Zwölf Jahre ist es her, da rieben sich die Deutschen verwundert die Augen: Die Pisa-Studie zeigte dem vermeintlichen Land der Dichter und Denker, dass es mit der Bildung seiner Schüler nicht sehr weit her war. Der "Pisa-Schock" hatte das Land erfasst. Am Dienstag nun hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine Studie vorgestellt, welche die Deutschen wohl nicht in einen Schock versetzen wird, aber auch wenig Anlass zu Feierlaune bietet.
Die PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies, PDF) untersuchte erstmals, wie es in 24 Industrienationen um das Alltagswissen bestellt ist. Deutschland erreicht dabei nur einen Platz im Mittelfeld. Das gilt sowohl für das Lesen und Verstehen von Texten als auch für einfache Grundrechenarten.
Insgesamt wurden 166.000 Menschen zwischen 15 und 65 Jahren für die Studie befragt. Sie mussten Aufgaben in vier Themenfeldern lösen. Dabei ging es um Lesekompetenz, Textverständnis, Mathematik und die Fähigkeit, neue Technologien einzusetzen, wie zum Beispiel im Internet nach Informationen zu suchen.
Acht zentrale Erkenntnisse der Studie:
Deutsche Zweiklassengesellschaft auch bei den Grundkompetenzen
Lesen, Rechnen, einen Computer bedienen - das sind Grundkompetenzen, die Menschen unabhängig von ihrem Bildungsgrad beherrschen sollten. Die Studie allerdings zeigt das Gegenteil: Das Bildungsniveau entscheidet wie kein anderer Einflussfaktor, ob Erwachsene mit solchen Aufgaben klarkommen. Die Lesekompetenz von Personen, die höchstens über einen Hauptschulabschluss verfügen, liegt im Durchschnitt circa 75 Punkte niedriger als bei Personen mit einem Hochschulabschluss. Deutschland ist zudem einer der Staaten, in denen der soziale Hintergrund sich stark auf die Lesekompetenz der Menschen auswirkt. Wer Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss hat, erreicht hierzulande sehr schwer ein höheres Kompetenzniveau.
Deutschland bei Mathemathik leicht überdurchschnittlich
Mathematik gilt vielen deutschen Schülern als Hassfach. Die Erwachsenen schneiden im internationalen Vergleich immerhin leicht überdurchschnittlich ab. Das liegt vor allem an den Akademikern. Deren Kompetenz, verglichen mit Hochschulabsolventen in anderen Ländern, ist überdurchschnittlich, während Menschen mit niedriger Bildung mittelmäßige Werte erzielen.
Migranten liegen in Deutschland zurück, aber nicht so stark
Erwachsene mit Migrationshintergrund schneiden in allen OECD-Ländern schlechter ab als jene ohne Migrationshintergrund. Das gilt auch in Deutschland, allerdings sind die Unterschiede hierzulande deutlich geringer als im Durchschnitt. Laut den Autoren der Studie ist dieser Befund allerdings nicht überraschend, da für die Studie in Deutschland all jene als Menschen mit Migrationshintergrund gelten, die angaben, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache sei.
Finnland und Japan erreichen die besten Ergebnisse
Besonders gute Ergebnisse liefert die PIAAC-Studie für Finnland und Japan. Vor allem im Bereich der Lesekompetenz schnitten die getesteten Personen in beiden Ländern sehr gut ab. Jeder fünfte Finne und Japaner liest auf hohem Niveau - und kann aus dem Gelesenen auch komplexe Sachverhalte erkennen. Auch im Umgang mit Zahlen und im Bereich der allgemeinen Problemlösungskompetenz ragen die beiden Länder positiv heraus. Erklärungen für die guten Ergebnisse von Finnen und Japanern liefert die Studie nicht.
Italien und Spanien auf den hinteren Rängen
Während Finnland und Japan glänzen, dürfte die Studie vielen anderen Ländern dringenden Handlungsbedarf signalisieren. In Italien und Spanien etwa erreicht nur jeder Zwanzigste das höchste Lesekompetenzniveau, etwa 30 Prozent der Erwachsenen stoßen hier bereits bei kurzen Texten und einfachen Rechenaufgaben an ihre Grenzen. Die größten Unterschiede gibt es laut PIAAC aber nicht zwischen den Ländern, sondern innerhalb der einzelnen Länder - die Schere zwischen Menschen mit hoher und niedriger Kompetenz klafft überall sehr weit auseinander.
Zusammenhang zwischen sozioökonomischem Hintergrund und Kompetenz
Wie in Deutschland gibt es auch in Großbritannien, Italien, Polen und den USA einen starken Zusammenhang zwischen dem sozialen Hintergrund einer Person und ihrer Lesekompetenz. Wer Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss hat, hat es auch dort schwer, selbst gut lesen zu lernen. Dass dies nicht sein muss, zeigen andere Länder wie Japan, Australien, die Niederlande, Norwegen und Schweden. Diese sind bekannt für ihre hohe Chancengleichheit - und sie zeigten in der PIAAC-Studie insgesamt überdurchschnittlich gute Leistungen.
Kaum Unterschiede zwischen Männern und Frauen
Zwischen den Geschlechtern gibt es in allen Ländern nur sehr geringe Leistungsunterschiede. Männer schneiden bei der "Alltagsmathematischen Kompetenz" und der "Technologiebasierten Problemlösungskompetenz" etwas besser ab, bei der Lesekompetenz ist der Vorsprung noch geringer. Je jünger die Testpersonen waren, umso marginaler werden die Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
Kompetenzhöhepunkt mit 30 Jahren erreicht
Das Alter spielt in Kompetenzfragen eine wichtige Rolle. Die PIAAC-Studie zeigt, dass in allen Ländern im Alter von etwa 30 Jahren der Kompetenzhöhepunkt erreicht wird - ganz gleich ob es um Lesen, Alltagsmathematik oder um die Lösung von Problemen geht. Wie groß die Kompetenzunterschiede zwischen Jungen und Älteren tatsächlich sind, ist aber von Land zu Land unterschiedlich. Die Experten gehen davon aus, dass dieser Umstand mit der Bildungsqualität an sich zu tun hat, aber auch mit dem Angebot an Erwachsenenbildung. Auch in Sachen Erwachsenenbildung liegen die skandinavischen Länder und die Niederlande an der Spitze.