Uni-Chefin Petra Wend:Wie stehen wir jetzt da?

Lesezeit: 3 min

Die Leiterin der Queen Margaret University in Edinburgh berichtet über den Brexit und Folgen für die Hochschulen.

Interview von Ulrike Nimz

Petra Wend ist Leiterin der Queen Margaret University im schottischen Edinburgh. Die Italienisch-Professorin ist in Deutschland geboren und - wie sie sagt - in Europa aufgewachsen. Im Interview spricht sie darüber, warum die Hochschulen des Königreichs nun um Fördergelder in Millionenhöhe fürchten und die Briten sich ihrer irischen Verwandten erinnern.

SZ: Frau Wend, es gibt Ereignisse, da weiß man noch Jahre hinterher, was man gemacht hat und wo man war. Wie sah für Sie der Tag des Brexit-Referendums aus?

Petra Wend: Am 24. Juni war um sechs Uhr morgens klar, dass Großbritannien die EU verlassen wird. Das war auch der Moment, in dem die ersten E-Mails in meinem Postfach landeten - von Studenten aus dem europäischen Ausland natürlich und Doktoranden, die vorhatten, sich im September für einen PhD einzuschreiben. Alle wollten wissen: Wie geht es weiter, sind wir noch willkommen? Ich habe den ganzen Tag damit verbracht, individuelle Antworten zu schreiben. Um acht Uhr morgens schickten wir dann ein paar Rundmails raus, um die größten Ängste auszuräumen. In den meisten Fällen ging es dabei um mögliche Studiengebühren. Die wird es wohl auch weiterhin nicht geben. Um 9 Uhr morgens gab es die ersten Gespräche mit dem schottischen Wissenschaftsministerium. Der englische Wissenschaftsminister kam am Tag darauf nach Edinburgh und sagte uns Unterstützung zu.

Nach dem Brexit ist unter Studierenden auch die Sorge um Fortbestand und Förderung von Austauschprogrammen wie Erasmus groß. Welche Schwierigkeiten kommen auf die Universitäten zu?

Momentan sieht es so aus, als würde es sehr schwierig werden. Auch wenn von der schottischen und der englischen Regierung immer wieder betont wird, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen. Natürlich machen wir uns trotzdem welche. Erasmus ist dabei eines unserer geringsten Probleme, denn Austauschprogramme wird es in der einen oder anderen Form bestimmt weiter geben. Viel wichtiger sind europäische Forschungsgelder, zu denen wir vielleicht bald keinen Zugang mehr haben werden. Es heißt zwar immer: Entspannt euch, bis der Brexit stattfindet, dauert es ja noch zwei Jahre. Die Anlaufzeit für solche Programme beträgt aber nun einmal ein bis zwei Jahre. Europäische Partner überlegen sich jetzt schon dreimal, ob sie Briten im Boot haben wollen. Meine Universität bangt derzeit um die Verlängerung von Verträgen, bei denen es um insgesamt zwei Millionen Euro geht.

Zur Disposition stehen jetzt auch EU-Forschungsprogramme wie "Horizon 2020", worüber beispielsweise Stipendien vergeben werden. Nirgendwo erhalten mehr Personen finanzielle Unterstützung vom Europäischen Forschungsrat als in Großbritannien. Gibt es eine Strategie, den Zugang zu solchen Töpfen auch weiterhin sicherzustellen?

Zurzeit geht es hauptsächlich darum, unsere ausländischen Studenten und Dozenten zu beruhigen. Aber natürlich wird darüber beraten, wie es langfristig weitergehen soll. Ich bin Teil einer Gruppe von Hochschulpräsidenten, darunter Engländer, Schotten, Waliser und Nordiren. Keine der 160 Universitäten wollte einen Brexit, auch wenn die Universitäten sich als neutral erklärt haben. Noch zwei Tage vor dem Referendum haben 140 Universitätsrektoren einen Brief unterschrieben gegen den Brexit. An den Hochschulen waren sich alle einig, dass wir Teil Europas bleiben wollen.

Wie ist die Stimmung auf dem Campus?

Sehr niedergeschlagen. Sowohl unter den Studenten als auch unter den Dozenten. 50 Prozent der Bewerbungen für unser wissenschaftliches Personal kommen aus dem Rest von Europa. Beim Forschungspersonal, also jenen Menschen, die nicht unterrichten, sind es sogar über 50 Prozent. Wir wollen, dass das so bleibt. Es ist wichtig für unsere internationale Konkurrenzfähigkeit. Wenn Studenten jetzt aber Gebühren zahlen müssen, dann werden sie nicht mehr so zahlreich nach Schottland kommen. England wird weniger Probleme haben, denn dort zahlen die europäischen Studenten bereits. Aber man darf nicht unterschätzen, was passiert, wenn Leute sich nicht mehr willkommen fühlen. Wir werden Fachkräfte verlieren. Wer ein Visum beantragen und sich privat versichern muss, der geht vielleicht lieber gleich in die USA oder nach Australien. Der Aufwand ist derselbe.

Sie sind vor 30 Jahren von Deutschland auf die Insel gezogen. Was bedeutet der Brexit für Sie persönlich?

Ich bin ein Nachkriegskind. Für mich ist Europa eine Einheit. Ich bin ja damals nicht nach England gegangen, weil ich das Land so attraktiv fand. England war für mich schlicht ein Teil Europas, und an der Universität in Leeds saß eben der Experte für das Thema meiner Doktorarbeit. Ich frage mich ständig: Wie stehen wir denn jetzt in der Welt da? Der Austritt schadet dem Ruf Großbritanniens.

Denken Sie über eine Rückkehr nach Deutschland nach?

Nein. Ich habe immer gesagt, dass ich nicht zurückgehe. Für mich gäbe es dort keine Arbeit. Das Universitätssystem ist anders, weniger flexibel, weniger Aufstiegschancen. Aber ich behalte meinen deutschen Pass, damit ich Teil Europas bleiben kann. Ich kenne viele Briten, die es genauso machen: Sie entdecken ihre irischen Verwandten wieder und bemühen sich um einen irischen Pass

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: