Fernsehen in Second Life:Hauptsache teleportieren

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Auf der Suche nach jungen Zuschauern ist der WDR mit einer Comedy-Reportage in Second Life gelandet. Ob das das Publikum interessiert?

Hans Hoff

Noch ist das virtuelle Kino fast leer. Nur ein paar Gestalten hocken auf den Sitzen. Sie warten, dass etwas passiert. Es ist wie an so vielen Orten in der künstlichen Internet-Welt Second Life: Das einzige, was im Überfluss vorhanden ist, sind Erwartungen.

Erwartungen, dass man wen trifft, mit dem man was unternehmen kann. Wie aber soll man jemanden treffen, wenn von weltweit mehr als fünf Millionen registrierten Nutzern dieser künstlichen Parallelwelt an einem durchschnittlichen Montagmittag gerade mal 20.000 unterwegs sind und etliche als bezahlte Werbekräfte diverser Unternehmen, die glauben, ohne Reklame im Netzkosmos aus dem Rennen zu sein. Da grenzt es an ein Wunder, dass sich im Kinosaal von Second Life tatsächlich jemand aufhält.

Zurückzuführen ist das natürlich auf ein Vorhaben, mit dem sich der WDR gerade lauthals als Netzwelt-Pionier positioniert. Als erster deutscher Sender stellt er ein Produkt in Second Life vor.

"Wir wollen nicht, wir müssen"

So soll schon die zweite Folge der am vergangenen Freitag gestarteten Comedy-Reportage Echt Böhmermann vorab in Second Life zu bestaunen sein. "Wir müssen mit unserem Programm dahin, wo die Menschen sind", erklärt Sebastian Remmel.

Der Leiter der zuständigen Projektredaktion, die sich unter der Dachmarke "echt" der Jagd nach dem vergleichsweise jungen Publikum angenommen hat, sieht sich unter Druck. "Wir wollen nicht dabei sein, wir müssen dabei sein", sagt er.

Genau deshalb wird man die nächste Echt-Böhmermann-Folge, die erst an diesem Freitagabend fürs WDR Fernsehen programmiert ist, schon am Donnerstag in Second Life bewundern können. Eine Zusammenarbeit mit der Rheinischen Fachhochschule Köln macht es möglich.

Kostenlos und ohne Werbung

Nun gibt es aber durchaus Menschen, die der Meinung sind, dass Second Life nach wie vor ein kommerzielles Unternehmen ist. Betrieben wird es von der amerikanischen Firma Linden Lab, die es geschafft hat, sehr viele Menschen davon zu überzeugen, dass es ohne Second Life quasi kein erstes Leben mehr geben kann.

Ein bisschen ist es wie mit den Nordic-Walking-Stöcken, die niemand wirklich braucht, die aber von einem Stockhersteller so clever vermarktet wurden, dass sich viele kaum noch ohne Stäbchen aus dem Haus trauen. Auch einige Firmen sind den Second-Life-Promotern auf den Leim gegangen und zahlen gutes Geld für ihre zweitlebige Web-Präsenz.

Als rein kommerzielle Plattform, auf der ein öffentlich-rechtlicher Sender eigentlich nichts zu suchen hat, will man die Echt-Böhmermann-Vorabverwertung nicht begriffen wissen. Es gebe bei Second Life nun mal einen kommerziellen Bereich und einen anderen, einen öffentlichen, beteuert Remmel.

Außerdem könne man sich über eine Suchfunktion direkt ins Böhmermann-Kino teleportieren lassen, ohne dass man unzulässig mit Reklame in Kontakt komme. "Die Angebote, die wir da reinstellen, müssen kostenlos sein und dürfen keine Werbung enthalten", sagt er und betont, dass das selbstverständlich alles mit der Fernsehdirektion abgesprochen sei.

Dass man aber in Second Life mit ein paar Tastenberührungen auch schnell den geschützten Bereich verlassen hat und dann im Kreuzfeuer der Werbeangebote steht, mag Remmel nicht gelten lassen. Auf der Fernbedienung liege der WDR oft auch direkt neben RTL, und da habe sich noch niemand beschwert. Außerdem sei das nun erst einmal ein Experiment mit offenem Ausgang.

Von allem das Schlechteste

Ob Echt Böhmermann nun als Netzpionier WDR-Geschichte schreiben wird, bleibt abzuwarten. Die erste Folge nährte zu allererst einmal den Verdacht, dass die Geschichte rund um die Sendung spannender ist als die Show selbst. In der spielt Jan Böhmermann, der sonst die umstrittenen Lukas-Podolski-Parodien im Eins-Live-Radio fertigt, eine Art Überfallreporter, der zwischen Borat, Wigald Boning und Mr. Bean pendelt, von allen dreien aber nur das schlechteste bietet.

Höchst unoriginell wirkt es, wenn er einem Urologen aus Kamerun krude Fragen stellt. Abgelutscht klingt es, wenn er Sabine Christiansen im Micky-Maus-Sound neu synchronisiert und hinterher sagt, die Dame habe doch Talent, man solle ihr doch vielleicht eine Show in der ARD geben.

Völlig überflüssig und komplett witzfrei ist schließlich die ins Fernsehen transportierte Podolski-Satire. Das legt den Schluss nahe, dass Böhmermann sich mit diesem Start einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil in Second Life sichern wollte, denn für alles, was er dort vorstellt, gilt: Es kann nur besser werden.

© SZ vom 17.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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