Sprachprobleme von Kindern:"Ein selbsterhaltendes System"

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Kinderärzte spielen den Ball zurück: Mitunter hätten Logopäden ein Interesse, die Therapie möglichst lange fortzuführen. "Sie sind ein selbsterhaltendes System", sagt ein ehemaliger Hamburger Oberarzt der Kinder- und Jugendmedizin, der seinen Namen nicht nennen möchte. "Würden sie das Ende einer Therapie anraten, würden sie sich selbst arbeitslos machen."

Es gibt immer mehr Logopäden. Die Anzahl der Mitglieder im Bundesverband stieg in den vergangenen zehn Jahren um ein Drittel auf 12.000. Ihm sei in seiner Laufbahn bisher erst ein Arztbrief untergekommen, in dem der Logopäde zu einer Beendigung der Therapie geraten habe, sagt der frühere Oberarzt. In allen anderen Fällen wurde auf eine Verlängerung des Rezeptes gehofft. Auch eine Münchner Logopädin, die anonym bleiben will, erinnert sich, dass sie mehrmals von ihrer Chefin angehalten wurde, ein Kind bei der Stange zu halten, das eigentlich schon geheilt war.

Kinderärzte machen zudem gestiegene Ansprüche der Eltern für die Entwicklung verantwortlich. Manche Eltern würden sich schlecht betreut fühlen, wenn sie ihre Praxis ohne Rezept verlassen, sagt der Hamburger Arzt. Auch die Münchner Logopädin erlebt Eltern manchmal regelrecht sauer, wenn sie ihnen mitteilt, dass keine Folgetherapie mehr nötig sei. Lieber zu viel therapiert, denken manche Eltern.

Käfig, Katze und Koalabär

Mathis' Mutter Miryam tickt da anders. Ihr wäre es lieber, wenn ihr Erstgeborener am Nachmittag mit seinen beiden jüngeren Brüdern zu Hause spielen könnte, als die Aussprache von Käfig, Katze und Koalabär zu üben. "Ohne nachgewiesene Sprechstörung würde ich meinen Sohn nicht zur Therapie schicken." Sie wollte aber auf keinen Fall warten, bis Mathis in die Schule kommt. "Wenn er zeitgleich noch schreiben lernen und sich mit den neuen Mitschülern auseinandersetzen muss, bedeutet das Stress." Dann entsteht ein Leidensdruck, den Mathis jetzt noch nicht kennt.

Besteht tatsächlich eine Sprachstörung oder Sprachschwäche - darin sind sich Logopäden und Kinderärzte überraschend einig - muss schnell gehandelt werden. So lässt sich verhindern, dass sich die Schwäche verfestigt, und die Therapie kann in vielen Fällen bald wieder abgeschlossen werden. "Bemerken Eltern erst kurz vor Schulstart, dass ihr Kind nicht richtig sprechen kann und damit nicht schulreif ist, haben alle Frühwarnsysteme versagt", sagt Margarete Feit. Dass die meisten Kinder mit sechs Jahren zum Therapeuten kommen, zeige doch, dass zu viele Kinder im Kindergarten unbehandelt blieben. Seit Jahren arbeitet der Verband an Richtlinien für Kinderärzte, wann ein Kind therapiert werden muss. "Leider haben die Sprachtests in den Kindergärten und die Sprachfördermaßnahmen in der Kinderbetreuung bisher nicht den gewünschten Effekt gezeigt."

Bei Mathis hat man rechtzeitig mit der Therapie begonnen. Er wird vermutlich nur noch ein Rezept und somit zehn weitere Stunden benötigen. Die 45 Minuten bei Frau Herbst findet er nun schon "cool". Und nicht mehr "tool".

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