Schulkleidung:Über kurz oder lang

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Ein Kopftuch als religiöses Symbol ist in deutschen Schulen inzwischen Alltag geworden. (Foto: Oliver Berg/dpa)

Was dürfen Jugendliche im Unterricht tragen? Allgemeine Regeln dafür gibt es in Deutschland nicht. Umso mühsamer ist die Debatte an vielen Schulen darüber, was noch erlaubt ist.

Von Johann Osel

Dass der Bonner Stadtrat an diesem Abend stundenlang über Moral und Bürgerrechte streiten würde, war nicht zu erwarten bei dem Tagesordnungspunkt. Per Hausordnung hatte es eine örtliche Schule untersagt, den Unterricht "in den als Blue-Jeans bezeichneten Hosen zu besuchen". Aus Gründen der Sittlichkeit. Ein strenges Regiment herrsche an der Schule, erfuhren die Politiker, das "Fräulein Direktor-Stellvertreterin" wache sogar darüber, dass sich die Mädchen nicht auf die Schulhofmauer setzten, denn das sei "nicht feminin". Auch eine Anstaltsverordnung habe Grenzen, sagte ein Stadtrat - nämlich das Grundgesetz. Die Maßnahmen könnten "von der Bevölkerung in Bonn und in der ganzen Bundesrepublik als Rückstände aus finsterster Zeit" gesehen werden. Das war 1960. Eine Debatte von gestern? Mitnichten.

Die Frage, inwiefern Schulen den Kleidungsstil regeln dürfen, kommt immer wieder auf. Vorschriften, wie weit die nackte Haut reichen darf, bewegen sich indes in einer Grauzone. Die Aufregung ist aktuell groß unter Biedermännern wie Freigeistern, seitdem eine Schulleiterin in Baden-Württemberg ein Hotpants-Verbot angekündigt hat.

Dabei hat die Direktorin nur das getan, was unzählige Schulen tun: einen Dresscode formuliert. Im Idealfall - aber längst nicht immer - entsteht dieser im Konsens mit den Schülern. Eine Realschule im Sauerland regelt: Bauchnabel und Brustansatz müssen bedeckt sein, kurze Hosen und Röcke die Hälfte der Oberschenkel verhüllen. Ein Gymnasium in der Nähe von Augsburg folgt der Devise: "Die Schule ist keine Disco und kein Strandbetrieb." Ein Gymnasium bei Köln verbannt manche Aufdrucke auf T-Shirts, unerwünscht sind "sexistische, rassistische und anti-demokratische Botschaften". An einer Würzburger Schule zeigen Bildtafeln, welche Slogans nicht gestattet sind. Zum Beispiel: "Fuck School".

Zudem verständigt man sich oft darauf, dass Marken tabu sind, die als Symbol von Neonazis gelten können. Ein Oberstufenzentrum in Berlin schreibt vor: Wer einen Thor-Steinar-Pulli trägt, muss ihn mit der Innenseite nach außen tragen oder das Logo abdecken. Die Berliner Bildungsbehörde hat auch eine Broschüre verschickt, in der rechte Codes aufgeführt sind. Die Verwaltung weiß aber: Moden ändern sich, mittlerweile dienen sogar Palästinenser-Tücher als subtiles Zeichen von Neonazis. Und religiöse Symbole? Kopftücher sind in Schulbänken Alltag, Burkas dagegen umstritten. An bayerischen Schulen darf laut Verwaltungsgerichtshof Musliminnen der Gesichtsschleier verboten werden.

Die Gesetzeslage ist schwammig. In vielen Ländergesetzen finden sich Passagen, aus denen sich Verbote theoretisch ableiten lassen. Im bayerischen Gesetz heißt es, die Schüler "haben alles zu unterlassen, was den Schulbetrieb der von ihnen besuchten Schule stören könnte". Baden-Württemberg erlaubt Schulen, "zur Aufrechterhaltung der Ordnung erforderliche Maßnahmen zu treffen und Schulordnungen, allgemeine Anordnungen und Einzelanordnungen zu erlassen". Schulen seien aber "nicht berechtigt, eigene Moralvorstellungen zum Gradmesser für Kleidung zu machen", heißt es im Stuttgarter Ministerium. Gefährde ein sexy Outfit allerdings den Ablauf des Unterrichts, dürfe man durchaus eingreifen.

Und die Persönlichkeitsentfaltung? Jedes Grundrecht stößt an Grenzen, wenn Grundrechte anderer tangiert sind. Nur, wo liegen die Grenzen? Oder ist das alles Geschmacksfrage? Auch Vertreter von Lehrerverbänden, denen Hotpants im Klassenzimmer gar nicht behagen, verweisen auf die unklare Lage; zudem könne jede Vorgabe bei Schülern Trotz auslösen, bei Eltern das Gefühl der Gängelung. Wohl deshalb hatten die wenigen öffentlichen Schulen bundesweit, die mit Uniformen ein Wir-Gefühl schaffen und den Marken-Druck beenden wollen, davor Dialogrunden angesetzt.

Schulen haben keine Klimaanlagen, Hitzefrei wird seltener, meint der Landesschülerrat in Niedersachsen. Also: Lieber frivol als verschwitzt. Die Schüler sehen aber auch ihre Grundrechte in Gefahr: "Wer entscheidet, wann eine Hose zu kurz ist?" Das Verbot in Schwaben müsse fallen und eine "öffentliche Entschuldigung" folgen. Man könne ja Regeln finden - ohne Zwang.

Oder sollte doch lieber ein Maßband in jedes Klassenzimmer? Viele Lehrer wünschen sich einen Rahmen, wie sie in Online-Foren kundtun. "Individualisierung ist etwas anderes als Fleischbeschau", meint einer zu Spaghetti-Tops. Eine Lehrerin stört es, wenn Jungs nur Unterhemden tragen oder Skaterhosen nur den halben Hintern verdecken. Und ein Dresscode für Lehrer? Nicht abwegig, findet man in Schülernetzwerken. Da steht: "Unser Lehrer hat 365 Tage lang dieselben Klamotten an, und man merkt, dass es Sommer wird, weil er keine Socken trägt." Oder: "Ich hatte eine Lehrerin, die im Sommer immer ärmelfreie Shirts anzieht und sich unter den Achseln niiiiiiie rasiert. Kotz."

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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