Datensicherung:Rettung im staubfreien Raum

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Wenn Back-up-Festplatte und Sicherungsband zerstört sind, müssen Spezialisten ran. Im Labor hauchen sie der Hardware wieder Leben ein.

Helmut Martin-Jung

Die EDV-Leute hatten fast alles richtig gemacht. Die zentralen Daten des mittelständischen Betriebes aus dem Ländle waren auf getrennten Festplatten doppelt abgespeichert. Und schließlich gab es da auch noch die Sicherungskopie auf Band. Doch dann versagte eine der beiden Festplatten. Als man die Daten von der zweiten auf eine neue Platte überspielen wollte, ging auch die Reserveplatte kaputt.

Im staubfreien Raum retten Spezialisten Daten auf zerstörten Festplatten. (Foto: Foto: oH)

Blieb ja noch das Sicherungsband. Doch als man die Daten damit rekonstruieren wollte, stellte sich heraus, dass die Maschine das Band alle zehn Zentimeter zerknittert hatte - alle Daten waren weg, vom Auftragseingang über das Warenlager bis hin zu den Adressen von zigtausend Kunden.

Die Existenz der Firma ist bedroht

Datenunfälle wie dieser landen bei Peter Böhret. Er leitet das europäische Datenrettungsgeschäft von Kroll Ontrack, einem der größten Datenrettungslabors in Deutschland. Nicht alle der 9000 Fälle, die dort pro Jahr bearbeitet werden, bedrohen eine Firma gleich in ihrer Existenz.

"Aber", sagt Böhret, "elektronische Daten werden für viele Firmen immer wichtiger." So wichtig immerhin, dass man für die Rettung der Daten etwa auf einem Laptop gerne mehr bezahlt, als das gesamte Gerät wert ist.

So wie eine bayerische Autofirma, die ein Team zu wochenlangen Tests in die Wüste geschickt hatte. Als man die Daten zu Hause von dem tragbaren Computer in die Firmendatenbank überspielen wollte, hatte dessen Festplatte durch Hitze und Sand einen irreparablen Schaden erlitten - die wertvollen Testdaten waren nicht mehr zugänglich. Erst im Labor konnten die Daten dann doch gerettet werden.

Festplatten stellen das Gros der Speichermedien, die zu Datenrettungsfirmen gebracht werden. Nicht, weil sie so empfindlich wären: "Festplatten werden immer besser", sagt Böhret, sondern weil sie so weit verbreitet sind. 22 Millionen der kleinen Metallkästchen mit ihren rotierenden Scheiben sind allein in den Computern von Firmen und Behörden in Deutschland im Einsatz. 98 Prozent aller Datenrettungen betreffen Firmen und öffentliche Einrichtungen.

Für Privatleute rentiert sich eine Datenrettung beim Profi, die zwischen 700 bis 2000 Euro kostet, meist nicht. Wichtigstes Utensil der Datenretter: ein gut gefülltes Lager mit Festplatten. Etwa 100.000 Modelle hat beispielsweise Kroll Ontrack in seinen verschiedenen Niederlassungen über die Jahre gesammelt, gut 10.000 lagern allein im Münchner Büro.

Festplatten bestehen im Wesentlichen aus den rotierenden Speicherscheiben, dem beweglichen Schreib-Lesekopf und einer Steuerelektronik auf einer Platine. Oft reicht es bereits, diese Platine auszutauschen, um wieder an die Daten heranzukommen. Manchmal ist auch der nur wenige Millimeter große Schreib-Lesekopf defekt.

Scheiben einzeln ausbauen

Manchmal aber müssen die Scheiben einzeln ausgebaut und in einem Reinraum, in dem kaum ein Stäubchen schweben darf, in ein anderes Gehäuse eingesetzt werden. Damit das auch wirklich funktioniert, müssen intakte Modelle des exakt gleichen Typs verwendet werden, denn die Hersteller ändern laufend ihre Modelle.

In einem Datenrettungslabor sieht es aus wie bei einem passionierten Computerbastler. Platine reiht sich an Platine, feinmechanische Werkzeuge erleichtern den Ingenieuren den Umgang mit den oft winzigen Bauteilen, die hochpräzise justiert werden müssen. Selbst wenn sich einmal ein geschlossenes Computergehäuse in dem Labor findet, ragen daraus Teile des Kabelgekröses heraus, das der normale Anwender meistens kaum zu Gesicht bekommt.

Diese Maschinen stehen für den einfachsten Fall bereit, mit dem es die Datenretter zu tun bekommen, mit Speichermedien, auf denen Daten versehentlich gelöscht wurden. Denn, was viele Nutzer nicht wissen: Daten selbst aus dem entleerten digitalen Papierkorb verschwinden in Wirklichkeit nicht sofort von der Festplatte, sondern werden bloß mit einer Markierung versehen, dass ihr Platz auf dem Datenträger für andere Daten frei ist.

Wurden auf die Stelle noch keine anderen Daten geschrieben, können die gelöschten Daten wieder rekonstruiert werden. Selbst wenn die Platte neu formatiert wurde, bleiben viele der einzelnen Datenbits so wie sie waren - und sind damit nach wie vor lesbar.

Um Dateien wirklich sicher zu löschen, muss man eine Löschsoftware verwenden. Diese überschreibt die Bereiche, die gelöscht werden sollen, mit einem Muster - so als würde ein Text mit lauter X überschrieben.

"Wenn man weiß, welches Bitmuster zum Überschreiben verwendet wurde, und wenn man viel Zeit hat, kann man die Daten selbst danach rekonstruieren", sagt Böhret. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) empfiehlt daher, Datenträger sieben Mal zu überschreiben - erst dann seien sie auch für gut ausgerüstete Experten nicht mehr lesbar.

Plötzlicher Gedächtnisverlust

Wie ein nasser Schwamm auf einer beschriebenen Schultafel wirken dagegen starke Magnetfelder auf Computerfestplatten. Ein Notebook etwa, das auf einem großen Lautsprecher lag, kann durchaus einen plötzlichen Gedächtnisverlust erleiden, bei dem auch die Datenretter passen müssen - was physisch nicht mehr da ist, kann eben auch nicht mehr gerettet werden.

"Magnetisch beschädigte Platten sind das Schlimmste", sagt Böhret, "je kaputter dagegen die Platten aussehen, desto leichter lassen sich meistens die Daten wiederherstellen." Sind etwa Computer ins Wasser gefallen und die Speicherscheiben der Festplatte verrostet, lassen die sich doch polieren und wieder auslesen. Auch von Computerfestplatten, die in brennenden Gebäuden standen, können die Daten oft noch gerettet werden.

Selbst wenn die Speicherscheiben der Festplatten teilweise beschädigt sind - beispielsweise, wenn der Schreib-Lesekopf die Oberfläche zerkratzt hat - kann man die restlichen Daten mit Spezialsoftware noch retten. Wie bei einem Puzzle werden die über das Speichermedium verstreuten Dateifragmente von einer Rekonstruktionssoftware zusammengesetzt und dem Kunden auf einem neuen Medium, meistens einer mobilen Festplatte, übergeben.

Viel Puzzle-Arbeit kosteten die Datenretter auch die Bänder des schwäbischen Mittelständlers, erinnert sich Peter Böhret. In einem Wettlauf gegen die Zeit und mit Hilfe eilends eingeflogener Spezialisten aus den USA gelang es nach drei Tagen, einen Großteil der Informationen von den Bändern wiederherzustellen. Die Firma war aus dem Schneider, aber, erzählt Böhret: "Nachher kam der Firmenchef zu mir und sagte: noch einen Tag länger und wir hätten zumachen müssen."

© SZ vom 9.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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