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Früher traf man seine Freunde auf ein Bier im Gasthaus, heute sind Online-Stammtische im Internet eine echte Alternative.

Jürgen Schmieder

Ein Stammtisch macht keinen Spaß mehr. Das Rauchen ist verboten, das Bier ist teurer geworden, und die nette Bedienung hat gekündigt. Wie soll man da über Fußball und andere wichtige Dinge diskutieren? "Da kann ich gleich daheim bleiben", schimpft so manch ein Stammtischbruder. Viele tun das bereits und veranstalten einen Online-Stammtisch.

Der Stammtisch im Hofbräuhaus - noch ohne Computeranschluss. (Foto: Foto: dpa)

Kulturpessimisten werden nun die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Stammtisch im Internet und nicht mehr in der Kneipe? Das ist der letzte Schritt in die Virtualität. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, wie nicht zuletzt der Abstieg der Online-Welt "Second Life" zeigt. Das gehypte Internetportal ist mittlerweile so langweilig wie Kaugummikauen, die Phantasie-Avatare ausgestorben wie Dinosaurier nach der Eiszeit. Die zehn Millionen angemeldeten Bewohner verstecken sich entweder gut - oder sind ausgezogen. Die Menschen wollen eben nicht als dreidimensionale Phantasie-Figuren durch Traumwelten schweben und eine Wolke als besten Freund haben, sondern Freunde treffen, die sie seit Jahren kennen. Das ist die Idee der virtuellen Stammtische.

"Online-Stammtische sind die beste Gelegenheit, mit Freunden einen lustigen Abend zu haben, die weit weg wohnen", sagt Volker Höcht. Er studiert in Bayreuth, über das Internet kann er sich mit Freunden unterhalten, die mittlerweile in München, Augsburg und New York leben. Im wirklichen Leben sieht sich die Clique einmal pro Jahr - über Skype gibt es alle zwei Wochen ein Treffen. "Man diskutiert Neuigkeiten, alltägliche Probleme und vergisst dabei die räumliche Distanz zwischen den Stammtischlern. Außerdem muss man so sein Feierabendbierchen nicht alleine trinken", sagt Höcht. "Würden wir alle in einer Stadt wohnen, würden wir uns wohl in einer Kneipe treffen."

Der virtuelle Stammtisch unterscheidet sich kaum vom traditionellen. Sogenannte "Instant Messenger" wie Skype, AIM und ICQ übernehmen die Rolle der Kneipe. Einmal angemeldet, zeigen die Portale den anderen Mitgliedern an, sobald man online ist - also das Wirtshaus betritt. Die Konferenz ist der Tisch, an dem die Freunde Platz nehmen. Wie in einer Bar gibt es bei den Messengern auch andere Gäste. Entdeckt man einen anwesenden Freund, lädt man ihn an den Tisch ein.

Es entwickelt sich eine gemütliche Runde, über Videotelefonie kann man sich sogar zuprosten - mit einem Bier, das 50 Cent gekostet hat. Statt Bierzeltmusik gibt es aktuelle Musikvideos, die sich die Mitglieder zuschicken. Bei der Diskussion über den FC Bayern und den neuen Trainer Jürgen Klinsmann sehen sich die Stammtischler nebenher die besten Szenen bei YouTube an, manchmal spielen sie eine Runde Online-Schafkopf. "Wir haben vor zwei Wochen gemeinsam ein Logo für unsere Hobby-Fußballmannschaft entworfen. Jeder hat mitgeholfen", sagt Höcht. Früher hätten die Stammtischler einen Bierdeckel bemalt, heutzutage kritzeln sie eine Fotoshop-Datei voll.

Billiges Bier, das Rauchen ist erlaubt - und die Freunde sind trotzdem mit dabei. "Manchmal ist es bequemer, daheim zu bleiben", sagt Höcht. "Ich muss nicht auf Freunde verzichten, nur weil ich zu Hause bleiben will."

© SZ vom 28.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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