Cebit 2010:Wir Datenverschwender

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Man identifiziert uns, weil wir leben: Der Mensch als Datenschleuder seiner selbst ist umso klarer profiliert, je mehr Spuren er im Netz hinterlässt. Es geht um Trends, Neigungen - und Gefahren.

Bernd Graff

Kurz vor Eröffnung der weltgrößten Computermesse, der Cebit in Hannover, beschäftigt sich die Bundeskanzlerin mit Grundfragen des Digitalen, seit Jahren schon. In ihrem samstäglichen Videoblog setzt Angela Merkel dann immer denselben Akzent: Die Bundesregierung erkennt die wirtschaftliche Bedeutung neuer Technologien und ihrer Vernetzung - und wird sie selbstverständlich fördern. In diesem Jahr kam erstmals und fast überraschend ein neuer Gedanke hinzu: Die Kanzlerin spricht nicht mehr nur von Innovationen und neuem Gerät, sondern sie warnt die Deutschen auch davor, im Netz allzu leichtfertig mit ihren persönlichen Daten umzugehen. So richtig dieser Appell ist, so rührend klingt er aus dem Mund der Regierungschefin. Denn Merkel weiß, dass sie im Netz eine Königin ohne Land ist.

Fakten und Bedingungen schaffen andere. Amerikanische Unternehmen, Google vor allem und Facebook, also ein Suchmaschinenbetreiber und der Anbieter eines sozialen Netzwerks, schicken sich an, so genannte Infrastrukturseiten im Internet zu werden. Sie nutzen ihren Erfolg dazu, immer weitere Web-Dienste an ihr Angebot anzuflanschen und zu einem Gesamtangebot auszubauen. Der Suchmaschinenbetreiber will mit Google Buzz zum sozialen Netzwerk und mit Google Street View zum fotorealistischen Weltvermesser werden. In Kombination sollen beide Dienste Nachrichten von Freunden an reale Orte binden und darstellbar machen; Insider sprechen vom Air-Tagging der Welt. Facebook annonciert die Integration von Kurzmitteilungsdiensten und die Verknüpfung mit Suchmaschinen.

Die ökonomische Idee dahinter: Die Internetnutzer sollen den Google-Kosmos und die Facebook-Sphäre niemals mehr verlassen müssen und so ihre Daten immer an zentraler Stelle speichern - auf den Servern der großen Konzerne. Das betrifft persönliche Daten ebenso wie Suchanfragen, kurz: alle Informationen über sich und andere. Kein Wunder, dass Microsoft und Yahoo versuchen mitzuhalten. Denn massenhaft und über lange Zeiträume hinweg gesammelte Informationen über Menschen, im besten Fall Selbstbekundungen, sind ökonomisch ausbeutbar. Es sind die Goldminen des 21. Jahrhunderts.

Bisher kannte das analoge Denken nur zwei Methoden der Identifizierung und damit zwei Begriffe von Identität. Einmal die klassisch-pragmatische Identität der unveränderlichen Kennzeichen, die Identität der Personalausweise: Name, Geburtsdatum, Wohnort, Signatur und biometrische Daten wie Narben, Gebiss, Augenfarbe und Fingerabdrücke. Die Philosophen ergänzten diese um eine Identität der Einheit von Erfahrungen: Subjekt ist, was im Zentrum der eigenen historischen Erlebnisse steht und "Ich habe" von seinen Erinnerungen sagt. Nun wächst mit der Digitalisierung der Datenbestände und ihrer unbefristeten Speicherung ein dritter Identitätsbegriff heran. Er beschreibt die Menschen quasi indirekt: als die Identität ihrer Handlungen und Verlautbarungen, ihrer bekundeten Interessen, Suchen und Wünsche, kombiniert mit den geografischen Koordinaten ihrer Aufenthaltsorte.

Der Mensch wird hier begriffen als Datenschleuder seiner selbst, der umso klarer profiliert ist, je mehr Spuren und Selbstzeugnisse er im Netz hinterlässt. Und je mehr Telekommunikationsdaten und Internet-Verkehrsdaten von ihm mit den dazu gehörenden Ortsangaben verknüpft werden können und je langfristiger solche Daten erhoben und zusammengeführt werden können, umso besser lassen sie sich analysieren und Prognosen daraus ableiten. Es geht um Trends, Neigungen, Tendenzen, Wahrscheinlichkeiten. Um Muster also, die sich gerade auch aus den Spuren Vieler ableiten lassen.

Darum können die großen Datensammler auch fast ohne Zynismus behaupten, dass sie die unmittelbar personenbezogenen Daten (unsere alte Passport-Identität) selbstverständlich schützen wollen, während sie andererseits alle anderen menschlichen Verkehrsdaten abgreifen, bearbeiten und speichern, um passgenaue Konsumenten-Profile daraus abzuleiten. Und darum werden die mit unfassbarem technischen Aufwand programmierten Webangebote von Facebook und Google auch kostenlos angeboten: Denn die geldwerte Arbeit verrichten nicht die Programmierer, sondern die Nutzer, die ihre Daten dort arglos einstellen. Wir selber sind es, die den Stoff liefern, auf den die Maschinen warten. Man muss das nicht unbedingt schlimm finden. Man sollte aber wissen, dass nahezu alle Lebenszeichen in die Matrix von Konzernen einsortiert werden. Man identifiziert uns, weil wir leben. Das vermögen wir (und die guten alten Datenschützer) noch kaum zu begreifen.

Wenn die Kanzlerin nun daran erinnert, vorsichtig mit der Preisgabe persönlicher Daten zu sein, dann ist es so, als ob sie die Passagiere der Titanic gemahnt, sich auch schön warm anzuziehen; es soll ja so kalt sein da draußen zwischen den Eisbergen. Die nationale Politik weiß angesichts der unverfroren global agierenden Konzerne keinen besseren Rat zu geben. Vermutlich kann sie es auch nicht. Noch nicht. Wirksam geschützt ist unsere Datenidentität mit dem Aufruf zum Selbstschutz jedoch noch lange nicht.

© SZ vom 01.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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