Schülerinnen mit Kopftuch:"Offenheit ist angebracht"

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Die Versuche, das Kopftuch in Schulen generell zu verbieten, sind gescheitert. Richtig so, sagt Rechtsexperte Wolfgang Hecker.

Ein Mädchen mit Kopftuch auf dem Weg ins Klassenzimmer. (Foto: Wolfram Kastl/dpa)

Das Integrationsministerium in Nordrhein-Westfalen hat nach eingehender Prüfung entschieden, dass der Vorstoß von Staatssekretärin Serap Güler (CDU), Mädchen unter 14 Jahren das Kopftuchtragen zu verbieten, nicht weiterverfolgt wird. Staatssekretärin Güler erklärte dazu in der vergangenen Woche, nach der erfolgten Prüfung sei es rechtlich umstritten, ob ein Kopftuchverbot vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben würde. Das zu dieser Frage eingeholte Gutachten habe die rechtlichen Bedenken eher noch verstärkt. Da ein langer Rechtsstreit mit ungewissem Ausgang aber nicht hilfreich sei, werde auf ein Verbot verzichtet. Laut Güler setzt das Integrationsministerium anstelle eines Verbots jetzt gemeinsam mit dem Schulministerium auf Aufklärungsarbeit und Elterninformation zu dem Thema.

Auch auf dem CDU-Parteitag im November 2019 wurde ein Beschluss zu dem Thema Kopftuch bei Schülerinnen gefasst. Die Antragskommission milderte den Antrag eines Bezirksverbands der Seniorenunion ab, der die unmittelbare Einführung eines Kopftuchverbots in Grundschulen und Kitas auf allen politischen Ebenen forderte. Als "Vorbild" diente Österreich, wo im Mai das Kopftuch für unter Zehnjährige untersagt worden war. In der deutlich moderateren Fassung des verabschiedeten Beschlusses wird ein Verbot lediglich als "letztmögliche Maßnahme" nicht ausgeschlossen: nämlich dann, wenn Gespräche mit den Eltern sich als nicht zielführend erweisen sollten. Ein Kompromiss, der einerseits den Forderungen nach einem Verbot des Kopftuchs Rechnung trägt, zugleich aber auch verfassungsrechtlichen Einwänden gegenüber einem Kopftuchverbot und Vorbehalten innerhalb der Union gegenüber der mit einem Verbot verbundenen Beschneidung des Elternrechts.

Die Gefahr einer Diskriminierung geht nicht vom Kopftuch an sich aus

Wolfgang Hecker ist Staats- und Verfassungsrechtler. Der 68-Jährige lehrt an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung, an der er bis 2018 eine Professur innehatte. (Foto: privat)

Insgesamt zeichnet sich ab, dass Forderungen nach einem Kopftuchverbot für Schülerinnen in Deutschland derzeit nicht durchsetzungsfähig sind. Das zeigen sowohl der Rückzieher in NRW als auch der zumindest in Teilen gescheiterte CDU-Vorstoß. Die Ablehnung gegenüber dem Kopftuch bei Schülerinnen aber bleibt - das wurde in NRW ebenso betont wie auf dem CDU-Parteitag. Der Parteitagsbeschluss enthält trotz der insgesamt zurückhaltenden Fassung neue Akzente, die bisher eher bei pauschal islamkritischen oder rechtspopulistischen Akteuren zu finden sind. Etwa die Feststellung, das Kopftuch bei Kindern habe nichts mit Religion zu tun. Das ist viel zu undifferenziert. Zwar sieht auch die Mehrheit der Muslime und der muslimischen Verbände in dem Tragen eines Kopftuchs durch Kinder keine religiöse Verpflichtung. Dies schließt aber nicht aus, dass in Einzelfällen Eltern oder auch eine Schülerin eine entsprechende religiöse Pflicht bejahen und leben. Per Parteibeschluss und einer sich daran anschließenden Staatspraxis kann nicht verfügt werden, dass das Tragen eines Kopftuchs nichts mit Religion zu tun hat. Damit würden die individuelle Freiheit des Glaubens nach dem Grundgesetz und auch das Elternrecht des Grundgesetzes missachtet, das eine religiöse Prägung der Kinder durch ihre Eltern zulässt, wie es auch für die Erziehung im christlichen Glaubensverständnis anerkannt ist.

Das Kopftuch bei Schülerinnen wird heute von Mitschülern in hohem Maße als eine Form diverser Lebenskulturen akzeptiert, die unter anderem durch bestimmte Kleidungsstile zum Ausdruck gebracht werden. Nicht vom Kopftuch an sich geht eine Gefahr der Diskriminierung für Schülerinnen aus. Die Gefahr einer Diskriminierung tritt vielmehr dann auf, wenn Politik und Schulen eine bestimmte Lebenskultur wie das Tragen eines Kopftuchs pauschal als Gefahr identifizieren.

Deshalb bestehen auch ohne ein Kopftuchverbot Vorgaben, die von Lehrkräften und der staatlichen Schulverwaltung zu beachten sind: Eine staatliche Aufklärungsarbeit und Elterninformation muss die Freiheit des Glaubens und das Elternrecht achten. Deshalb wäre es verfassungsrechtlich unzulässig, in diskriminierender Weise gegenüber Schülerinnen und Eltern einseitig und pauschal die Unerwünschtheit des Kopftuchs in der Schule zu propagieren. Für einen produktiven Umgang mit dem Thema Kopftuch von Schülerinnen ist es unerlässlich, dass sich die Politik von Verbotsfantasien ebenso verabschiedet wie von entsprechenden Androhungsszenarien gegenüber den Eltern der Mädchen.

Gefragt ist ein offener Dialog in der Schule mit Eltern und muslimischen Verbänden, der entsprechend dem Grundgesetz die Freiheit des Glaubens respektiert. Diese Offenheit ist angebracht trotz und gerade wegen der Heftigkeit, mit der die Kopftuchdebatte mitunter in der Gesellschaft geführt wird. Nur in begründeten Einzelfällen, wenn Anzeichen für spezielle Probleme eines Kindes aufgrund eines von den Eltern erzwungenen Kopftuchs bestehen, ist das Gespräch mit diesen Eltern zu suchen. Ansonsten kann nur ein allgemeiner Dialog zu dem Thema geführt werden, der das von der Verfassung gewährleistete Toleranzgebot achtet.

© SZ vom 16.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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