Computerkritik:Professioneller Zweifler

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Er war Experte am Computer und gleichzeitig sein größter Kritiker. Ein Widerspruch? Nicht für Joseph Weizenbaum. Der Gesellschaftskritiker starb im Alter von 85 Jahren.

Patrick Illinger

Joseph Weizenbaum war ein Experte für Computer, als noch kaum jemand auf der Welt wusste, was unter diesem Begriff zu verstehen sei. Bereits in den 1950er Jahren arbeitete der 1936 aus Berlin in die USA emigrierte Sohn eines Kürschnermeisters im Computer Development Laboratory des Elektrokonzerns General Electric. Er entwickelte dort unter anderem die Grundlagen für Bankensoftware, wie sie heute die Finanzmärkte der Welt beherrscht.

(Foto: Foto: dpa)

Am Beginn der 1970er Jahre wurde der studierte Mathematiker Professor für Computerwissenschaft am angesehenen Massachusetts Institute of Technology. Es war die Zeit, in der Computer noch immer schrankgroße Ungetüme in den Hinterzimmern und Kellerräumen großer Konzerne waren. Es war aber auch die Zeit, in der Computer - vor allem in Deutschland - als ungeliebte Fortsetzung der Industrialisierung heftig in die Kritik gerieten. Das Wort vom "Jobkiller Computer" machte damals in der bundesrepublikanischen Arbeitnehmerschaft die Runde.

Von den vielen Büchern Joseph Weizenbaums traf "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" 1977 in Deutschland einen Nerv. Aufgrund seiner frühen Kritik am Umgang mit der damals aufkommenden Elektronischen Datenverarbeitung, ist er in den folgenden Jahren oft mit dem vereinfachenden Etikett eines Technikfeindes versehen worden. Doch das waren stets Begriffe, die Weizenbaums filigranen Analysen der Beziehung zwischen Mensch und Maschine nicht gerecht werden.

"Computer gibt es nicht"

Weizenbaum selbst war wichtig, als Gesellschaftskritiker verstanden zu werden. Er habe eben zufällig sein Leben mit Computern verbracht, sagte Joseph Weizenbaum 1999 im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, daher verknüpfe er seine Gesellschaftskritik mit diesem Thema. Wäre er Arzt geworden, würde er die Medizin kritisieren.

Den Computer als solchen gebe es im übrigen gar nicht, argumentierte er. Das sei lediglich eine Signal-Verarbeitungsmaschine. Erst die Software definiere den Computer, und erst die Interpretation der verarbeiteten Signale sei Information. Richtig wütend machte Weizenbaum die Ansicht vieler Techniker und Naturwissenschaftler, wonach der Mensch nur eine besondere Spezies einer Datenverarbeitungsmaschine sei. "Wir Menschen sind das Ergebnis unserer Geschichte. Die Art und Weise, wie wir die Dinge verstehen, ist eine Konsequenz der gesamten Lebenserfahrung.", sagte Weizenbaum. Der Geruch der Mutter, den ein Säugling spürt, werde Rechnern und Robotern immer fehlen.

Unermüdlich argumentierte Weizenbaum dafür, Maschinen nur Aufgaben zu übertragen, für die sie geeignet sind. So dürfe ein Computer nie Richter werden. "Es gibt Fragen, die man einem Computer nicht stellen soll." Um die Unzulänglichkeit von Maschinen zu illustrieren zitierte Weizenbaum gern eine Kurzgeschichte von Ernest Hemingway, die aus lediglich fünf Wörtern besteht: "Babyschuhe zu verkaufen, nie benutzt." Um die Traurigkeit darin zu spüren, muss man viel vom Leben wissen.

Er brachte Computern menschliches Kommunizieren bei

Dabei war es nie das Anliegen Weizenbaums, die fortschreitende Verbreitung von Elektronik im Alltag aufzuhalten. Er sah die Verantwortung für Fehlentwicklungen stets bei den Menschen. So könne es nur in einer vernünftigen Gesellschaft ein vernünftiges Internet geben. Da es diese nicht gäbe, nannte er das World Wide Web bereits in dessen Anfangsjahren einen stinkenden Müllhaufen, in dem gelegentlich Perlen versteckt seien. Soziale Erfindungen forderte Weizenbaum zur Lösung der mit der Technisierung verbundenen Probleme.

Zunehmend weitete Joseph Weizenbaum seine kritischen Analysen auf Fragen nach dem Umgang mit Naturwissenschaften aus. "Fast all unser Wissen, einschließlich des wissenschaftlichen, ist metaphorisch und deswegen nicht absolut", schrieb Weizenbaum erst vor wenigen Wochen in einem Essay. In Anlehnung an einen Ausspruch des Theaterautors Eugène Ionescu, schrieb er: "Sehr vieles ist darstellbar durch die Naturwissenschaften, aber nicht die lebende Wahrheit." Die komplette Kenntnis der physikalischen, genetischen und neurologischen Strukturen eines Lebewesens genügten nicht, um es auch zu verstehen argumentierte er. In Zeiten, in denen die Biochemie das Wesen Mensch in jeder Einzelheit erklärbar zu machen scheint, sind das mutige Zweifel.

Doch Weizenbaums Analysen waren nie bloße Theoriegerüste, die von außerhalb an die Gebäude der Naturwissenschaft angeflanscht wurden. Selbst aus der Computerwelt stammend, argumentierte er sozusagen als Insider gegen die Fehlleistungen der Gesellschaft, die dazu neigt, das Reich der Technik zu mystifizieren. Eine von Weizenbaums legendärsten Entwicklungen war ein Computerprogramms namens Eliza. Mit dieser Software schaffte es Weizenbaum bereits im Jahr 1966, Computern beizubringen, auf möglichst menschliche Weise zu kommunizieren. Noch in den 1980er Jahren staunten die ersten PC-Nutzer über dieses Programm. Doch auch mit der rasant gewachsenen Rechenkraft von Computern ist es nicht gelungen, einen Rechner so etwas wie Leben einzuhauchen. Joseph Weizenbaum war sicher, dass dies auch niemals gelingen wird.

In den vergangenen Jahren hat Weizenbaum seine Geburtstadt Berlin wieder zu seinem Lebensmittelpunkt gemacht. Am Mittwoch ist er dort im Alter von 85 Jahren im Hause seiner Tochter Naomi gestorben.

© SZ vom 07.03.2008/mia - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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