Wissenschaft:Wenn Politologen wählen...

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Zusammenkünfte von Wissenschaftlern - sofern lebende - können hitzig enden. Politologen-Urvater Aristoteles (2. v. r.) mit Gelehrtenkollegen. (Foto: Robert Haas)

Es läuft nicht alles glatt im Kerngeschäft der Zunft: Der Fachvereinigung fehlt nach einem Eklat ein Chef.

Von Tanjev Schultz

Es war schon deutlich nach Mitternacht, als die Runde sich vertagte. Fast 300 Politikwissenschaftler aus der ganzen Republik hatten sich in Duisburg an einer turbulenten Mitgliederversammlung beteiligt. Ein paar aufregende Wahlgänge lagen hinter ihnen, und nun stand die "Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft" (DVPW) plötzlich ohne Vorsitzenden da - und vor einem Debakel. "Man sollte Politologen nicht wählen lassen, das können sie nicht. Klassisches Theorie-Praxis-Dilemma", witzelte jemand auf Facebook.

Vielen ist derzeit aber gar nicht zum Scherzen zumute. In der deutschen Politologen-Zunft rumort es gewaltig, und ihre Konflikte sind symptomatisch für Erschütterungen, die es auch andernorts im Wissenschaftssystem gibt. In vielen Disziplinen entwickeln sich starke Fliehkräfte. Bei fortschreitender Ausdifferenzierung der Forschung und der Hochschulen fällt es den Fachvertretern schwer, eine gemeinsame Identität zu wahren (oder neu zu stiften) - und sich konstruktiv zu organisieren.

Was genau ist Ende September auf dem DVPW-Kongress passiert? Michael Zürn, einer der Direktoren des Berliner Wissenschaftszentrums (WZB), kandidierte für den Vorsitz. Er hatte Gegner, aber keinen Gegenkandidaten. Zürn ist einer der auch im Ausland bekanntesten und renommiertesten deutschen Politikwissenschaftler; dennoch ließ man ihn auflaufen. Er bekam etliche Gegenstimmen. Nur denkbar knapp, mit 54 Prozent, wurde er gewählt und zuvor hart befragt. Zunächst nahm Zürn die Wahl an. Als anschließend die Kandidaten, die er als sein Kern-Team betrachtete, reihenweise bei der Wahl des restlichen Vorstands durchfielen, trat er jedoch noch am selben Abend wieder zurück.

Kleine gegen Große, Lehre oder Forschung? Viele Fächer haben ähnliche Konflikte

Manche sprechen von einer Art Unfall, andere von einer orchestrierten Kampagne, gespickt mit unlauteren Unterstellungen. Verloren haben letztlich alle. Denn die Politikwissenschaft, deren Expertisen ja auch für die breite Öffentlichkeit von Belang sind, stürzt sich in interne Querelen statt in die Sachdebatten dieser Tage. In Duisburg wurde zwar auch über die Flüchtlingspolitik diskutiert und über Datenschutz und Freiheitsrechte; überschattet ist der Kongress aber vom Wahl-Eklat.

Im Vergleich zu Historikern und Soziologen ringt die deutsche Politikwissenschaft seit Langem um mehr Beachtung und Anerkennung. International feiern deutsche Fachvertreter allerdings durchaus Erfolge. Der Mannheimer Thomas König ist jetzt sogar zum Herausgeber des American Political Science Review ernannt worden, einer der weltweit führenden Fachzeitschriften. Und an Standorten wie Berlin, Bremen, Frankfurt oder München haben sich Bastionen der Forschung entwickelt, die weit über Deutschland hinaus strahlen. Eben dies sehen Vertreter kleinerer Institute oft mit gemischten Gefühlen, und so entstand bei einigen offenbar der Eindruck, Zürn wolle gemeinsam mit ein paar "Großkopferten" die DVPW dominieren.

Ein konkreter Streitpunkt sind Rankings: Beim populären CHE-Ranking spielt die Forschungsleistung in der Politikwissenschaft keine Rolle mehr; nur noch die Lehre. Das ist im Sinne all jener, die im großen Geschäft um Drittmittel, also Forschungsgeld über den normalen Etat hinaus, nicht dabei sind. Andere ärgern sich über ein aus ihrer Sicht völlig schiefes Bild - es ist ein Konflikt, wie es ihn in anderen Disziplinen auch gibt.

In seiner Bewerbungsrede machte Zürn deutlich, dass es ihm aber gerade um den Zusammenhalt des Faches und nicht das Ausspielen des einen gegen das andere gehe. Zudem müsse die Vereinigung mehr Gehör in Öffentlichkeit und Wissenschaftspolitik finden. Die DVPW sei "in Routine erstarrt", sagt die Konstanzer Professorin Katharina Holzinger. Die Kongress-Kultur müsse belebt und die Vereinigung auch für jene wieder attraktiv werden, die sich international orientieren. In Duisburg prallten die Lager jedoch ungebremst aufeinander. Zürns Anhänger sagen, der alte Vorstand habe den Kandidaten beschädigt, statt sich um einen geordneten Übergang oder einen Gegenkandidaten zu bemühen. Gabriele Abels, Professorin in Tübingen und zuletzt drei Jahre an der DVPW-Spitze, wirft Zürns Team dagegen vor, es habe versäumt, andere einzubinden. Das habe sich im Ergebnis gerächt. Anders Frank Nullmeier (Bremen): Er empfand den Umgang als "gehässig". An einer Auseinandersetzung in der Sache habe es gefehlt. Zürn ist ebenfalls enttäuscht vom Stil, räumt aber ein, er und sein Team seien zu arglos gewesen und hätten der Kampagne und der gezielten Rahmung des Konflikts als "Groß" gegen "Klein" früher entgegentreten müssen.

Neu gewählt wurde ein Vorstand aus sechs Personen (ohne Vorsitz). Er betrachtet sich als Übergangslösung und muss nun sehen, wie er die Scherben aufsammelt und zusammenklebt. Die inhaltlichen Differenzen seien gar nicht so groß, sagt Monika Oberle. Die Göttinger Didaktik-Expertin ist eine der Neuen. Sie spricht von Wahrnehmungs- und Kommunikationsproblemen. Die Gräben müssten jetzt überwunden werden. Wie schwer das wird, spürt man, wenn man mit Edgar Grande spricht. Der Professor aus München sagt, das "Integrationsprogramm" von Zürns Team sei auf fahrlässige Art ausgeschlagen worden. Es gebe Schmerzgrenzen, sagt Grande - und kündigt an, aus der Vereinigung auszutreten.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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