Digitale Zukunftsvisionen:Wenn alle Elektronik in eine Armbanduhr passt

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Keine andere Technologie in der Geschichte der Menschheit hat es so schnell geschafft, sich unverzichtbar zu machen wie Computer, Internet und Mobilgeräte. Und das ist erst der Anfang. Bald schon könnte uns der technische Fortschritt in ungeheuerlichem Tempo erfassen.

Helmut Martin-Jung

Für Futuristen wie den Amerikaner Ray Kurzweil ist die Sache klar: Wir Menschen leben in einer exponentiellen Kurve. Bald schon, argumentiert er, werde uns die technische Entwicklung in ungeheuerlichem Tempo erfassen. Als Beleg dafür nennt er unter anderem den Leistungszuwachs von Computerchips. Es kann bezweifelt werden, dass Maschinen in wenigen Jahrzehnten so intelligent sein könnten, dass sie ihre Turbo-Evolution einfach selbst steuern. Aber es bleibt festzuhalten: Noch nie hat es eine Technik in so kurzer Zeit geschafft, sich derart unverzichtbar zu machen wie Computer, Internet und Mobilgeräte.

Wer dabei an Telefonieren, an SMS und an ständige Erreichbarkeit denkt, gehört wahrscheinlich zu dem Teil der Handybesitzer, der noch kein Smartphone hat. Um Kommunikation alleine geht es längst nicht mehr. Man kann damit auch: Navigieren, Preise vergleichen, Kassenzettel verwalten, den Blutdruck messen, das Lauftraining organisieren, Mails diktieren, Musik machen, hochauflösende Videos aufnehmen, den Fernseher steuern, Flüge und Bahnreisen buchen samt elektronischen Boarding-Karten und Bahntickets - und das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was immer neue Sensoren und Chips, vor allem aber neue Programme (Apps) und Online-Dienste ermöglichen.

Schon heute zeigt sich das Handy als das persönlichste elektronische Gerät, und so ist es kein Wunder, wenn einige Menschen - vor allem jüngere - eine ganz neue Sorge plagt: Plötzlich ohne da zu stehen.

Sogar das aber könnte seinen Schrecken verlieren, wenn Visionäre wie Mark Rolston recht behalten. Rolston ist Kreativchef der renommierten Designagentur Frog. Er glaubt, dass man schon bald gar keine Geräte mehr mit sich wird herumtragen müssen, oder aber die nötige Elektronik Platz finden werde in einer Armbanduhr. Das liege nicht bloß daran, dass die nötigen Schaltkreise immer kleiner werden. Weil die Rechenleistung quasi überall zur Verfügung stehe, muss die Leistung der mobilen Gerätschaften nicht ständig weiter ansteigen. Rolston denkt dabei an mobilen Datenfunk und an Dienste in der Cloud - also: in Rechenzentren, die irgendwo stehen können und über das Internet angezapft werden.

Die Intelligenz muss demnach weder in Geräten stecken, die Menschen mit sich tragen, noch in Sensoren, von denen Experten-Einschätzungen zufolge der Mensch der Zukunft regelrecht umzingelt sein wird. Ansätze dafür sind bereits viele erkennbar: Es gibt Bodenbeläge, die registrieren, wenn ein Mensch hinfällt, Straßenlaternen, die das Licht herunter dimmen, wenn die Straßen menschenleer sind, Messgeräte, die Vitaldaten wie beispielsweise den Blutzuckerwert nicht bloß erfassen, sondern über Mobilfunk auch gleich an den behandelnden Arzt weiterreichen.

Viele solcher Zukunftsszenarien haben freilich ihre Tücken, wenn man sie einmal näher in Augenschein nimmt. In den mobilen Datennetzen zum Beispiel klaffen noch immer große Lücken, ein Viertel der Deutschen - vor allem viele ältere Frauen - nutzen das Internet überhaupt nicht, und die großen Verheißungen zum Beispiel der Hersteller in der Gesundheitsbranche sind natürlich nicht bloß getrieben davon, Alten und Kranken etwas Gutes zu tun. Es geht wie immer auch ums Geschäft und darum, die explodierenden Kosten im Gesundheitswesen alternder Gesellschaften zu drücken. Dann könnte es gut sein, dass der Robo-Doc zwar alle Daten seiner Patienten hat, diese aber noch mehr vereinsamen als das bisher schon der Fall ist.

Und die Myriaden von Sensoren, die jeden Schritt und Tritt begleiten, sie können natürlich helfen, das Leben angenehmer zu machen, knappe Ressourcen durch Intelligenz besser zu nutzen. Aber sie können ebenso gut eingesetzt werden, um neue Formen der Überwachung einzuführen - immer wieder gerne gerechtfertigt mit dem Argument der Abwehr terroristischer Bedrohung.

In vielen Regionen aber dürfte die mobile Revolution erst einmal segensreich wirken. Experten glauben, dass Entwicklungs- und Schwellenländer kaum mehr Festnetz-Leitungen legen, sondern gleich auf Mobilfunk setzen. Der dadurch mögliche Wissenstransfer könnte dazu beitragen, die wirtschaftlichen und politischen Gewichte neu zu sortieren.

© SZ vom 30.06.2012/pauk - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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