Auto, Handy, Navigationsgerät und Co.:Bitte möglichst unverständlich

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Egal wie raffiniert technische Produkte auch sein mögen - über den Erfolg entscheidet immer noch die Bedienbarkeit.

Helmut Martin-Jung

"Die dramatischsten Szenen", sagt Tim Bosenick, "spielen sich hinter dem Spiegel ab". Die halbdurchlässige Scheibe meint er, hinter der Ingenieure mit steigendem Blutdruck verfolgen, wie normale Menschen einfach nicht kapieren, wo sie bei einem neu entworfenen Gerät die richtigen Knöpfe finden.

"Manch einer würde am liebsten laut rufen 'nun drück schon'!" Bosenick ist Geschäftsführer der Beratungsfirma Sirvaluse. Unzählige Male schon hat er solche Szenen im "Usability Lab" erlebt, Räumen, in denen Testpersonen genauestens dabei beobachtet werden, wie sie Geräte bedienen oder mit einer Shopping-Seite im Internet zurechtkommen.

Egal wie schlecht der Test auch verläuft, einen Fehler haben die Firmen immerhin schon vermieden, die ihn absolvieren: "Bei der Industrie ist es noch nicht so richtig ins Bewusstsein eingesickert, wie wichtig die Bedienbarkeit ist", sagt Andreas Butz, Professor für Medieninformatik an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU). "Da schaut kein normaler Menschen mehr drauf, bis das Gerät im Regal steht."

Tagtäglich müssen die Menschen in industrialisierten Ländern mit immer mehr technischen Geräten umgehen, vom Radiowecker über das Mobiltelefon und Auto bis zum Computer im Büro. Bedienungsanleitungen für Waschmaschinen oder TV-Geräte ähneln vom Umfang her Telefonbüchern, und vor Fahrkartenautomaten sieht man lange Schlangen ratloser Bahnkunden, die ohne die Hilfe eines kundigen Mitarbeiters nicht in der Lage sind, ein Billett für die Fahrt von A nach B zu ziehen. Warum aber sind diese Geräte selbst für technisch Versierte oft so undurchschaubar?

"Eigentlich sind Fahrkartenautomaten doch keine Geheimwissenschaft", sagt Medieninformatiker Butz, "wie man so etwas macht, lernen bei uns die Studenten im ersten Semester." Um benutzerfreundliche Geräte zu entwickeln, müsse man zunächst überlegen, wie Menschen das Gerät benutzen würden, Testpersonen müssten diese Schritte dann nachvollziehen.

"Unsere Studenten basteln dazu Abfolgen von Bildschirmen auf Papier", sagt Butz, "da merkt man sehr schnell, wenn grundlegende Sachen schief gehen". Erst dann würden einfache Prototypen angefertigt, "und am Ende steht dann ein Produkt, bei dem schon im Entwicklungsprozess viele Fehler ausgemerzt werden". Wie aber sieht so ein Prozess eigentlich aus?

Unkenntnis der Auftraggeber

"Wir unterscheiden drei Ebenen", sagt der finnische Designer Paavo Pietola. Seine Firma Idem entwirft neue Handy-Modelle für gleich mehrere der großen Hersteller. Die erste sieht er geprägt von der Marke. Die Erwartungen, welche die Zielgruppe damit verbinde, und das Design prägen den Eindruck, den ein Käufer von einem Handy gewinne. Als nächstes stellen sich die Idem-Mitarbeiter Fragen wie: "Welches Problem soll es lösen, warum ist es darin besser als andere, wo wird es benutzt und wie?"

Das sind keine ungewöhnlichen Fragen, Fragen, die man so ähnlich für die meisten Produkte stellen kann, aber "man glaubt nicht, wie viele Auftraggeber das gar nicht wissen", sagt Usability-Tester Bosenick. Er trifft diese Unkenntnis vor allem in Deutschland häufig an.

"Das ist eine typisch deutsche Denke", sagt er, "wenn's technisch brillant ist, werden es die Benutzer schon lieben." In angelsächsischen Ländern dagegen gesellt sich zusätzlich zum Marketing Director längst der Customer Experience Director. Seine Aufgabe ist es, Kunden zu begeistern, sagt Bosenick, "im besten Fall betreiben die Kunden sogar positive Propaganda."

Am Ende des Prozesses schließlich stehen Form, Material und Farbe. "Gutes Design", sagt Paavo Pietola, "löst Probleme und erfüllt Bedürfnisse." Aber man könne auch nicht leugnen, dass im Leben Sehnsüchte und Emotionen eine Rolle spielten. "Ein gelungenes Design kann auch erst den Wunsch auslösen, ein Gerät zu kaufen", sagt Pietola.

Aber wie erfährt man, was die Kunden wirklich wollen? Die Finnen verlassen sich dabei keineswegs alleine darauf, was die Auftraggeber ihnen vorgeben, sie wollen herausdestillieren, welche Megatrends das Leben potentieller Käufer in verschiedenen Kulturkreisen beeinflussen. Die Zeitgeist-Forscher versuchen dabei aber nicht, Verhaltensweisen vorherzusagen, die es noch gar nicht gibt. "Wir schauen vor allem auf Trends, die schon da sind und sich wahrscheinlich verstärken werden", sagt Paavo Pietola.

Was hier nach einem ziemlich kreativen Prozess klingt, ist in Deutschland durch eine DIN-Norm geregelt. Die Nummer 13407 enthält Vorschriften für den sogenannten nutzerzentrierten Prozess. "Wenn man die einhält, kann man ziemlich sicher sein, dass das Produkt beim Nutzer ankommt", sagt Tim Bosenick. Auch er räumt aber ein, dass das alleine heute nicht mehr reicht: "Dazu kommt dann schönes Design und ein gewisser Spaßfaktor."

Wichtig sei aber, da sind sich alle Experten einig, schon während der Konzeptphase damit anzufangen, potentielle Nutzer in den Entstehungsprozess eines Produktes einzubeziehen, oder immer wieder wie Medieninformatiker Butz zu fragen: "Wie denkt sich ein Benutzer, dass etwas funktioniert?" Menschen in industrialisierten Ländern hätten bereits gelernt, mit technischen Gegenständen umzugehen, aber neue Geräte erforderten oft auch neue Bedienungskonzepte.

Butz, der erst vor kurzem mit dem Forschungspreis der Alcatel-Lucent-Stiftung ausgezeichnet wurde, entwickelt mit seiner Arbeitsgruppe beispielsweise Konferenztische, deren Oberfläche ein einziger riesiger Bildschirm ist. Virtuelle Notizzettel, die darauf abgelegt sind, kann man einfach mit den Fingern beschreiben und wie echtes Papier über den Tisch schnippen.

Ihm geht es dabei vor allem um, wie er es nennt, die "Direktheit der Manipulation", anders ausgedrückt, um ein Vorgehen, das dem der gewohnten Umwelt am ehesten entspricht. Oft aber, so stellt er immer wieder fest, fehle "die Phantasie, über die Maus hinauszugehen." Sein Ziel ist es, "einen Schritt zurück zur Physikalität" zu gehen, dies aber mit dem Zusatznutzen zu verbinden, den rechnergestütztes Arbeiten bietet - und sei es nur, um das Ergebnis eines Brainstormings am Konferenztisch abzuspeichern.

Die LMU arbeitet dabei nicht etwa nur an Grundlagenforschung, sondern arbeitet mit der und für die Industrie an konkreten Projekten. Ein großer Autohersteller etwa bezahlt zwei Doktoranden, die dafür sorgen sollen, dass die Autos, die in sieben bis zehn Jahren auf den Straßen rollen, besser zu bedienen sind. Wie nötig das ist, kann Bosenick nur bestätigen. Er testete das iDrive von BMW, die mit nur einem Knopf zu bedienende Steuerung für Autoradio, Navigation und andere Bordelektronik - und war geschockt. "Noch nie", sagt Bosenick, "habe ich so viele hilflose ältere Menschen gesehen."

© SZ vom 2.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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