Wissenschaftler:Das Fußvolk muss warten

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SZ-Grafik; Quelle: Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst (Foto: Sz-Grafik)

Die Koalition hat bessere Arbeitsbedingungen für Zehntausende junge Forscher versprochen, doch es geht nicht voran. Mehrere Bundesländer versuchen das Problem inzwischen selbst zu lösen.

Von Roland Preuss

Bernhard Kempen sieht das Treiben mit wachsendem Missvergnügen. "Ich erwarte, dass das Thema jetzt nicht aus parteipolitischem Zwist totgeredet wird. Es ist höchsteilig, dass da endlich mal Dampf reinkommt", sagt er. Der Kölner Juraprofessor beherrscht die Kunst der klaren Rede, weshalb er Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV) ist, dem Berufsverband der Wissenschaftler. Man kann sagen, dass ihm die Nachwuchswissenschaftler ein Herzensanliegen sind, im Frühjahr setzte er gegen einigen Widerstand eine Resolution seines Verbandes durch, der durchgreifende Verbesserungen für junge Forscherinnen und Forscher fordert - um nun zu sehen, dass entsprechende Pläne dafür im Bundestag vom Streit zerfressen werden. "Die jungen Wissenschaftler müssen endlich wissen, was Sache ist."

Es geht um einen Missstand, der Hochschulen und Forscher zunehmend beunruhigt: Die Zahl der Studenten ist rasant gestiegen, nicht jedoch die Zahl der Professoren. Die Arbeit wird mehr und mehr von wissenschaftlichen Mitarbeitern gestemmt, oft Doktoranden oder Habilitanden, die immer mehr übernehmen in Lehre und Forschung. Die Aufgaben aber erledigen sie in großer Unsicherheit, in Zeitverträgen, manche sind nur wenige Monate lang, viele nur für halbe Stellen - und fast alle mager bezahlt. Etwa 180 000 solcher wissenschaftlicher Mitarbeiter zählt man mittlerweile an den Hochschulen, mehr als 80 Prozent von ihnen haben befristete Verträge. Bildungsforscher und Gewerkschafter sprechen vom Wissenschaftsprekariat.

In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD und Union vereinbart, der Entwicklung entgegenzutreten, man werde das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WZVG), das befristete Arbeitsverträge in der Forschung erleichtert, reformieren und wolle bei Förderprogrammen auf "angemessene Laufzeiten der Anstellungsverträge achten". Doch es geht nicht vorwärts. Ende April hatten sich die Verhandlungsführer der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion bereits auf Eckpunkte für die Reform verständigt. Demnach sollen Wissenschaftler in der Regel so lange beschäftigt werden müssen, wie sie für ihre Qualifikation - etwa eine Doktorarbeit - benötigen, oder solange Geld für ein Forschungsprojekt zur Verfügung steht. Der Arbeitsvertrag in einem Vier-Jahres-Programm müsste also auch über vier Jahre laufen. Zeitverträge ohne Begründung sollen eingedämmt, Daueraufgaben durch dauerhafte Mitarbeiter erledigt werden. Dies soll auch für nichtwissenschaftliches Personal wie etwa Labortechniker oder Bibliothekare gelten, die künftig so wie andere Arbeitnehmer behandelt werden sollen. Dagegen aber sperren sich Teile der Unionsfraktion, etwa der Bildungsexperte Albert Ruppert (CSU). Ruppert sieht in der Reform des WZVG ohnehin nur "einen kleinen Baustein", bei den nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern sieht er juristische Probleme. Vor allem aber will Ruppert den Missstand anders angehen: durch ein Tenure-Track-Programm, das heißt befristete Stellen mit der Perspektive auf einen festen Posten. Und mit Vorgaben für die Hochschulen, die Forschungsgeld vom Bund bekommen. "Wer zahlt, schafft auch mit an", sagt Ruppert, die Hochschulen müssten Vorgaben einhalten und zertifizieren lassen.

Das aber reicht der SPD nicht, sie fordert die Eckpunkte als Gesetz, SPD-Verhandlungsführerin Simone Raatz wirft der Union vor, von bereits Vereinbartem abzurücken, Ruppert dagegen will erst ein umfassendes Paket aushandeln. Man hat sich festgefahren. Und am Rande steht Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU), die schon im Januar klare Verbesserungen gefordert hatte. "Es ist indiskutabel, dass mehr als die Hälfte der Wissenschaftler bei ihrem ersten Vertrag kürzer als ein Jahr beschäftigt werden", sagte sie damals. Das Gesetz aber bereiten die Fraktionen vor, nicht ihr Ministerium; ihr Einfluss ist dadurch begrenzt. Keine schöne Situation für Johanna Wanka: Denn sie wird als zuständige Ministerin letztlich für die Lage verantwortlich gemacht.

Was später in den Hochschulen passiert, entzieht sich der Kontrolle des Ministeriums

Inzwischen besetzen andere das Thema, vor allem rührige Landesminister, denen Wissenschaftler immer wieder ihre Missstände schildern. Baden-Württemberg hat ein Milliardenprogramm für seine Hochschulen im Januar mit einer Vereinbarung zu "guter Arbeit" dort verknüpft. Die Hochschulen geben dazu Selbstverpflichtungen ab. Ähnlich lief es in Bayern, wo sich Wissenschaftsminister Ludwig Spaenle (CSU) im März mit Hochschulen und Wissenschaftlern auf eine Grundsatzvereinbarung für "bessere Arbeitsbedingungen" verständigte. Anfang Juni nun folgte Nordrhein-Westfalen, wo Vertreter der Hochschulen mit Wissenschaftsministerin Svenja Schulze (SPD) einen "Rahmenkodex für gute Beschäftigungsbedingungen" unterzeichnete. "Wir sehen, dass die Arbeitsbedingungen im internationalen Wettbewerb um Wissenschaftler immer wichtiger werden", sagt Schulze. In den Vereinbarungen steht das, was eigentlich im WZVG geregelt werden sollte, teils, wie in Nordrhein-Westfalen, auch mehr, etwa zur Familienfreundlichkeit. Alle Hochschulen sollen die Regeln unterzeichnen. "Solche Selbstverpflichtungen können Wissenschaftler nicht einklagen, juristisch ist das nicht relevant", sagt der Arbeitsrechtler und DIW-Vorstand Cornelius Richter. Ein freundliches Symbol also. Das sieht Kempen ganz ähnlich. Er schätzt den Inhalt des Kodexes, aber: "Die Unis können da getrost ihren August druntersetzen, was später in den Hochschulen passiert, entzieht sich der ministeriellen Kontrolle", sagt er.

Auch von Vorgaben bei Förderprogrammen, wie es Ruppert wünscht, hält er wenig. "Das ist unsauber und nicht effektiv", sagt Kempen. Der Bund sei zuständig für das Arbeitsrecht, also müsse er klare Verhältnisse schaffen - per Gesetz.

© SZ vom 15.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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