Computerspielmesse Gamescom:Sanfte Besucher, blutrünstiges Geballer

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Gut, dass Innenminister de Maizière nicht auf die weltgrößte Videospielmesse gekommen ist. Oder nein, schade eigentlich. Ein Ortsbesuch bei der Gamescom.

Von Marc Baumann, Köln

Gleich neben dem Massaker wartet ein freundlicher Teenager und möchte einen umarmen. Er steht in Halle 9 der Videospielmesse Gamescom in Köln mit einem Schild um den Hals, auf dem steht: "Free hugs". Kostenlose Umarmungen. Hinter ihm hängt ein etwa sieben mal vier Meter großes Plakat, dass für das Videospiel "Killing Floor 2" wirbt. Die Zahl 2 ist mit Blut geschrieben. Man sieht darauf einen Mann mit Gasmaske und Schnellfeuergewehr, schreiende Zombies umzingeln ihn, ihre Hände zerren an ihm. Das Bild sieht aus wie ein Albtraum, aus dem selbst Fremdenlegionäre schreiend aufwachen würden.

Neben "Killing Floor 2" werben riesige Plakate für "The Surge" (Motiv: Mann mit Kettensäge), "Dawn of War III" (Motiv: Ein Berg aus Totenschädeln) und "Hitman" (Slogan: "Betrete die Welt des Auftragsmords"). Gut, dass Thomas de Maizière nicht auf die weltgrößte Videospielmesse gekommen ist. Oder nein, schade eigentlich. Der Innenminister hätte kostenlose Umarmungen gerade nötig. Er könnte sich in die zarten Schultern eines der übrigens vielen "Free Hugs"-Schildträger auf dem Kölner Messegelände fallen lassen und seufzen: "Wieso spielt ihr jungen Leute solches brutales Zeug? Wieso lacht ihr über meine warnenden Worte?"

Warum reihen sich auf der Gamescom Tausende Jugendliche bis zu sechs Stunden in Warteschlangen ein, um neue Spiele zu testen, in denen sie mit Äxten, Granaten und Gewehren alles niedermachen, was den Bildschirm betritt - aber auf dem Kopf tragen sie niedliche Plüsch-Pokémon-Mützen? Wie passt es zusammen, dass einerseits Innenminister de Maizière eine "schädliche Wirkung" durch ein "unerträgliches Ausmaß von gewaltverherrlichenden Spielen im Internet" feststellt; und dass andererseits einer der Gamescom-Ordner vor einer elend langen Reihe wartender Teenager sagt: "Die stehen hier trotz der Enge und des Lärms so friedlich an, das glaubt man nicht. Hier gab es in drei Tagen nicht einen Streit." Er arbeite oft bei Hip-Hop-Konzerten, da gäbe es meist schon nach fünf Minuten Ärger.

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(Foto: Sascha Schuermann/Getty Images)

Überlebensgroß: Messebesucher vor einem Call-of-Duty-Werbebanner.

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(Foto: Sascha Schuermann/Getty Images)

Albtraum in der Messehalle: Warum reihen sich auf der Gamescom Jugendliche in Warteschlangen, um Spiele zu testen, in denen sie mit Äxten und Gewehren alles niedermachen?

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(Foto: Ralph Orlowski/Reuters)

Wenn man Blut als animierte Pixel begreift, verlieren die Spiele vielleicht ihren Schrecken und können als taktische Herausforderung interpretiert werden. Aber was, wenn nicht?

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(Foto: Ralph Orlowski/Reuters)

Spaß oder Ernst? Es gibt eben keine einfachen Korrelationen in der Killerspiel-Debatte, die in Deutschland seit mehr als 15 Jahren geführt wird.

Es gibt keine einfache Erklärung in der Killerspiel-Debatte, die in Deutschland, und vor allem dort, seit mehr als 15 Jahren geführt wird. Die Diskussion schien beendet, die Polemik wurde runtergefahren, Sachwissen ausgebaut. Bis bekannt wurde, dass der Münchner Amokläufer David S. wie die Amokläufer von Emsdetten und Winnenden Ego-Shooter spielte.

Die Diskussion um "Counter-Strike" spricht Kevin Westphal von alleine an, das erspart dem Reporter die Frage, für die man von Gamescom-Besuchern rollende Augen und leises Stöhnen erntet. Westphal ist der Geschäftsführer des E-Sport-Teams "Euronics Gaming", zu dem eine erfolgreiche Counter-Strike-Mannschaft gehört, die an diesem Wochenende ins Finale der Deutschen Meisterschaft einzieht. In dem Spiel bekämpfen sich zwei Teams, Terroristen und eine Anti-Terror-Einheit. Wer zuerst alle fünf Spieler des gegnerischen Teams umgebracht hat, ist der Sieger. Eine Runde dauert keine zwei Minuten, nach 15 siegreichen Runden ist ein Satz gewonnen, drei Sätze braucht man zum Sieg. "Mit Counter-Strike kann man einen Amoklauf nicht üben", sagt Westphal, "die Waffe verhält sich ganz anders als in der Realität. Ein Counter-Strike-Profi würde auf dem Schießplatz nicht weit kommen."

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Für die Besucher der Gamescom und die 28 Millionen Zuseher, die sich ein internationales Counter-Strike-Turnier im Juli in Köln im Livestream angesehen haben, geht es bei Ego-Shootern nicht um Freude an Gewalt, sondern um Freude an Taktik. Das Publikum klatscht begeistert, wenn ein Spieler den Feind in einen Hinterhalt lockt. Die Profis kennen jede Ecke, jedes Versteck der zehn zur Wahl stehenden Spielorte, sie studieren andere Teams vor einem Turnier stundenlang. Wenn gegen Ende einer Runde nur mehr zwei, drei Spieler leben, ist das tatsächlich ein spannendes Katz-und-Maus-Spiel. Sofern man das Blut eben nur als animierte Pixel begreift.

"Wir haben früher mit kleinen Soldaten Krieg gespielt", sagt ein Zuschauer, der einzige mit grauen Haaren im Publikum des zweiten Halbfinals. Er begleitet seinen Sohn. "Ich wollte das mal selber sehen, was er da immer spielt." Die ganze Debatte spiegelt sich gut an diesem Vater wider. Sein Sohn habe Freunde, mache Sport, lese gerne. Trotzdem sei er erschrocken, als der Sohn sagte, er habe an einem Videospiel schon 2000 Stunden verbracht. Mit anderen Eltern reden sie darüber, manche sind strenger, manche laxer - aber alle sind unsicher. Er hört sein Sohn abends im Kinderzimmer reden, übers Internet mit seinen Freunden. "Sie haben eine neue Art der Kommunikation", sagt der Vater, "das ist eben so." Wie alt der Sohn denn sei, fragt man. 15, antwortet der. Counter-Strike ist ab 16, sagt man dann. "Er wird nächsten Monat 16", sagt der Vater etwas verlegen. Der Sohn lächelt.

© SZ vom 22.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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