesunden Menschenverstand" noch durch Gesetze gebändigt werden.

sueddeutsche.de: Jeder Brite wird durchschnittlich dreihundert Mal pro Tag gefilmt. Stören sich die Bürger daran?

Luksch: CCTV ist hier bereits seit Jahrzehnten großflächig im Einsatz, das Bewusstsein dafür ist abgestumpft. Ein einziges CCTV-Bild in den Medien, das einen Kindesentführer zeigt, zementiert in den Augen der Öffentlichkeit die Berechtigung der Kameras. Auch wenn eine aktuelle Studie des Innenministeriums besagt, dass nur drei Prozent aller kriminellen Delikte mit Hilfe der CCTV-Aufzeichnungen aufgeklärt werden und Betrieb und Wartung der Anlagen Unsummen verschlingen.

sueddeutsche.de: Was hat Sie auf die Idee gebracht, aus Überwachungsbildern einen Film zu machen?

Luksch: Als ich vor zwölf Jahren nach London gezogen bin, war ich schockiert über das Ausmaß der Videoüberwachung. Zudem wird es immer schwieriger mit der eigenen Kamera im öffentlichen Raum zu filmen. Tabu sind zum einen Stadtteile, die sich gänzlich im Besitz einer Immobilienfirma befinden wie die Docklands und auch Orte wie Spielplätze oder die Umgebung von Schulen, an denen die Angst vor Pädophilie groß ist.

Mit meinen Arbeiten will ich bewusst machen, dass wir ständig einen Kometenschweif an Daten produzieren. Ich will sie sichtbar, hörbar, einfach wahrnehmbar machen.

sueddeutsche.de: Um an die Bilder zu gelangen, haben Sie sich auf das britische Datenschutzgesetz berufen, das den Zugang zu allen Bildern erlaubt, auf denen man selbst zu sehen ist. War es schwierig, an das Material zu kommen?

Luksch: Unter jeder Kamera muss sich laut Gesetz ein Hinweis finden, wer die Kamera installiert hat. Das kann die Polizei, ein Geschäft oder eine Privatperson sein. Tatsächlich wird das aber kaum so gehandhabt. Aber bei einer Kamera über einem Geldautomaten konnte ich annehmen, dass sie zum jeweiligen Geldinstitut gehört.

sueddeutsche: Wie haben die Betreiber der Kameras auf Ihre Anfragen reagiert?

Luksch: Mit schockierender Ignoranz des Datenschutzgesetzes. Anfragen scheiterten, weil Bänder verlegt wurden oder Daten angeblich gelöscht wurden. Oder man hat einfach die Legitimität meiner Anträge in Frage gestellt. Die Betreiber der Videokameras sind verpflichtet sicherzustellen, dass beim Aushändigen der Bilder die Privatsphäre Dritter gewahrt bleibt. Das geschieht meist, indem ihre Gesichter durch dunkle Ovale abgedeckt werden.

Diese Nachbearbeitung ist kostspielig, darf aber an den Betroffenen nicht weiterverrechnet werden. Und das machte es für viele Betreiber zusätzlich unattraktiv, meine Anfragen korrekt zu beantworten.

sueddeutsche: In welchem Zustand waren die Filme, die sie erhalten haben?

Luksch: Die Palette der Datenträger reichte von VHS bis CDs mit Bilddatenbanken, die nur über eine zusätzliche Software abgespielt werden konnten. In einem Fall erhielt ich Ausdrucke aller Einzelbilder, die Köpfe der anderen Personen waren ausgeschnitten: Präzise, kleine Löcher auf Hunderten Seiten. Zwischen die Seiten war ein Kündigungsbrief einer Angestellten gerutscht. Vielleicht besteht ja ein Zusammenhang zwischen der Kündigung und dem Job die Köpfe auszuschneiden?

Auch der Zustand der CCTV-Anlagen sorgte für eine unterschiedliche Bildqualität. Manchmal war nur Vogelschmutz auf der Linse zu sehen.

sueddeutsche.de: Haben die schlechten Aufnahmen Ihre Arbeit beeinträchtigt?

Luksch: Nein. Das Konzept des Films ist es, dass das Verdeckte genauso wichtig ist, wie das kristallklar abgebildet. Außerdem helfen die zahlreichen schlechten Aufnahmen, den Mythos der effizienten CCTV-Technologie zu demontieren.

(sueddeutsche.de/bön)

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